Die Bürger brauchen keine kleinen Korrekturen ihrer Steuerleistung. Sondern eine radikale Modernisierung des gesamten Staatswesens.
Wir diskutierten hierzulande bei jeder Budgetdebatte gerne ausgiebig über die Entwicklung der staatlichen Ausgaben und Einnahmen. Über die Höhe der Steuern oder die steigenden Staatsschulden. Oder darüber, welche Ministerien jetzt zu den Gewinnern zählen und welche zu den Verlierern. Worüber nie geredet wird, ist, was mit all dem Geld der Steuerzahler eigentlich geschieht. Das ist bemerkenswert, zumal Österreich auch nach der angeblich „größten Entlastung in der Geschichte der Zweiten Republik“ zu den absoluten Hochsteuerländern der Welt zählt. Arbeitseinkommen werden nur noch in Belgien und Deutschland höher besteuert als bei uns. Gemessen an den hohen Arbeitskosten müssen sich die Bürger also mit den drittniedrigsten Nettolöhnen der EU begnügen. Nicht, weil die Unternehmen so schlecht zahlen. Sondern weil der Staat immer mehr Geld für sich in Anspruch nimmt.
Nun muss man nicht länger im Ausland gelebt haben, um zu wissen, dass der Leistungskatalog des österreichischen Solidarsystems noch immer luxoriös ist. Von langen Karenzzeiten für Mütter, Väter und Bildungshungrige, über den freien Hochschulzugang – bis hin zur Rundumversorgung im Krankheitsfall. Ein vergleichbares Gesamtpaket ist fast nirgendwo auf diesem Erdball zu finden. Aber der Bevölkerung ist auch nicht verborgen geblieben, dass der Staat für seine Leistungen zwar immer höhere Preise verrechnet, die gebotene Qualität der öffentlichen Leistungen aber schleichend sinkt.
Wer sich unlängst im Wartezimmer eines praktischen Arztes oder einer Spitalsambulanz aufgehalten hat, einen Facharzt konsultieren wollte oder gar einen Termin für eine wichtige Untersuchung haben wollte, weiß, wovon die Rede ist. Und der kennt auch den Grund für die Flucht aus dem staatlichen Gesundheitswesen. Rund 3,1 Millionen Menschen sind hierzulande privat zusatzversichert. Also fast vier von zehn Einwohnern. Schlossen die Menschen früher eine Zusatzversicherung ab, um sich ein Einbettzimmer im Krankenhaus zu sichern, tun sie das heute, um in angemessener Zeit einen wichtigen Untersuchungstermin zu bekommen. Sie zahlen also noch einmal jede Menge Geld für eine Basisversorgung, für die ihnen der Staat 7,65 Prozent ihres Arbeitseinkommens abknöpft. Währenddessen fällt das staatliche Angebot nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ zurück. 7200 Kassenärzten stehen über 10.000 Wahlärzte gegenüber. Der Trend beschleunigt sich – aber nichts passiert.
Wer seinen Kindern eine gute Schulbildung ermöglichen will, versucht sein Glück immer öfter in einer der boomenden Privatschulen. Das gilt vor allem für Wien. Dort geht bereits jeder fünfte Schüler in eine Privatschule. Die Eltern zahlen gleich doppelt: Einmal über ihre Steuern für das staatliche Schulwesen und dann mit ihrem versteuerten Einkommen für die private Bildungseinrichtung. Wer sich das nicht leisten kann, hat eben Pech gehabt. Oder versucht den Wohnsitz in einen „besseren“ Schulsprengel zu verlegen. Es gibt sie nämlich, die guten öffentlichen Schulen mit engagierten Lehrern. Aber eben nicht überall. Im drittteuersten Schulsystem der Welt hängt eine gute Schulbildung letzten Endes davon ab, ob ein Kind im „richtigen“ Elternhaus im „richtigen“ Bezirk zur Welt kommt. Auch ein negativer Trend, der sich beschleunigt. Aber nichts passiert.
