Der Staat subventioniert die „Work-Life-Balance“ bestens situierter Arbeitnehmer. Und beklagt sich dann, dass die Wirtschaft nicht mehr wächst.
Optimisten haben dieser Tage keinen leichten Stand. Wer sich die jüngsten Konjunkturprognosen etwas genauer ansieht, weiß, dass da etwas in die falsche Richtung läuft. Österreich ist in die Stagnation abgerutscht, was nicht zuletzt an uns Konsumenten liege, wie die Chefs von WIFO und IHS vor einer Woche erklärten.
Wir kaufen nämlich zu wenig ein. Und das sei schon deshalb überraschend, weil die Einkommen so kräftig steigen wie fast nirgendwo in Europa. Die Nettolöhne werden um knapp 4,4 Prozent zulegen, die EU-Kommission geht davon aus, dass die inflationsbereinigten Arbeitseinkommen heuer nur noch in Dänemark schneller steigen als in Österreich.
Was uns Konsumenten den Spaß an der Freude genommen hat? Zum einen wohl die schlechte Laune, die verbreitet wird. Arbeitnehmervertreter hämmern uns seit Monaten ein, wie schlecht es uns allen gehe. Hohe Lohnsteigerungen könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass in vielen Haushalten eine warme Mahlzeit am Tag zum reinsten Luxus geworden sei. Weite Teile der Bevölkerung stünden vor dem Nichts, wenn der Staat nicht schleunigst die nächsten Finanzhilfen locker macht und die Unternehmen nicht endlich von der Lohnbremse steigen. Erst diese Woche hat die Gewerkschaft zum Streik aufgerufen, weil die Co-Piloten der Austrian Airlines mit mickrigen 28 Prozent mehr Lohn abgespeist werden sollten, das Bordpersonal gar nur mit 18 Prozent. Wie soll man damit über die Runden kommen, geschweige denn Geld für den Konsum übrighaben?
Gleichzeitig sehen viele Konsumenten, dass es bei ihren Arbeitgebern nicht mehr rund läuft. Eine wachsende Zahl von Unternehmen verzeichnet Auftragseinbrüche und baut Stellen ab. Das drückt auf die Stimmung, die Beschäftigten tragen die Reallohnzuwächse nicht mehr in die Geschäfte, sondern zur Bank. Zumal sie sehen, wie Produktionsstätten ins Ausland verlagert werden, weil Österreich zu teuer geworden ist. Allein die Arbeitskosten sind in den vergangenen drei Jahren um über 20 Prozent gestiegen – und damit deutlich schneller als in unseren Konkurrenzländern. Billig war Österreich zwar noch nie, aber bisher konnten steigende Belastungen über die wachsende Produktivität abgefangen werden. Die Beschäftigten produzierten in derselben Zeit einfach mehr als im Jahr zuvor, die Wirtschaft blieb wettbewerbsfähig, und damit war die Sache erledigt.
Leider haben wir diesbezüglich ein veritables Problem: Die Produktivität je Beschäftigten wächst seit zehn Jahren nicht mehr. Weil immer mehr Menschen immer weniger arbeiten. Das hat auch, aber nicht nur mit der fehlenden Kinderbetreuung zu tun. Wäre das der einzige Grund, hätte die Stadt Wien nicht die niedrigste Frauenerwerbsquote im Land, sondern die höchste. Fast die Hälfte aller Frauen über 45 ohne Betreuungspflichten arbeitet Teilzeit, auch immer mehr Männer reduzieren ihre Stundenzahl. Weil sie es sich leisten können. Das zeigt auch die jüngste Mikrozensuserhebung der Statistik Austria. Nur 15 Prozent der Teilzeitbeschäftigten würden gerne Arbeitsstunden aufstocken. 85 Prozent wollen das nicht, während unter den Vollzeitbeschäftigten jeder Fünfte gerne weniger arbeiten würde.
Der Trend, weniger zu arbeiten, hat sich mit der Corona-Pandemie kometenhaft beschleunigt. Deshalb wächst abgesehen von Deutschland und Tschechien seit 2019 auch kein Land schwächer als Österreich. Nicht, weil wir zu wenig einkaufen, sondern weil wir zu wenig arbeiten. Die Bundesregierung hat das Problem zwar erkannt, findet aber keine Lösungen. Und wenn, dann sind es die falschen: Statt die Steuern in der Mitte und am oberen Ende zu senken, wird konsequent der Eingangssteuersatz reduziert. Weshalb der Nettostundenlohn in der Teilzeit höher ist als jener in der Vollzeit. Ohne Betreuungspflichten die Arbeitszeit zu reduzieren, ist ein Privatvergnügen und kein gesellschaftlich wichtiges Anliegen, das staatlich zu subventionieren wäre.
Denn so gut sich die Reduktion der Arbeitszeit für die privaten Haushalte auch ausgehen mag, so eng könnte es für den Sozialstaat werden. In sechs Jahren werden nur noch 1,5 Erwerbstätige einen Pensionisten erhalten müssen. Das wird sich mit einer Vier-Tage-Woche und chilligen 25 Arbeitsstunden nicht machen lassen. Sondern nur mit einer Politik, die ihr Versprechen, dass sich Leistung wieder lohnen müsse, auch mit Leben erfüllt.
Kolumne von Franz Schellhorn in “Die Presse” (30.03.2024).
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