In Österreich sind alle Augen auf die Metaller-Streiks gerichtet. Aber nicht Arbeiter geben den Takt bei den Lohnverhandlungen vor. Sondern Beamte und Rentner.
Österreichs Beamte bekommen ab dem kommenden Jahr 9,2 bis 9,7 Prozent mehr Gehalt, darauf haben sich die Beamtengewerkschafter mit Vizekanzler Werner Kogler und Finanzminister Magnus Brunner am vergangenen Donnerstag geeinigt. Die Verhandlungen seien „hart, aber konstruktiv“ verlaufen, wie die Beamtengewerkschafter meinen. Auch die Vertreter der Regierung sind überaus zufrieden. Vizekanzler Kogler freut sich über eine rasche und faire Lösung, die für „Stabilität und Kaufkrafterhalt“ sorge, während sich Finanzminister Brunner bei der Gewerkschaft für die konstruktiven Gespräche bedankt. Man glaubt, im falschen Film zu sitzen. Die hohen Abschlüsse bei den Beamten lassen nämlich drei zentrale Schlüsse zu:
Erstens: Der erbittertste Gegner der Arbeitgeber sitzt nicht mehr auf der anderen Seite des Verhandlungstischs. Er sitzt auf der Regierungsbank. Bereits im September, also noch vor der ersten Verhandlungsrunde der Metaller, hat die Regierung eine Erhöhung der Pensionen um 9,7 Prozent verkündet. Und damit der Gewerkschaft eine unbezahlbare Argumentationslinie geliefert: „Sollen sich jene, die tagtäglich in aller Herrgottsfrüh zur Arbeit fahren, mit weniger zufrieden geben als jene, die ihr Erwerbsleben bereits hinter sich gebracht haben?“ Eine rhetorische Frage, auf die eine breite Mehrheit der Bevölkerung wohl eine recht klare Antwort hat. Mitten in der schwierigsten Phase der Verhandlungen wiederholt die Regierung das Spiel und erledigt mit der Erhöhung der Beamtengehälter ein weiteres Mal die Arbeit der Gewerkschafter: „Sollten jene, die im eiskalten Wind des freien Markts stehen, vielleicht weniger Lohnerhöhung akzeptieren als die gut bezahlten und mit unkündbaren Jobs ausgestatteten Beamten?“ Eben.
Zweitens: Die Lohnführerschaft ist still und leise von den Fabrikarbeitern zu den Pensionisten und Beamten gewandert. In Österreich diktieren nicht mehr die Metaller das Lohntempo, sondern die Pensionisten und die Beamten. Deren Abschlüsse sind mittlerweile richtungsweisend für alle Industriezweige, alle Gewerbebetriebe und sämtliche Dienstleister. In Österreich bestimmt somit der unproduktive Sektor über die Arbeitskosten des produktiven Sektors, nicht umgekehrt. Für eine Volkswirtschaft, die den Großteil ihrer Wertschöpfung jenseits der Staatsgrenzen erzielt, ist das eine schwere Hypothek. Während die internationale Konkurrenz keine automatische Inflationsabgeltung kennt, die Industrie in einer tiefen Rezession steckt, die Produktivität kaum noch wächst und die Lohnstückkosten in keinem anderen westeuropäischen Industrieland schneller steigen als in Österreich, schüttet ausgerechnet eine ÖVP-geführte Bundesregierung das Füllhorn über Beamte und Pensionisten aus. Statt im öffentlichen Dienst Lohnzurückhaltung zu üben und damit der Bevölkerung zu signalisieren, dass hohe Inflationsphasen unweigerlich mit Einkommensverlusten verbunden sind.
Drittens: Ein Blick in die Einkommensstatistik zeigt, wie erfolgreich die Beamten und Pensionisten seit Jahrzehnten lobbyieren. War es früher so, dass bescheiden entlohnte Beamte zumindest auf eine gute Pension hoffen durften, haben sie inzwischen den Jackpot geknackt. Sie bekommen alles: hohe Einkommen, hohe Pensionen und einen unkündbaren Job. Die Pension eines Beamten liegt bei durchschnittlich 3250 Euro im Monat und damit fast doppelt (!) so hoch wie jene eines normalsterblichen ASVG-Versicherten, der die Pension des Beamten erwirtschaften muss. Verdient ein Arbeiter im Schnitt 37.300 Euro brutto im Jahr und ein Angestellter 64.311 Euro, sind es bei einem Beamten 68.906 Euro. Wenig überraschend sind zwei Berufsgruppen finanziell gesehen besonders gut durch die Pandemie gekommen: Beamte und Pensionisten.
Wäre der Bundesregierung die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandorts zumindest halb so wichtig wie die „Kaufkrafterhaltung“ der Beamten und Pensionisten, dann hätte dieses Land wirklich hervorragende Chancen, das neue Silicon Valley zu werden. So aber haben wir die besten Karten, als neues Mitglied in den „Club Med“ aufgenommen zu werden. Die Qualifikation haben wir auch schon geschafft: Österreich hat pro Kopf bereits höhere Staatsschulden als Griechenland. Aber keine Sorge, solang die Beamten und die Pensionisten zufrieden sind, ist alles paletti.
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