Beschäftigung

Wir zahlen für Luxus – und wohnen im Hostel

Österreich ist einfach zu teuer für das, was geboten wird. Neue Steuern sind das letzte, was wir brauchen.

Kaum ein Land der Welt nimmt seinen Bürgern mehr ab. Einzig: Die Leistungen passen nicht zum Preis.

Wäre der Staat Österreich ein Hotel, er würde in der allerhöchsten Preisklasse spielen. Fünf Sterne Plus. Rundum Service. Präsidentensuite. Kaviar. Champagner. Sauna, Dampfbad, Gegenstromanlage. Zehntausende Euro pro Nacht. Österreich ist purer Luxus. Kaum ein Land der Welt nimmt seinen Bürgern mehr ab. Einzig: Die Leistungen passen nicht zum Preis. Der Prospekt war eine Lüge. Die Bewertung auf Booking.com: 3,6 – eine Katastrophe.

Aber statt uns zu fragen, warum die Angebote unseres Hotels eher auf Hostel-Niveau angesiedelt sind, warum der Kaviar ständig aus ist, der Sprudel schal schmeckt und der Spa-Bereich ständig geschlossen ist, suchen wir lieber nach Schuldigen. Das Paar aus Zimmer 308, die müssen sich am guten Zeug bedient haben.

Geht es um Steuern, ist eine sachliche Debatte in Österreich fast unmöglich. Sofort wird es politisch, polemisch und populistisch. Nichts ist einfacher als von anderen zu fordern, sie mögen doch bitte mehr bezahlen. Konzerne, Zuwanderer, Spekulanten, Rothaarige: Sollen die nicht „ihren Beitrag“ leisten? Erst recht in der Krise? Also bitte, her mit der Marie!

Was in Österreich fehlt, ist eine Steuerdebatte ohne Neid.

Im Gegenzug, wird impliziert, könne man dann die „Belastung des Faktors Arbeit“ senken. Irgendwann. Ein bisschen. Das klingt schon so abstrakt, dass kaum jemand sich etwas darunter vorstellen kann. Dabei wäre das viel wichtiger als irgendeine andere Maßnahme im Steuerbereich. Denn der „Faktor Arbeit“, das sind wir alle. Aber es geschieht nichts. Und wenn, dann wird die kleine Senkung nach ein paar Jahren durch die „kalte Progression“ wieder aufgefressen. Ach, die wollen übrigens auch alle Parlamentsparteien abschaffen. Schade, dass sie noch nicht dazu gekommen sind. Irgendwas scheint die Politiker da aufzuhalten.

Was in Österreich fehlt, ist eine Steuerdebatte ohne Neid. Ohne Fingerzeigen. Auf Basis der Fakten. Und die sind eindeutig. Die Einnahmen sprudeln. Der Staat hat viel Geld zur Verfügung. Jedes Jahr mehr. Er nimmt und nimmt. Aber er gibt immer weniger zurück. Gesundheit, Schule, Verwaltung: Überall mangelt es an Qualität, an Motivation und Mut. Wir sind völlig festgefahren. Fünf Sterne? Lächerlich.

Ein Grund, warum Österreich nicht so gut wie etwa Dänemark durch die Corona-Krise gekommen ist: Das Vertrauen in Politik und Institutionen ist schlecht. Das ist verständlich – aber auch extrem traurig, angesichts der hohen Kosten.

Steuern sollten nicht tagespolitisch verhandelt werden. Ja, der Staat muss seine Leistungen finanzieren. Aber mehr Geld bedeutet nicht automatisch mehr Leistung. Manchmal tritt das Gegenteil ein, weil niemand sich Gedanken darüber machen muss, wo das Geld am besten eingesetzt wird.

Wieviele Probleme würden sich in Ihrem Leben lösen, wenn sie nach der nächsten Steuerreform nicht drei Prozent mehr Geld netto bekämen – sondern 30 Prozent.

Die negativen Folgen sind gravierend. Jeder Euro, den wir den Bürgern abnehmen, kann nicht in private Investitionen oder den Konsum fließen. Politisch geht von diesen unsichtbaren Folgen keine Gefahr aus. Aber denken Sie selbst mal nach: Wieviele Probleme würden sich in Ihrem Leben lösen, wenn sie nach der nächsten Steuerreform nicht drei Prozent mehr Geld netto bekämen – sondern 30 Prozent. Wäre das Leben nicht auf einen Schlag einfacher? Sind wirklich „die anderen“ das Problem – oder der manifeste politische Unwille, die Masse einfach zu entlasten – und den Staat mit Kostendruck zu konfrontieren.

Die Wahrheit ist: Die arbeitende Bevölkerung in Österreich wird gemeinsam mit ihren Arbeitgebern (den Unternehmen) in einer Art Geiselhaft gehalten. Teile und herrsche. Permanent wird um Pfründe gestritten, die die Politik künstlich knapp hält. Junge gegen Alte. Arme gegen Reiche. Frauen gegen Männer. Hauptsache Konflikt. Hauptsache, die Politiker können sich für ihre Wähler ins Zeug hauen. Und die ganze Energie der unzähligen Lobbys geht in die Beschaffung von Ressourcen, statt in die Verbesserung des staatlichen Angebots.

Die SPÖ und ihre Think Tanks fordern Vermögenssteuern. Die ÖVP und ihr Kanzler erhöht den „Familienbonus“ – und sichert sich so die Gunst der breiten Bevölkerung. Würde die SPÖ regieren, wäre es umgekehrt. Die Roten würden Vermögenssteuern einführen und die Türkisen würde in der Opposition lauthals fordern, die Familien zu stärken. Beide Lager bestechen derweil die Pensionisten wo sie können. Die gehen gerne wählen. Die sind wichtig.

Die Bürger werden zu Bittstellern degradiert, die sich untereinander streiten müssen – statt als die Finanziers behandelt zu werden, die sie sind.

Und im Wahlkampf wird dann wieder allseits beteuert, man müsse den „Faktor Arbeit“ entlasten und die kalte Progression abschaffen.

Unser Steuersystem ist zum Basar verkommen. Und weil wir permanent nur am Feilschen sind. Die Bürger werden zu Bittstellern degradiert, die sich untereinander streiten müssen – statt als die Finanziers behandelt zu werden, die sie sind. Wir haben den Zweck von Steuern völlig aus den Augen verloren. Die Geiselhaft führt zum Stockholm-Syndrom. Manche sehen in Steuern längst ein Allheilmittel. Auf jedes Problem wird mit einer neuen Steuer reagiert. Alles wird endlos verteuert in der Annahme, das Problem löse sich automatisch.

Aber das Gegenteil ist der Fall. Steuern sind niemals ein Selbstzweck. Sie sind ein notwendiges Übel zur Finanzierung möglichst effizienter und treffsicherer staatlicher Angebote. Ein Mittel, das ständig hinterfragt werden muss. Steuersenkungen sollten tausendmal einfacher sein als Erhöhungen – kein Gegengeschäft, wie es heute gehandhabt wird.

Viel zu selten fragen wir uns, wo der Staat überhaupt benötigt wird und ob seine Leistung den Kosten angemessen ist. Vielleicht auch aus Selbstschutz. Denn wer sich diese Frage stellt, wird sehen: Für das, was wir zahlen, sollten wir in einem Fünf-Sterne-Plus-Staat leben. Im puren Luxus. Und nicht in einem zugigen Hostel.

Gastkommentar von Nikolaus Jilch für die “Wiener Zeitung” (25.09.2021).

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