Die hohe Abgabenlast, die steigenden Pensionskosten und der grassierende Fachkräftemangel sollten rasch in Angriff genommen werden.
Im ersten Jahr der türkis-blauen Bundesregierung hat sich in Österreich vieles zum Schlechteren gewendet – so sehen das zumindest eine ganze Reihe von Kommentatoren. Aus wirtschaftspolitischer Sicht kann man das aber auch anders sehen. Mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit nähert sich Österreich dem EU-Standard an, und die Straffung der Organisation der Sozialversicherungsträger ist ein Schritt im Interesse der Beitragszahler.
Aber es gibt noch jede Menge zu tun. Oberste Priorität sollte die Entlastung der Arbeitseinkommen haben, den Arbeitnehmern bleibt viel zu wenig Geld von den hohen Arbeitskosten, vor allem den Beziehern mittlerer Einkommen. Neben den Lohnsteuertarifen müssen also auch die Beiträge zur Sozialversicherung gesenkt werden, denn für die Hälfte der Arbeitnehmer spielt die Lohnsteuer kaum eine Rolle. Jede Entlastung ist aber nur ein kurzes Vergnügen, solange die sogenannte kalte Progression nicht eliminiert wird. Anstatt diesen Effekt alle paar Jahre über eine Reform der Tarifgrenzen auszugleichen, sollte sich die Regierung ein Beispiel an den europäischen Nachbarländern nehmen. In der Schweiz zum Beispiel wird jedes Jahr das Steuersystem automatisch angepasst, sodass die kalte Progression gar nicht erst entsteht.
Zum dringendsten Handlungsbedarf schweigt die Regierung eisern: Das hiesige Pensionssystem verursacht ein jährliches Defizit von rund 20 Milliarden Euro. Soll der Staatshaushalt langfristig Spielräume für Investitionen in die Zukunft haben, muss das gesetzliche Pensionsantrittsalter an die steigende Lebenserwartung angepasst werden. Gingen wir jedes Jahr zwei bis drei Monate später in Frühpension, wäre das staatliche System stabilisiert. Die Schweden machen es vor: Mit der Pensionsreform wurde der Staatshaushalt saniert, die Verschuldung ist mit knapp 38 Prozent nur halb so hoch wie in Österreich, bei ähnlich hoher Steuer- und Abgabenquote.
Völlig ungelöst ist die Finanzierung der Pflege. Bereits jetzt sind knapp 4 Milliarden Euro nicht finanziert. Die Agenda Austria plädiert für ein steuerfreies Pflegekonto, auf das jeder Bürger spätestens ab dem Alter von 45 Jahren verpflichtend einzahlt. Die Ersparnisse werden veranlagt und verzinst und im Bedarfsfall zur Finanzierung der Pflege herangezogen. Wird es nicht gebraucht, geht das Geld an die Nachkommen.
Soll das Sozialsystem in diesem Land auch in 20 Jahren noch finanzierbar bleiben, wird auch im Bildungswesen mehr passieren müssen. Fehlerhafte Integration führt zunehmend zu unzureichenden Kenntnissen in den Grundlagen Rechnen, Schreiben und Lesen bei Österreichs Schulabgängern. Die davon betroffenen Menschen werden keine Chance am Arbeitsmarkt haben, den Betrieben als Fachkräfte und dem Staat als Beitragszahler fehlen. Die Digitalisierung wird hier eine Herausforderung und eine Chance zugleich sein. Sie kann dazu genutzt werden, die Schwächen einzelner Schüler gezielt zu beseitigen.
Wir sehen also: Im Jahr 2018 ist einiges passiert, der Weg ist aber noch ein langer. Auch wenn die ersten Schritte durchaus erfolgreich gesetzt wurden.
Kommentar von Hanno Lorenz in der „Wiener Zeitung“, 07.01.2019
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