In Österreich arbeiten so viele Menschen so wenig wie noch nie. Und das liegt keineswegs nur an der fehlenden Kinderbetreuung.
Nach Lust und Laune zu völlern und ohne körperliche Ertüchtigung mit der Traumfigur in die kommende Badesaison zu starten – das wär’s. Leider entpuppen sich derartige Versprechen findiger Anbieter ausnahmslos als herbe Enttäuschung. Ein paar Minuten schweißfreies Dehnen am Tag reichen leider nicht, ohne hungern und anstrengenden Sport wird das nichts. Ganz anders ist das in der Welt der Wirtschaft: Mehr Wohlstand mit weniger Arbeit ist kein kitschiger Slogan aus einem billigen Gewerkschaftsprospekt, sondern seit vielen Jahrzehnten gelebte Realität. Schufteten unsere Vorfahren noch sechs Tage die Woche, um mit einem kargen Einkommen ein bescheidenes Leben zu führen, genießt heute eine breite Masse einen noch nie dagewesenen Massenwohlstand. Und das mit fünf Wochen bezahltem Urlaub, mehr als zehn Feiertagen, einer Fünftagewoche und einem Pensionsantritt im zarten Alter von 60 Jahren.
Hinter dieser überaus erfreulichen Entwicklung steckt kein fauler Trick. Sondern der Zauber der Marktwirtschaft, auch wenn das links der Mitte niemand hören mag. Immer höhere Investitionen führten zu immer höherer Produktivität, womit in kürzerer Zeit mehr produziert werden konnte als vorher. Die Basis für mehr Wohlstand mit weniger Arbeit war gelegt. Diese erfreuliche Entwicklung scheint in den Augen der Bevölkerung mittlerweile zu einer Art Selbstläufer geworden zu sein. Während Gewerkschafter seit Jahrzehnten erfolglos auf eine Verkürzung der gesetzlichen Arbeitszeit drängen, hat die Bevölkerung die Arbeitszeit längst runtergefahren. Wie stark die Arbeitszeit reduziert wurde, zeigt, dass in Österreich in den vergangenen 30 Jahren netto keine Vollzeitstelle geschaffen wurde. Obwohl so viele Menschen wie noch nie beschäftigt sind und die Zahl der Einwohner seither um mehr als eine Million gewachsen ist. Anders ausgedrückt: Immer mehr Leute gehen einer Beschäftigung nach, aber sie arbeiten immer kürzer. Mit 1442 Arbeitsstunden je Beschäftigungsverhältnis und Jahr liegen auch nur noch vier EU-Länder hinter Österreich.
Gemessen am hohen Wohlstand der Bevölkerung ist das keine schlechte, sondern eine gute Nachricht. Nur: So schön die Sache für viele Arbeitnehmer ist, so unerfreulich ist sie aus gesamtwirtschaftlicher Sicht. Es fehlt allerorts an Mitarbeitern, der Arbeitsmarkt ist wie leergefegt. Über 200.000 Stellen sind derzeit unbesetzt. Jede Branche ist betroffen, es fehlt an Köchen, Kellnern, Handwerkern, Lehrern, Pflegern und Ärzten, weshalb viele Spitalsbetten nur noch in einer Art Notbetrieb bewirtschaftet werden. Wer arbeiten will, macht das in den meisten Fällen nur noch vier Tage die Woche, am besten gleich von zu Hause aus. Alles deutet darauf hin, dass wir es hier mit einem echten Wohlstandsphänomen zu tun haben. Eine wachsende Zahl von Menschen kann es sich ganz einfach leisten, weniger zu arbeiten, in Unternehmen wird bereits verstärkt nach der Möglichkeit einer „Halbtagslehre“ angefragt. Offensichtlich geht sich das alles aus – hohe Inflationsraten hin oder her.
Während Arbeitnehmervertreter schlechte Arbeitsbedingungen für den Arbeitskräftemangel verantwortlich machen, rufen Politiker unbeirrbar nach einer flächendeckenden staatlichen Kinderbetreuung. Klar, das wäre fein, würde aber das Problem nicht lösen. Wäre es anders, hätte Wien die höchste Frauenbeschäftigungsquote Mitteleuropas. Nirgendwo wird ein derart dichtes Netz an kostenloser Kinderbetreuung angeboten wie in Wien – dennoch ist die Vollerwerbsquote bei Frauen in den vergangen 20 Jahren kontinuierlich gesunken. Österreichweit arbeitet rund ein Drittel aller Frauen im Alter von 35 bis 44 Jahren Teilzeit, obwohl sie keine Betreuungspflichten haben. Bei den 45- bis 54-Jährigen ist es jede zweite. Bemerkenswert: Männer mit Kindern arbeiten öfter Vollzeit als Männer ohne. Entscheidend aber ist: Fast nirgendwo in Europa ist es finanziell unattraktiver, die Arbeitszeit zu erhöhen als in Österreich. Wer rechnen kann, arbeitet Teilzeit. Das hat sehr viel damit zu tun, dass die Regierungen der letzten Jahre gezielt die untersten Einkommen steuerlich entlastet haben, womit die Teilzeit attraktiver und die Vollzeit relativ betrachtet teurer wurde.
Vielleicht wäre es ja an der Zeit, dass sich die Regierung mehr um jene kümmert, die den Laden noch zusammenhalten. Um die Betriebe, die vergeblich auf qualifizierte Zuwanderung hoffen. Um die Beschäftigten, die frühmorgens zur Arbeit aufbrechen und nicht in der glücklichen Lage sind, auf eine möglichst ausgewogene Work-Life-Balance zu achten. Weil sie länger bleiben, wenn es nötig ist. Das Mindeste, dass sich diese Menschen erwarten können, ist für ihre Mehrleistung auch mehr zu bekommen als ihnen der Staat abnimmt, um jene zu alimentieren, die dafür keinen Finger rühren. Mit dieser kleiner werdenden Gruppe der Bevölkerung gewinnt man vielleicht keine Wahlen mehr – aber ohne deren Einsatz wird sich das politische Versprechen eines Lebens in Wohlstand recht schnell als Enttäuschung entpuppen.
Kolumne von Franz Schellhorn für das “profil” (22.04.2023).
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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