Die österreichische Wirtschaft leidet unter Personalmangel. Zugleich nimmt die Arbeitslosigkeit wieder zu und die Teilzeitjobs werden immer mehr. Die nächste Regierung hat es in der Hand, den toxischen Cocktail, der sich auf dem Arbeitsmarkt zusammen
Es ist nicht ganz einfach, auf dem Arbeitsmarkt den Überblick zu behalten. In den vergangenen Jahren gab es abwechselnd zu wenige und zu viele freie Stellen. Erst war die hohe Arbeitslosigkeit das große Problem, dann war es plötzlich der Arbeitskräftemangel.
Blicken wir kurz zurück: Nach der Finanz- und Schuldenkrise ab 2008 gingen die Arbeitslosenraten fast überall in Europa deutlich nach oben. Vor allem junge Menschen fanden in vielen Ländern kaum noch Jobs. Zu allem Überfluss drohte der technologische Fortschritt Menschen zu ersetzen.[1] „Sie sind entlassen! Wie uns Computer und Roboter die Arbeit wegnehmen“, titelte das deutsche Magazin „Der Spiegel“ im Jahr 2016. Zwar entstanden danach mit dem wirtschaftlichen Aufschwung wieder mehr Jobs. Aber die Arbeitslosigkeit blieb hoch. Dann kam Corona und die Katastrophe schien perfekt. Über ein „Pleitevirus“, das „Jobs und Wohlstand frisst“, schrieb „Der Spiegel“. Doch im Aufschwung gab es dann plötzlich zu wenige Jobanwärter. „Wo sind die nur alle hin?“, fragte dasselbe Magazin, das nur sechs Jahre zuvor die große Massenarbeitslosigkeit an die Wand gemalt hatte (vgl. Abbildung 1).
Die schwache Konjunktur seit 2022 lässt die Arbeitslosenrate aktuell wieder (leicht) steigen. Trotzdem können allein in Österreich rund 100.000 beim Arbeitsmarktservice (AMS) registrierte Stellen nicht besetzt werden. Hinzu kommen laut Statistik Austria noch einmal knapp 75.000 offene Stellen, die nicht beim AMS gemeldet sind. Für Unternehmen ist das eine enorme Belastung – die sich wohl nicht von selbst auflösen wird. Schuld daran ist nämlich eine gefährliche Gemengelage aus demografischen Veränderungen, gesellschaftlichen Trends, misslungener Steuerpolitik, Zuwanderung und einem regionalen Mismatch. Es wird auch an der Politik liegen, die richtigen Lösungen zu finden.
Die Babyboomer-Generation geht in Pension, immer weniger Junge kommen nach. Allein diese Entwicklung würde auf dem Arbeitsmarkt schon für reichlich Spannung sorgen. Verschärft wird die Problematik aber zusätzlich dadurch, dass die von einigen Politikern geforderte Arbeitszeitverkürzung längst im Gange ist – ganz ohne rechtliche Vorgaben.
Zwar eilen wir von einem Beschäftigungsrekord zum nächsten, die gesamte, von allen Angestellten geleistete Arbeitszeit im Land ist in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren jedoch nur leicht gestiegen. In Summe arbeiten die Österreicher heute sogar weniger als noch 2019. Die Zahl der Arbeitnehmer hat seither um vier Prozent zugenommen, das Arbeitsausmaß hingegen sank um 0,5 Prozent (vgl. Abbildung 2). Für 60 Prozent der weiblichen und 20 Prozent der männlichen Teilzeitbeschäftigten ist die Vier-Tage-Arbeitswoche längst Realität.[2] Diese Entwicklung beeinträchtigt nicht nur die heimische Wertschöpfung, auch das Sozialsystem kommt unter Druck, wenn die entsprechenden Beiträge niedriger ausfallen.