Viele Bürger freuen sich, wenn die Regierung jährlich die Pensionen erhöht. Und das auch noch stärker als das vom Gesetz vorgesehen ist. Das ist nett. Weniger nett ist, dass die drohende budgetäre Misere gekonnt ausgeblendet wird. Derzeit müssen dem staatlichen Pensionssystem jährlich 23 Milliarden Euro aus dem Budget zugeschossen werden, damit die Rentner pünktlich ihr Geld bekommen. Das sind die gesamten Lohnsteuereinnahmen von Jänner bis Oktober – und das nur um das Pensionsloch zu stopfen. Warum? Weil wir ein Umlagesystem haben. Die Aktiven sparen nicht für ihre eigene Pension an, sondern zahlen die Renten der Pensionisten. Ein solidarisches System, das prächtig funktioniert, solange die Gruppe der Einzahler schneller wächst als jene der Pensionisten. Das ist aber längst nicht mehr der Fall.
Zudem gehen wir noch immer so früh in Pension wie vor 50 Jahren, obwohl die Lebenserwartung seither um zehn Jahre gestiegen ist. Das wiederum führt dazu, dass zwischen den Einzahlungen der Aktiven und den Auszahlungen an die Pensionisten in den kommenden fünf Jahren in Summe rund 125 Milliarden Euro fehlen. Das muss man sich einmal vorstellen. Das ist mehr als ein Drittel der aktuellen Staatsverschuldung. Aber nichts geschieht. Ganz im Gegenteil. Statt endlich das Pensionssystem an die Lebenserwartung zu koppeln, wird das finanzielle Problem mit jährlichen Sonderpensionserhöhungen noch vergrößert.
Was sich die Bürger als Gegenleistung für ihre hohen Steuern verdient haben, ist eine radikale Modernisierung des gesamten Staatswesens. Eine digitalisierte Staatsverwaltung, die sich als Dienstleister an den Bürgern begreift. Und diese nicht wie lästige Bittsteller behandelt, die darauf hoffen müssen, einen Beamten bei guter Laune anzutreffen, um ihr Ansuchen überhaupt vorbringen zu dürfen. Und natürlich ein modernes Bildungssystem, das nicht nur von digitalen Lehrbüchern redet, sondern sie endlich in die Klassenzimmer bringt. Und ja, es braucht mehr Geld für Schulen mit vielen fremdsprachigen Kindern. Aber auch mehr Evaluierung der eingesetzten Mittel. Bleiben die Erfolge aus, sind personelle Änderungen vorzunehmen. Zudem sollten die Ergebnisse der einzelnen Schulen bei den Bildungstests veröffentlicht werden. Damit sich der Druck auf die Behörden und Politiker erhöht, das Problem nicht länger zu ignorieren, sondern zu lösen.
Die hoch besteuerten Bürger dieses Landes brauchen auch keine kleinen Korrekturen ihrer Steuerleistung, sondern die Abschaffung der kalten Progression. Dieses steuerpolitischen Monstrums, das ihnen Monat für Monat Geld aus den Taschen zieht, ohne dass die um ihr Geld Erleichterten es merkten. Weil der Staat sehr geschickt vorgeht. Indem er nicht nur die wachsenden Einkommen besteuert, sondern auch noch die Inflationsabgeltung. Eine Durchschnittsverdienerin, die 30.000 Euro verdient und der in den vergangenen fünf Jahren nur die Teuerung abgegolten wurde, bekommt heute um 8,2 Prozent mehr Lohn, zahlt aber um 11,6 Prozent höhere Steuern. Wie das möglich ist? Indem die Beträge, ab denen die verschiedenen Steuersätze greifen, ebenso wenig an die Inflation anpasst werden wie die Absetzbeträge.
Aber nichts passiert. Stattdessen diskutieren wir darüber, wie stark die Einnahmen und Ausgaben steigen. Und vor allem darüber, wer denn nun zu den Gewinnern und Verlierern der Steuerreform zählt.
Gastkommentar von Franz Schellhorn für “Die Presse” (15.10.2021).
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Die Arbeiterkammer forderte jüngst eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich auf 36 Wochenstunden. Arbeitnehmer mit 40 Wochenstunden müssten um 11,1 Prozent produktiver werden, Arbeitnehmer mit 38,5 Wochenstunden müssten ihre Produktivität um rund 7 Prozent steigern. „Solche Produktivitätssteigerungen sind einfach unrealistisch“
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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