Innenpolitik

Wir, die Marionetten des Staates

Allerorts wird eine noch nie da gewesene Entsolidarisierung der Gesellschaft beklagt. Der Staat sei zum Nachtwächter degradiert. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Der Staat ist stark und mächtig wie lange nicht mehr. Er reguliert und bürokratisiert, was das Zeug hält. Und wir Bürger sind seine willfährigen Marionetten.

Freiheit wird in Österreich nicht als Segen verstanden. Sondern als Drohung. Viele Bewohner dieses hübschen Landes schätzen die führende Hand des stark intervenierenden Staates. Sie tauschen bei jeder Gelegenheit Freiheit gegen etwas mehr Sicherheit ein. Die Freiheit jagt vielen Angst ein, weil sie nur mit ihrer Zwillingsschwester zu haben ist. Sie heißt Verantwortung.

Freiheit wird in Österreich nicht als Segen verstanden. Sondern als Drohung.

Selbst entscheiden, was zu tun ist? Wozu, wenn es doch einen umsorgenden Staat gibt, der sich für die Lösung fast aller privaten Herausforderungen anbietet. Ein Angebot, das von einer wachsenden Zahl von Menschen bereitwillig angenommen wird. Sie lassen Entscheidungen über ihr eigenes Leben gerne von anderen treffen, vorzugsweise von Staatsbediensteten. Als könnten diese sie an der Hand nehmen und zum Glück führen. Die fremdbestimmten Bürger dieses Landes scheinen ganz im Trend zu liegen. Allerorts wird immer lauter nach dem regulierenden Staat gerufen. Er soll die Pandemie bekämpfen, deren wirtschaftliche Folgen ungeschehen machen, die soziale Ungleichheit korrigieren, den Klimawandel bremsen, für leistbaren Wohnraum sorgen und die Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit und Diversität anhalten. Mit dem Slogan “Mehr privat, weniger Staat” wagt sich kein Politiker mehr in eine Debatte, geschweige denn in einen Wahlkampf.

Grenzenloses Tätigkeitsfeld

Der Einstieg des Staates kann nicht die Antwort sein.

Im Kampf gegen die großen Herausforderungen unserer Zeit versteht sich Brüssel nicht mehr als Normensetzer oder Schiedsrichter, sondern als Akteur. Wurde einst der Wettbewerb gepredigt, werden heute wieder nationale Industrien aktiv geschützt, um deren Ausverkauf zu verhindern. Der Einstieg des Staates kann aber nicht die Antwort sein, nach all den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit. Die EU sollte vielmehr darauf drängen, dass europäische Investoren dieselben Möglichkeiten vorfinden wie ausländische Käufer in Europa. Das gilt insbesondere im Umgang mit China. 

Über die “Taxonomie” versucht Brüssel die Kapitalströme gezielt in nachhaltige Investitionen umzuleiten. Unternehmen wird nicht nur vorgeschrieben, wen sie zu beschäftigen haben, sondern auch, welche Investitionen sie als nachhaltig zu werten haben. Sehr zur Freude unzähliger Lobbyisten, die für ihre Kunden Ausnahmen erwirken. 

Notenpresse im vollen Einsatz

Mussten heruntergewirtschaftete Staaten in früheren Zeiten hohe Zinsen bezahlen, um überhaupt an Kredite zu kommen, verdienen sie heute Geld, wenn sie sich immer weiter verschulden. Nichts könnte die Absurdität der staatlich orchestrierten Geldpolitik besser illustrieren als das.

Der Preis des billigen Geldes wird ein hoher sein. Bezahlen werden ihn nicht die Geldpolitiker, sondern die einfachen Bürger über die Entwertung ihrer Barschaften. 

Obwohl der Europäischen Zentralbank die direkte Finanzierung von Staaten verboten ist, hält sie heute mehr als 30 Prozent der Schulden ihrer Mitgliedsländer. Wie das möglich ist? Ganz einfach: indem das Verbot über das Zwischenschalten von Banken umgangen wird. Diese versorgen die Euroländer großzügig mit Krediten, die ihnen in weiterer Folge die EZB abkauft. Die EZB gehört den nationalen Notenbanken, die wiederum im Besitz der jeweiligen Eurostaaten sind. 

Mit anderen Worten: Die Eurostaaten verschulden sich mittlerweile zu einem Großteil bei sich selbst. Der Preis des billigen Geldes wird ein hoher sein. Bezahlen werden ihn nicht die Geldpolitiker, sondern die einfachen Bürger über die Entwertung ihrer Barschaften. 

Der Staat war nie weg…

In Österreich wiederum feiert der intervenierende Staat kein Comeback. Er war nie weg. Seit der Nachkriegszeit spielt der Staat im Leben seiner Bürger die Hauptrolle. Er betreut den Nachwuchs in den öffentlichen Kindergärten, bildet die Jungen in staatlichen Schulen und Universitäten aus, bietet vielen Absolventen später den ersten und oft auch einzigen Job. Zudem sorgt er mit strengen Regulierungen und Sozialbauten für niedrige Mieten und über staatliche Kranken- und Pensionsversicherungen für soziale Sicherheit. 

Der Staat schreibt den Bürgern vor, welche Interessenvertretung für sie die beste ist, zu welcher Zeit sie einkaufen dürfen und wann die Geschäfte besser geschlossen bleiben.

Der Staat schreibt den Bürgern vor, welche Interessenvertretung für sie die beste ist, zu welcher Zeit sie einkaufen dürfen und wann die Geschäfte besser geschlossen bleiben. Hierzulande bestimmen nicht die Kunden, ob jemand das Zeug zum Unternehmer hat. Das regelt der Staat mit einer Gewerbeordnung aus dem Jahr 1859. Den Preis der Arbeit legen nicht Angebot und Nachfrage fest, sondern Kollektivverträge. Sie erfassen 98 Prozent aller Arbeitsverhältnisse, wir haben es also mit einem sozialpartnerschaftlichen Lohnkartell zu tun. Im Staatsdienst verdienen alle dasselbe, unabhängig von Engagement und Leistung.