Teilzeit ist ein gesellschaftlicher Trend, der sich nicht nur in Österreich zeigt. Hierzulande ist er aber besonders stark ausgeprägt – nirgendwo in der EU ist das Ausmaß der Teilzeitbeschäftigung gegenüber 2019 stärker gestiegen. Gleichzeitig ist das Ausmaß der Vollzeitbeschäftigung nur in Tschechien, Bulgarien und Rumänien stärker gesunken als bei uns. Obwohl Betreuungspflichten hier natürlich eine Rolle spielen, liegt es nicht nur daran. Dass es einen Ausbau der ganztägigen Kinderbetreuung und auch der Ganztagsschulen gerade im ländlichen Bereich braucht, ist kein Geheimnis. Aber auch Frauen und zunehmend Männer ohne Kinder entscheiden sich für Teilzeit.
Das heimische Steuersystem wirkt hier wie ein zusätzlicher Verstärker. Denn eine Reduktion der Arbeitszeit bringt nur vergleichsweise leichte Einkommenseinbußen mit sich. Oder anders formuliert: Halbiert ein Durchschnittsverdiener seine Arbeitszeit von 40 auf 20 Wochenstunden, bleiben ihm derzeit noch immer rund 60 Prozent seines Nettoeinkommens – obwohl er die Arbeitsleistung um 50 Prozent reduziert hat. Damit bekommen Vollzeitbeschäftigte in Österreich einen der schlechtesten Deals in der gesamten Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Denn umgekehrt bedeutet das auch, dass das Nettoeinkommen nach einer deutlichen Erhöhung der Arbeitszeit nur leicht steigen würde: Wenn zum Beispiel eine Person mit 20 Wochenstunden ihre Arbeitszeit um 100 Prozent erhöht (auf 40 Wochenstunden), steigt das Einkommen nach Steuern lediglich um 68 Prozent. Dieser Wert ist so niedrig wie in kaum einem anderen Land. Teilzeit wird damit auch finanziell attraktiv.
In den letzten Jahren hat sich die Politik immer wieder damit gerühmt, dass sie niedrige Einkommen steuerlich entlastet. Sogar für Menschen, die gar keine Steuern zahlen, wurden mittels Negativsteuer Entlastungspakete geschnürt. Was nach einem sozialpolitischen Erfolg klingt, bringt in Wirklichkeit das Sozialsystem mächtig ins Wanken. Steuerlich wurde damit nämlich auch die Teilzeitbeschäftigung immer attraktiver. Nach Steuern liegt der Stundenlohn der Teilzeitbeschäftigten nicht selten höher als jener der Vollzeitkräfte. Auf Frauen trifft dies sogar im Durchschnitt zu.[3] Wer so ein System konzipiert, darf sich eben auch nicht wundern, wenn die Arbeitnehmer entsprechend reagieren und weniger arbeiten.
Eine Gleichbehandlung von Teilzeit und Vollzeit lässt sich herstellen, wenn das Steuersystem nicht mehr auf die Höhe des Jahreseinkommens, sondern auf jene des Stundenlohns abzielt. Es sollte steuerlich einen Unterschied machen, ob ein Arbeitnehmer mit 38 oder mit 15 Wochenstunden 2.000 Euro brutto verdient. Wie könnte das Modell aussehen? Zum Beispiel so: Die ersten zehn Euro pro Stunde sind steuerfrei, für die darüber liegenden 40 Euro fällt ein Steuertarif von 17 Prozent an. Ein Stundenlohn von über 50 Euro wird mit einem Grenzsteuersatz von 50 Prozent belastet.[4] Das hätte den Vorteil, dass eine gut verdienende Teilzeitkraft höhere Steuersätze zahlen müsste als eine Vollzeitkraft mit dem gleichen Monatseinkommen.
Eine Alternative zur Stundenbesteuerung, die das bisherige System weniger stark verändern würde, wäre die Einführung einer zweistufigen Flat Tax.[5] Nach der Steuerfreigrenze, die aktuell bei 12.816 Euro brutto im Jahr liegt, würde dann ein Steuersatz von 17 Prozent bis zur Höchstbeitragsgrundlage (entspricht einer Steuerbemessungsgrundlage von 59.448 Euro brutto im Jahr) gelten. Das darüberliegende Einkommen würde mit 50 Prozent besteuert. Der steuerfreie Zuverdienst bis zur Geringfügigkeitsgrenze würde abgeschafft. Arbeit – und insbesondere Vollzeitarbeit – könnte so deutlich attraktiver werden. Ein durchschnittlicher Vollzeitbeschäftigter würde mit unserem Modell um jährlich 3.000 bis 4.000 Euro, Personen mit einem Einkommen an der Höchstbeitragsgrundlage um maximal 7.700 Euro im Jahr entlastet werden (vgl. Abbildung 3).
