Innenpolitik

Wie konnte es nur soweit kommen

Dem Wirtschaftsstandort geht es schlecht. Wieder einmal. Das Einzige, was noch wächst, sind die Schulden der öffentlichen Hand. Um es mit den Worten der Klimabewegung zu sagen: Ändert sich nichts, ändert sich alles.

„The economy, stupid!“ Diesen freundlichen Hinweis soll James Carville – einer der wortgewaltigsten Berater des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton – im Jahr 1992 im Wahlkampfbüro in Little Rock, Arkansas aufgehängt haben. Niemand im Team sollte sich etwas vormachen: Ins Amt gewählt werden Regierungen, die glaubwürdige Pläne vorlegen können, wie es wirtschaftlich bergauf gehen soll. Und wiedergewählt werden sie, wenn die Pläne funktionieren. Radwege, Konsumentenschutz und Transrechte sind schön und gut. Aber gewählt oder abgewählt wird für die Wirtschaft.

Sollte das auch auf Österreich zutreffen, dann werden bei der kommenden Nationalratswahl im Herbst wohl viele Stimmzettel leer bleiben. Die beiden großen Oppositionsparteien scheinen sich für Wirtschaft gar nicht zuständig zu fühlen, auch die kleinere weiß noch nicht so recht, ob sie das Land reformieren oder lieber die Wähler beschenken will. Während die Koalitionäre haarsträubende Wirtschaftsdaten hinterlassen: Das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist seit 2019 um 1,7 Prozent zurückgegangen, in der EU tragen wir damit die rote Laterne. Sogar das in Selbstauflösung befindliche Deutschland hat minus 1,3 Prozent geschafft. Auch für die nähere Zukunft besteht wenig Hoffnung. Die Konjunkturprognosen verheißen für heuer Stagnation; mit weiter dicken Minuszeichen bei Industrie und Bau.

Zumindest die aktuelle Budgetkrise ist hausgemacht. Der Regierung rinnt das Geld durch die Finger, als wäre immer noch Krise.

Nun kann man der schwarz-grünen Hängepartie natürlich nicht jedes Problem in die Schuhe schieben. Doch erstens hatten andere Länder auch Corona und gingen trotzdem stärker daraus hervor als wir. Und zweitens ist zumindest die aktuelle Budgetkrise hausgemacht. Der Regierung rinnt das Geld durch die Finger, als wäre immer noch Krise. Bis 2027 wird jedes Jahr so viel Geld ausgegeben wie in den Corona-Jahren, in Brüssel lässt der österreichische Ausgabenrausch die Alarmglocken schrillen, für heuer muss Österreich mit einem Defizit-Verfahren rechnen. Im zuständigen Fachministerium versteht man die Aufregung nicht. Nach eigenen Berechnungen liege man bei 2,9 Prozent und damit komfortabel unter der erlaubten Dreiprozentmarke. Sie müssen sich irren, Herr Inspektor! Ich schwöre, ich hatte höchstens ein, zwei Hilfspakete und eine Strompreisbremse!

Ein blauer Brief von der EU-Kommission ist für ein Möchtegernmitglied der „sparsamen Vier“ mehr als peinlich. Überhaupt reißen die schlechten Nachrichten derzeit nicht ab. Auch die OECD ließ letzte Woche kein gutes Haar an Österreich: Schulden zu hoch, Pensionsantrittsalter zu niedrig, Inflation zu hoch, CO2-Preis zu niedrig, das Steuersystem zu wenig wachstumsfreundlich, die Kinderbetreuung mangelhaft. Und das, nachdem uns das Schweizer Institut IMD erst letzten Monat auf Rang 26 (von 67) seines weltweiten Wettbewerbsfähigkeitsrankings zurückstufen musste und Österreich eine desaströse Steuerpolitik und ein grundsätzliches Einstellungsproblem attestierte.

Wir haben ein Einstellungsproblem

Man würde das ja alles verstehen, wenn wir fünf Jahre SPÖ mit saftigen Steuererhöhungen, Preiseingriffen und allgemeiner Kollektivierung hinter uns hätten. Oder wenn die FPÖ mit ihren völkischen Fieberträumen auch noch den letzten ausländischen Investor vergrault hätte. Doch am Ruder saß die Wirtschaftspartei ÖVP. Wo aber war die Wirtschaftskompetenz, als man das Land noch lange nach den ersten Lockdowns mit Steuerzahler-Geld flutete? Wo war die Wirtschaftskompetenz, als man die Stromkostenbremse erfand, die die Preise noch aktiv in die Höhe trieb und den Landesversorgern risikofreie Bundesmilliarden zuspielte? Und wer sollte für einen ausgeglichenen Haushalt sorgen, wenn nicht ein ÖVP-Finanzminister?

