„Wir arbeiten zu wenig“: Interview mit Franz Schellhorn
- 12.06.2024
- Lesezeit ca. 3 min
Wir arbeiten zu wenig, besteuern Leistung zu stark, sonst kostet es Wettbewerb und Wohlstand.
Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo erwartet eine zaghafte Konjunkturbelebung im zweiten Quartal. Die gestiegenen Reallöhne dürften den privaten Konsum ankurbeln. Das Pensionsalter der Österreicher steigt, wenn auch nur zaghaft. Haben Sie Hoffnung, dass es in Österreich nach der Stagnation wirtschaftlich wieder bergauf geht?
Die Hoffnung darf man nie verlieren. Zumal Österreich gemessen am inflationsbereinigten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf seit 2019 die schlechteste Entwicklung aller EU-Länder aufweist. Kein Land in Europa ist in den vergangenen fünf Jahren schwächer gewachsen als Österreich. Dänemark hat in derselben Zeit neun Prozent Wachstum hingelegt. Gleichzeitig ist die Wirtschaft mit den höchsten Lohnstückkosten und einer der höchsten Inflationsraten Westeuropas konfrontiert. Das kostet uns Wettbewerbsanteile.
Was ist falsch gelaufen? Die Beschäftigung steigt doch – aktuell sind mehr als 3,9 Millionen Menschen in Österreich unselbstständig beschäftigt.
Tatsächlich gibt es heute um 30 Prozent mehr Beschäftigte als 1995. Wir haben seither aber keine Vollzeitstellen mehr geschaffen, der Beschäftigungszuwachs entfällt ausschließlich auf die Teilzeit. Generell arbeiten wir immer weniger, die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden liegt unter dem Niveau von 2019. Immer mehr Menschen arbeiten nur an vier Tagen oder nur 30 Stunden. Die Teilzeit steigt – auch bei Frauen ohne Betreuungspflichten, ebenso bei Männern. Teilzeit ist zur Massenbewegung geworden.
Ist das so schlimm?
Für den Staat ist das ein Problem, es erklärt auch die Wachstumsschwäche. Aber wer rechnen kann, arbeitet in Teilzeit. Netto kommt bei Teilzeit pro Stunde mehr heraus als bei Vollzeit. Der Teilzeitboom sorgt auch dafür, dass die Produktivität je Arbeitnehmer sinkt. Das ist besorgniserregend, denn gerade sie ist ausschlaggebend für den Wohlstand des Landes. In der Politik müssten alle Alarmglocken schrillen.
Was schlagen Sie vor?
Das Versprechen „Leistung muss sich lohnen“ mit Leben zu erfüllen. Unsere Volkswirtschaft lebt von jenen, die den Extrameter zurücklegen. Von Arbeitnehmern, die am Donnerstagnachmittag nicht am E-Bike die Gegend unsicher machen, die Auftragsspitzen abdecken. Deshalb müssen die Einkommen entlastet werden. Aber nicht am unteren Ende, sondern ab der Mitte. Dort, wo die Vollzeitbeschäftigten zu Hause sind.
Lässt sich der Sozialstaat noch finanzieren?
Nur mit einem hohen Wirtschaftswachstum. Jährlich müssen 30 Milliarden Euro aus dem Budget zugeschossen werden, um das Defizit im staatlichen Pensionssystem auszugleichen. Das ist ein Viertel des Bundeshaushalts – jedes Jahr. Zudem gibt es noch keinen Plan, die steigenden Pflegeausgaben zu finanzieren.
Wie soll es dann noch Geld für Entlastungen geben?
Indem der Staat seine Ausgaben bremst. So wie die Schweiz. Dort dürfen die Ausgaben nicht schneller steigen als die prognostizierten Einnahmen. Und nirgendwo fällt der Putz von den Decken, weder in den Spitälern noch in den Schulen. Aber in Österreich wird lieber Geld verteilt, als Reformen anzustoßen: Handwerkerbonus, Reparaturbonus, Heizkostenbonus, Vollzeitbonus, Stromkostenzuschuss. Ganz nach dem Motto: Sie haben ein Problem? Alles gut, der Staat schickt Ihnen einen Gutschein.
Und zwar auf Rechnung des Steuerzahlers.
Genau. Das Land krankt an einem Staat, der über hohe Steuern und enorm hohe Sozialabgaben dafür sorgt, dass sich arbeitende Menschen die Arbeit anderer arbeitender Menschen kaum noch leisten können. In Österreich muss ein Installateur fünf Stunden – offiziell – arbeiten, um sich von seinem versteuerten Arbeitseinkommen eine Stunde eines Automechanikers leisten zu können. Das ist verrückt.
Was können die Unternehmer tun?
Sie dürfen den Mut nicht verlieren. Wir brauchen sie, denn der Wohlstand der Bevölkerung entsteht ausschließlich in den heimischen Unternehmen. Das scheint allerdings vielen nicht bewusst zu sein.
Interview mit Franz Schellhorn in der “Kleinen Zeitung” (11.06.2024).
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