In Summe würde dies die Steuerlast der Österreicher um rund 12 Milliarden Euro im Jahr verringern. Das ist eine Menge Geld. Dennoch würde die Besteuerung des Faktors Arbeit damit lediglich auf den EU-Durchschnitt gesenkt. Zur Gegenfinanzierung braucht es eine strikte Ausgabenbremse, eine Rückführung der Förderungen und eine Pensionsreform.
Nicht nur die klassische Teilzeitbeschäftigung stellt das Steuer- und Sozialsystem vor Herausforderungen. Auch die Möglichkeit zur geringfügigen Beschäftigung ist ein Systemfehler, der noch dazu Arbeitgeber wie Arbeitnehmer zur Schwarzarbeit einlädt.[6] Die Geringfügigkeit wurde eingeführt, um Menschen ohne Job ein Sprungbrett zurück in den Arbeitsmarkt zu bieten. Sie sollten ihre Qualitäten auf diese Art unbürokratisch unter Beweis stellen und in den Arbeitsmarkt reintegriert werden können; Langzeitarbeitslosigkeit würde sich damit eher verhindern lassen, dachte man. Was in der Theorie gut klingt, hat in der Realität allerdings ein paar große Haken. Das vermeintliche Sprungbrett wird häufig zur Sackgasse, aus der Arbeitslose nicht mehr herausfinden. Aktuell dürfen Arbeitslose monatlich 518,44 Euro steuerfrei dazuverdienen, ohne ihren Anspruch auf staatliche Unterstützung zu verlieren. Eine Vollzeitbeschäftigung bringt in vielen Fällen nur leichte Einkommenszuwächse gegenüber der Kombination aus Arbeitslosengeld und Zuverdienst. Das hält viele Menschen davon ab, sich wieder einen richtigen Job zu suchen. Daher sollte der geringfügige Zuverdienst abgeschafft werden.
Fußnoten
Wirtschaftswachstum ist kein Selbstzweck und kein Fetisch neoliberaler Ökonomen oder raffgieriger Unternehmer. Ein höherer Lebensstandard ist ohne Wachstum nicht erreichbar. Auch sozial- und klimapolitische Errungenschaften rücken ohne Wirtschaftswachstum in weite Ferne. Wir präsentieren die Hebel, an denen die künftige Regierung ansetzen muss
Österreich gibt sehr viel Geld für Bildung aus – und bekommt dafür nur mittelmäßige Resultate. In Schulnoten ausgedrückt verdient der Bereich bestenfalls ein „Befriedigend“. Dabei wäre es gar nicht so schwer, Einserschüler zu werden, auf dem Bildungsmarkt gibt es viele gute Ideen. Die nächste Regierung muss das Rad also nicht neu erf
Eigentlich wollte die Regierung ja die Staatsschulden senken und die Bürger entlasten. Beides ist leider spektakulär misslungen. In der kommenden Legislaturperiode muss die Politik das Ruder herumreißen und einen Sparkurs einschlagen. Die gute Nachricht: Es gibt ziemlich viele Maßnahmen, die man setzen kann.
Der Sozialstaat ist eine Errungenschaft, um die uns viele Menschen auf der Welt beneiden – aber auch eine finanzielle Belastung, die sich immer schwerer stemmen lässt. Die nächste Regierung wird um Sparmaßnahmen nicht herumkommen, wenn das System zukunftsfit bleiben soll. Für die Bürger muss das nicht unbedingt Verschlechterungen mit sich br
Wohnen ist in Österreich nicht teurer als in anderen europäischen Ländern. Die Wohnkostenbelastung liegt unter dem EU-Schnitt. Und doch gibt es Verbesserungsbedarf: Künftige Regierungen sollten den Aufbau von Wohneigentum in der Mitte der Gesellschaft erleichtern, den geförderten Mietmarkt treffsicherer machen und dafür sorgen, dass ausreiche
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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