Die Vier-Tage-Woche wird regelmäßig als Allheilmittel ins Spiel gebracht. Das ist leider zu schön, um wahr zu sein. Das zeigt auch ein Blick nach Island, wo das Konzept im öffentlichen Dienst erprobt wird.
Eine Studie aus Island sorgt für Schlagzeilen: Die Isländer würden jetzt die gleiche Arbeit in weniger Zeit erledigen. Die Arbeitnehmer hätten mehr Freizeit und wären gesünder. Dem Arbeitgeber würden keine Mehrkosten entstehen. Alle sind zufrieden. Hier könnte die Geschichte bereits enden. Und tatsächlich hört an dieser Stelle meist auch die mediale Berichterstattung auf. Schaut man aber hinter die Fassade, bekommt das Bild Risse. An der vierjährigen Erhebung nahmen ausschließlich Regierungsangestellte teil. Und wie wurde diese Arbeitszeitverkürzung im öffentlichen Dienst überhaupt erreicht? Welche Arbeiten wurden reduziert?
Glücklicherweise finden sich in der isländischen Studie klare Aussagen. So wurden unter anderem Besprechungen verkürzt und unnötige Aufgaben gestrichen. Einer der Befragten gibt sogar an, dass längere Kaffeepausen eingespart wurden. Es zeigt sich also: Die Studie aus Island hätte auch anders wahrgenommen werden können. Als verheerendes Bild des öffentlichen Dienstes in Island, in dem ein Zehntel der Arbeitszeit mit unnötigen Aufgaben, unproduktiver Selbstbeschäftigung und Kaffeetrinken vergeudet wurde. Währenddessen haben die Financiers, also die Steuerzahler, tatsächlich produktiv gearbeitet.
Gute Seiten
Das isländische Projekt hat aber auch seine guten Seiten. So einigten sich in Folge zahlreiche Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände darauf, dass die Beschäftigten ihre Arbeitszeit reduzieren dürfen. Positiv hervorzuheben ist, dass diese nicht vom Staat aufgezwungen wurde. Angestellte und Unternehmen haben sich darüber gemeinsam verständigt. Etwas, das auch in Österreich bereits jetzt problemlos möglich wäre.
Oft wird auf Daten hingewiesen, dass zu lange Arbeitszeiten zu Gesundheitsproblemen führen. Eine Arbeitszeitverkürzung könnte dem entgegenwirken. Die meisten Studien zeigen auch, dass Arbeiternehmer in der verbliebenen Arbeitszeit produktiver sind. Dazu gesellen sich aber auch ein paar Fragezeichen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Menschen in kürzerer Zeit die gleiche Arbeit verrichten können. Es ist auch eher unrealistisch, dass jede Branche so ineffizient wie der isländische öffentliche Dienst arbeitet. In den allerwenigsten Betrieben wird – überspitzt ausgedrückt – durch das Kürzen der Kaffeepausen eine Arbeitszeitverkürzung von vier bis fünf Stunden in der Woche erzielt werden können. Zudem hängt die Produktivitätssteigerung von der konkreten Ausgestaltung der Arbeitszeitverkürzung ab. Wird an jedem Tag der Arbeitswoche weniger gearbeitet oder gilt die Vier- statt Fünf-Tage-Woche? Oder gleich mehr Jahresurlaub?
Wenn die Produktivität nicht genügend zunimmt, müssen mehr Leute eingestellt werden, um die gleiche Warenanzahl herzustellen. In Österreich wird immer wieder propagiert, dass damit das Problem der hohen Arbeitslosigkeit beseitigt werden könne. Gerade auf kurze Sicht ist dies aber nur schwer vorstellbar. Zwar können vielleicht ungelernte und wenig spezialisierte Tätigkeiten rasch mit Arbeitslosen besetzt werden. Beispielsweise der Kassierer an der Supermarktkasse. Wie sieht es aber in hochspezialisierten Berufen mit langer Berufsausbildung aus? Wie schnell kann ich neue Ärzte ausbilden, die ihre Kollegen unterstützen? Wie schnell neues Pflegepersonal? Wie schnell neue Informatikerinnen? Eine von oben angeordnete Arbeitszeitverkürzung, die mit der Brechstange durchgesetzt wird, könnte fatale Folgen haben. In vielen Branchen müsste die Produktion zurückgefahren werden, was auf Kosten des Wohlstands unserer Gesellschaft geht.
Steigende Preise
Die nächste Frage, die sich stellt: Wer soll das bezahlen? Könnte nämlich tatsächlich in kürzerer Zeit gleich viel erledigt werden, würde sich das Modell von selbst finanzieren. Dann wäre es sicher ein Renner. Es ist aber eher davon auszugehen, dass das nicht der Fall sein wird. Es würde also in weniger Zeit auch weniger produziert und folglich weniger Gewinn erwirtschaftet werden. Unternehmer müssten also entweder mehr Arbeitskräfte einstellen oder einfach weniger produzieren. Das bedeutet vor allem eines: Steigende Preise. Damit hätten die Arbeitnehmer zwar mehr Freizeit, könnten sich aber auch durch die Inflation mit dem gleichen Lohn weniger leisten. Eine andere Möglichkeit wäre, mit der Arbeitszeit auch die Löhne zu reduzieren. Freilich nicht in gleichem Umfang. So ist schließlich davon auszugehen, dass die Menschen in der verbleibenden Arbeitszeit produktiver wären. Gleichwohl hätten die Arbeitnehmer damit weniger Geld im Börserl.
Wie stark die Arbeitszeit in Island in der Privatwirtschaft tatsächlich reduziert werden wird, wird sich weisen. Ob sie auch außerhalb des Staatsdiensts umsetzbar und finanzierbar ist, erscheint mehr als fraglich. In jedem Fall ist eine betrieblich vereinbarte Arbeitszeitverkürzung einer staatlich verordneten vorzuziehen. So kann auch in den nächsten Jahren mit Spannung nach Island geblickt werden – wo dann vielleicht tatsächlich die Arbeitszeit verkürzt wird und nicht nur die Kaffeepausen.
Gastkommentar von Marcell Göttert für “Standard” (13.07.2021).
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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