… und greift ordentlich zu

Während tausende Bürger gegen die Coronapolitik auf die Straße gehen, lassen sich Millionen von Staatsbürgern widerstandslos die Hälfte ihrer Arbeitseinkommen abknöpfen. Bereits von Durchschnittsverdienern mit 3.500 Euro brutto im Monat beansprucht der Staat 48 Prozent der Arbeitskosten für sich. Nur Belgien und Deutschland greifen noch stärker zu. Gemessen an den Arbeitskosten, müssen sich die Bewohner dieses Landes mit der drittniedrigsten Nettolöhnen der EU begnügen. 

Der Bevölkerung ist nicht verborgen geblieben, dass der Staat für seine Leistungen zwar immer höhere Preise verrechnet, die gebotene Qualität aber schleichend sinkt.

Jeglicher Vermögensaufbau wird vonseiten des Staates verunmöglicht. Übrigens vom selben Staat, dessen politische Vertreter mit traurigen Ge- sichtern die wachsende Ungleichheit beklagen. Warum sich hart arbeitende Menschen das Geld aus den Taschen ziehen lassen, liegt an der Gegenleistung. Man muss nicht länger im Ausland gelebt haben, um zu wissen, dass der Leistungskatalog der österreichischen Solidarsystems ein luxuriöser ist. Von langen Karenzzeiten für Mütter, Väter und Bildungshungrige über den freien Hochschulzugang bis hin zur Rundumversorgung im Krankheitsfall: Ein vergleichbares Gesamtpaket ist fast nirgendwo auf diesem Erdball zu finden.

Der Bevölkerung ist allerdings nicht verborgen geblieben, dass der Staat für seine Leistungen zwar immer höhere Preise verrechnet, die gebotene Qualität aber schleichend sinkt. Zudem wird das Geld knapp: Im staatlichen Pensionssystem klafft jährlich eine Finanzierungslücke von 27 Milliarden Euro – so hoch ist die Differenz zwischen den Auszahlungen an die Pensionisten und den Einzahlungen der Aktiven. Nur um das Ausmaß des Pensionslochs zu veranschaulichen: Das sind die gesamten Lohnsteuereinnahmen von Jänner bis November oder die Kosten von drei Hypo-Alpe-Adria-Pleiten jedes Jahr.

Große Bildungslücken

Obwohl Österreich die dritthöchsten Bildungsausgaben pro Schüler weltweit ausweist, kann jeder fünfte Pflichtschüler im Alter von 15 nicht sinnesfassend lesen. Ebenso viele beherrschen die Grundrechnungsarten nicht. In den staatlichen Schulen wächst die Armut von morgen heran. Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder in eine Privatschule. Wer nicht, hat eben Pech gehabt. Willkommen in der “Klassenlotterie” des Sozialstaats. Und dennoch scheint die Glaube an seine Lösungskompetenz ungebrochen zu sein. 

Nicht mehr Staat, mehr Freiheit

Für ein selbst bestimmtes Leben in Freiheit und Wohlstand braucht es nicht mehr Staat. Es braucht mehr Freiheit. Allen voran eine funktionierende Marktwirtschaft mit mehr Wettbewerb.

Die Auslagerung jeglicher Verantwortung an den Staat bleibt nicht ohne Folgen. In Deutschland fliegen einer Enteignungsbewegung die Herzen zu, während in der zweitgrößten Stadt Österreichs die Kommunistische Partei die Gemeinderatswahlen gewinnt. Und das ganz ohne Tarnung. Wir sollten umkehren. Statt immer mehr private Entscheidungen an den Staat zu delegieren und ihm dafür immer mehr Geld zu überlassen, sollten wir in die Gegenrichtung aufbrechen.

Für ein selbst bestimmtes Leben in Freiheit und Wohlstand braucht es nicht mehr Staat. Es braucht mehr Freiheit. Allen voran eine funktionierende Marktwirtschaft mit mehr Wettbewerb. Es ist unumgänglich, dass sich der Staat nach der Corona-Pandemie aus dem Leben der Bürger zurückzieht. Helfen könnte eine Ausgabenbremse skandinavischen Vorbilds, die dafür sorgt, dass sich der ausgabefreudige Staat von sich selbst schützt und auf diese Weise den Bürgern mehr Geld bleibt. 

Freiheit ist ein Segen, der einen noch nie da gewesenen Massenwohlstand ermöglicht hat. 

Der Staat sollte als neutraler Anbieter von Bildung bleiben. Jedes Kind sollte wie in den Niederlanden einen öffentlichen Bildungscheck erhalten – ob dieser bei einer staatlichen oder privaten Schule eingelöst wird, bleibt einzig und allein den Eltern überlassen. Die Macht der Kammern gehört drastisch reduziert, kein Bürger sollte sich im dritten Jahrtausend vorschreiben lassen müssen, wer seine Interessen vertritt. Die Gewerbeordnung ist komplett neu zu schreiben, reglementiert werden sollen nur noch jene Bereiche, deren Ausübung Mensch, Tier oder Umwelt gefährden. Inhaber von Geschäften sollen gemeinsam mit ihren Beschäftigten darüber entscheiden, wann sie aufsperren wollen und wann nicht. 

Freiheit ist nämlich keine Drohung. Sondern ein Segen, der einen noch nie da gewesenen Massenwohlstand ermöglicht hat. 

Gastkommentar von Franz Schellhorn für “Der Pragmaticus” (07.03.2022).

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