Foto: © Hannah Schierholz
Harald Martenstein gilt als einer der populärsten Kolumnisten im deutschen Sprachraum. Er schreibt seit vielen Jahren für die „Zeit“, seit Kurzem auch für die „Welt am Sonntag“. Sein Markenzeichen ist die feine Ironie, mit der er sich die Ereignisse auf der Welt – und vor allem im deutschen Teil der Welt – vorknöpft.
Mit der Agenda Austria ist Harald Martenstein seit langem freundschaftlich verbunden. Zum 10. Geburtstag kam er deshalb nach Wien und hielt eine launige Festrede. Bei dieser Gelegenheit entstand auch der Podcast.
Darin erklärt Martenstein etwa das Wesen des deutschen Bürokratismus am Beispiel des neuen Gesetzes zur Cannabis-Freigabe: „Die Cannabis-Bürokratie beinhaltet, dass man Joints rauchen darf, aber die Entfernung zur nächsten Kindertagesstätte oder Schule muss 200 Meter betragen. Es gibt auch Regeln für die Tageszeit: In deutschen Fußgängerzonen darf zu bestimmten Tageszeiten ein Joint geraucht werden, zu anderen nicht. Das Cannabis darf in Clubs gekauft werden, aber dort darf man es nicht rauchen, nur kaufen. Und so weiter. Die Cannabis Freigabe ist eher eine Kabarettnummer als ein taugliches Gesetz.“
Schuld an solchen Schildbürgerstreichen ist für Martenstein der Hang zum Perfektionismus. „Man möchte es nicht falsch machen. Das wäre kein verdammenswertes Anliegen. Aber man braucht im Leben eine gewisse Fehlertoleranz. Wenn man etwas frei gibt, muss man sich damit abfinden, dass manche Leute auch Schindluder damit treiben.“ Überperfektionismus ortet der Kolumnist auch bei der sensiblen Sprache und im Umgang mit verschiedensten Minderheiten. Natürlich sei es wichtig, Rücksicht zu nehmen, räumt er ein. „Aber wenn Sie das in ein Regelwerk gießen und Sprachnuancen bis ins Detail vorgeben wollen, dann kippt das und man erreicht unter Umständen das Gegenteil.“
Harald Martenstein kommt politisch von weit links. In seiner Jugend war er sogar Mitglied der DKP (Deutsche Kommunistische Partei). Mittlerweile gilt er mit seinen Ansichten links der Mitte als Störenfried. Was ist da passiert? „Aus meiner Jugend kenne ich ganz viele gestandene Linke, die heute ähnlich denken wie ich“, sagt Martenstein. „Wir post-68er waren ganz stark antiautoritär eingestellt. Bei uns galt noch das Ideal der Freiheit. Die Leute sollten leben dürfen, wie sie wollen. Heute haben wir es viel stärker mit einer autoritären Linken zu tun.“ Seine einstige Sympathie für den Kommunismus lasse sich damit aber nicht erklären, gibt Martenstein zu. Die beste Begründung dafür: „Ich war mit 17 nicht der große politische Durchblicker.“
Deutschland befinde sich derzeit auf einem sonderbaren Weg, findet der Kolumnist. Einerseits werde die Stärke dieses Landes, die industrielle Basis, von Teilen der Regierung regelrecht bekämpft. Und gesellschaftspolitisch sei eine neue Lust am Bespitzeln und Vernadern erkennbar. „Es gibt ungefähr 100.000 Meldestellen für sexistische, rassistische, antifeministische Bemerkungen oder Verhaltensweisen. Das macht mich fassungslos.“ Zumal es explizit um nicht strafrechtlich relevante Vorwürfe gehen soll. „Die Zeiten haben sich geändert, sind illiberal geworden.“
Letzteres wirke sich auch auf den Humor aus, meint Martenstein. Der einstige Late-Night-Talker Harald Schmidt habe den richtigen Zeitpunkt erwischt, um zu gehen. Stattdessen gibt es nun Jan Böhmermann – von dem der Kolumnist allerdings nicht viel hält: „Das ist die Art von Humor, die ich nicht mag. Auf dem Feldherrenhügel stehen und den Leuten sagen, was gut ist und was böse. Das Gegenmodell zu Böhmermann ist für mich Gerhard Polt. Böhmermann erreicht nur Gleichgesinnte. Was Polt macht, hat Wirkung auf die Leute, die gemeint sind.
Und warum hält der Ex-Kommunist Martenstein beim Fest der wirtschaftsliberalen Agenda Austria eine Lobrede auf den Kapitalismus? „Die Leute werden sagen, jetzt ist er da angekommen, wo er hingehört.“
Zur Person:
Harald Martenstein, 70: Der gebürtige Mainzer gehört zu den populärsten Kolumnisten und Journalisten im deutschen Sprachraum. Seine Texte wurden vielfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis und dem Henri-Nannen-Preis. Martenstein hat auch mehrere Romane verfasst, sein bis dato jüngstes Werk („Wut“) erschien 2021.
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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