Aber um fair zu bleiben: Das alles liegt nicht allein an der ÖVP. Wir Österreicher machen uns generell gerne etwas vor, das bringt uns zurück zum Einstellungsproblem: Das IMD listet uns bezüglich „Attitudes and Values“ auf einem sagenhaften 59. Platz (von 67). Bewertet wird dabei zum Beispiel die Einstellung der Bevölkerung zum Thema Globalisierung. Obwohl Freihandel für ein kleines Land wie Österreich so wichtig ist, sind in der EU nur die Franzosen noch freihandelsskeptischer als wir. Es wird außerdem beurteilt, ob es ein Bewusstsein für die Notwendigkeit sozialer und ökonomischer Reformen gibt. Man muss das wohl verneinen, wenn man jedes Jahr unter dem Gejohle der Bevölkerung fast die gesamten Lohnsteuereinnahmen zuschießen muss, um das desolate Pensionssystem über Wasser zu halten. Es wird geschaut, ob es im Land ein Verständnis von der digitalen Transformation der Unternehmen gibt. Hoffentlich wurde die Erhebung nicht online durchgeführt; bei den Downloadraten im Global Speed Test liegen wir nämlich nur ein paar Plätze vor Russland. Man könnte diese Liste noch lange fortsetzen. Am Ende heißt es dann eben: Platz 59 – Sie müssen an Ihrer Einstellung arbeiten.

Wie nun weiter?

Man könnte nun fatalistisch sein und es mit dem französischen Philosophen Joseph de Maistre halten: „Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient.“ Wenn die Menschen keine Reformen wollen, dann kann man von einer Regierung eben auch keine verlangen.

Wer einen glaubwürdigen Plan vorlegt, der die wirtschaftliche Dynamik neu entfachen kann, der kann in einer Demokratie auch Wahlen gewinnen.

Doch das wäre zu simpel. Die Zumutungen kommen so oder so; mit oder ohne Reformen. Die Wahl im Herbst wäre ein guter Zeitpunkt für alle Parteien, staatsmännisch aufzutreten. Zu zeigen, dass sie die Zeichen der Zeit erkannt haben, und nicht nur dem Volk aufs Maul schauen, wie es die Populisten tun. Wir erinnern uns: Wer einen glaubwürdigen Plan vorlegt, der die wirtschaftliche Dynamik neu entfachen kann, der kann in einer Demokratie auch Wahlen gewinnen. Das könnte sogar in Österreich funktionieren: Es braucht aber eine glasklare Zustandsanalyse und einen überzeugenden Vorschlag, wie das Land wieder auf Kurs zu bringen ist. Die Anleitung dafür ist nicht besonders schwer zu verstehen, folgende drei Kapital sollten jedenfalls nicht fehlen.

Kapitel 1: Eine Ausgabenbremse nach schwedischem oder schweizerischem Vorbild. Nur sie kann den bedrohlichen Aufwuchs der Staatsausgaben in vernünftige Bahnen lenken, und nebenbei dafür sorgen, dass Probleme nicht mehr mit geborgtem Geld zugeschüttet und nötige Reformen künftigen Generationen überlassen werden können. Entscheidend ist, dass die Staatsausgaben wieder auf das Vorkrisenniveau sinken. Nicht in absoluten Zahlen, sondern relativ zur Wirtschaftsleistung. Österreich würde dann noch immer zu den Ländern mit den weltweit höchsten Staatsausgaben zählen, aber jährlich um die 16 Milliarden Euro weniger ausgeben als derzeit.

Entscheidend ist, dass die Staatsausgaben wieder auf das Vorkrisenniveau sinken

Kapitel 2: Später in Frühpension gehen. Wegen der Ausgabenbremse müssen die Pensionen schnell wieder auf eigene Beine gestellt werden. Drei Reformen sind denkbar: a) Die Beiträge erhöhen – schlecht. b) Die Pensionen senken – ganz schlecht! Also c): länger arbeiten. Das Pensionsantrittsalter muss ab sofort um zwei Monate pro Jahr steigen, bis wir bei 67 angekommen sind.

Kapitel 3: Länder und Gemeinden in die Pflicht nehmen. Wer das Geld vom Bund zugesteckt bekommt, statt eigene Einnahmen erzielen und sie vor seinen Wählern rechtfertigen zu müssen, dem tut der Euro nicht weh. Ökonomen nennen das Fliegenpapiereffekt. Er ist gestoppt, sobald Länder und Gemeinden finanziell stärker auf eigenen Füßen stehen müssen. Die omnipotenten Landesfürsten werden doch keine Angst vor mehr Gestaltungsspielraum haben, oder doch?

Und schließlich: Kollektives Aufatmen. Die drei Reformen verschaffen dem Haushalt derart Luft, dass umfangreiche Steuersenkungen möglich werden. Und wer weiß? Vielleicht kommt ja tatsächlich eine entschlossene Staatsreform in Sicht. Zumindest Träume sind ja noch steuerfrei.

Gastkommentar von Franz Schellhorn für die “Kleine Zeitung” (22.07.2024)

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