In Österreich taumelt eine ganze Generation der Altersarmut entgegen. Statt der breiten Masse den Vermögensaufbau zu erleichtern, diskutiert die Politik über neue Steuern. Schade.
Die Anlagestrategie der Österreicherinnen und Österreicher ruht im Wesentlichen auf drei Säulen: Dem Sparbuch, dem Bausparvertrag und „6 aus 45“. Angesichts der von der Europäischen Zentralbank (EZB) gefahrenen Nullzinspolitik bleibt den Bürgern dieses schönen Landes wohl nur noch die Hoffnung auf den Solo-Sechser. Zumal sich in den erlauchten Kreisen der Geldpolitiker derzeit niemand findet, der eine stichhaltige Antwort auf die Frage liefern könnte, wie denn der Weg aus der Negativzinsfalle zu schaffen wäre, ohne einen der hoch verschuldeten Eurostaaten in den Ruin zu treiben. Rechtfertigte die EZB ihre Nullzinspolitik ursprünglich noch damit, den Regierungen Zeit und Mittel zu verschaffen, um ihre Volkswirtschaften zu modernisieren, bekommen sie mittlerweile von der EZB unbegrenzt Gratisgeld, um ihre nicht modernisierten Volkswirtschaften am Laufen zu halten.
Deshalb wird die EZB die Zinsen niedrig halten und ab November 2019 auch wieder ausgiebig Staatsanleihen aufkaufen, obwohl sie bereits jetzt ein Viertel der Schulden aller Euroländer hält. Der Eifer für Reformen wird also überschaubar bleiben. Allen voran im Pensionsbereich. Schon heute sind 42 Prozent der Wähler älter als 55, womit sie die weitaus größte Wählergruppe des Landes stellen, Tendenz steigend. Deshalb werden die Pensionisten im Vorwahlkampf des Jahres 2019 mit außertourlichen Pensionserhöhungen sowie der Wiedereinführung der abschlagsfreien Rente ab 62 gefügig gemacht. Heranwachsenden Generationen werden die Nächte des parlamentarischen Wahnsinns ein Vermögen kosten, aber es ist keine gewichtige politische Kraft zu sehen, die dieser gezielten Wählerbestechung ein Ende zu bereiten im Stande ist.
Aus all dem lassen sich drei Thesen für die nähere Zukunft formulieren. These Nummer eins: Die Art und Weise, wie hierzulande gespart und vorgesorgt wird, hat ausgedient. Zehn Jahre nach Ausbruch der großen Finanzkrise sind die jährlichen Zinseinkommen der Bürger dieses Landes inflationsbereinigt um 80 Prozent gesunken. Dieser Rückgang fällt in Österreich stärker aus als in anderen Ländern, weil hierzulande vergleichsweise „sicher“ veranlagt wird. Eine Privatperson, die heute Staaten Geld leiht und deren Anleihen kauft, wird in 40 Jahren nach Abzug von Inflation, Steuern und Gebühren die Hälfte des angesparten Vermögens vernichtet haben. Wer hingegen Aktien kauft, hat zwar gute Aussichten auf den Ausbau seines Vermögens, wird aber von dem dumpfen Gefühl begleitet, ein unanständiger Spekulant zu sein, der gerade am Roulettetisch sein Glück versucht.
Das kommt nicht von ungefähr: Kapitalmärkte werden von Arbeitnehmervertretern und Politikern bei jeder sich bietenden Gelegenheit verteufelt, weshalb es hierzulande keinen entwickelten Kapitalmarkt gibt. Dafür fehlt es nicht an kapitalmarktfeindlicher Politik. Denken wir nur an die Steuerreform des Jahres 2016, als die Kapitalertrags- und Kursgewinnsteuer für Dividenden und Aktien von 25 auf 27,5 Prozent erhöht wurde, während sie für Sparprodukte unverändert blieb.
Nun könnte man einwenden, dass das alles nicht weiter tragisch sei, weil ja ohnehin der Sozialstaat über das öffentliche Pensionssystem gegen Altersarmut vorsorgt. Wozu also selbst Geld zur Seite legen? Weil die Sache nur dann funktioniert, wenn die Zahl der Einzahler in das öffentliche Pensionssystem schneller wächst als die Zahl der Pensionsbezieher. Das ist leider nicht der Fall. Prognosen der Demographen zufolge wird die Zahl der Einzahler in das bis zum Ende des Jahrhunderts um knapp 100.000 sinken, jene der Empfänger aber um 1,3 Millionen steigen. Kommen heute 1,7 Erwerbstätige auf einen Pensionisten, werden es in dreißig Jahren nur noch 1,29 sein. Mit anderen Worten: Die künftigen Generationen werden enorme Lasten zu schultern haben, sie müssen die Pensionen ihrer Vorgänger erwirtschaften, während sie selbst auf eine bescheidene Mindestpension hoffen dürfen.
Was uns nahtlos zu These Nummer zwei führt: Um zu verhindern, dass ganze Generationen in die Altersarmut taumeln, muss Österreich ein kleines Dänemark werden. Die nordischen Wohlfahrtsstaaten haben die Alterung der Bevölkerung längst erkannt und entschlossen gegengesteuert. In Dänemark liegen in der betrieblichen und privaten Pensionsvorsorge mittlerweile Ansprüche, die dem Doppelten der jährlichen Wirtschaftsleistung entsprechen. In Österreich sind es hingegen keine sechs Prozent. Während die dänischen Pensionsanwärter in Private Equity, Aktien und Immobilien investieren, wird in Österreich jeder Versuch, die zweite und dritte Säule auszubauen, skandalisiert. Das gute staatliche Pensionssystem werde gezielt schlechtgeredet, um profitorientierten Finanzkonzernen ein neues Geschäftsfeld zu öffnen. Dabei geht es eben nicht um die Privatisierung des öffentlichen Pensionssystems, sondern um dessen Absicherung. Damit nachkommende Pensionisten wie in Dänemark mehr als eine karge Einheitsrente bleibt.
These Nummer 3: Die breite Masse ist am Vermögenszuwachs zu beteiligen. Die Einnahmen des österreichischen Staates sind in den vergangenen zehn Jahren um knapp 33 Prozent gewachsen und damit fast doppelt so schnell gestiegen wie die allgemeinen Preise. Und dennoch dreht sich die politische Debatte um die Frage, welche neuen Steuern einzuführen wären. Von der Finanztransaktionssteuer, über Aktiensteuern, die CO2-Steuer, neue Klima-Importsteuern bis hin zu Erbschafts-, Schenkungs- und Vermögenssteuern ist alles im Angebot. Nur eines ist im Höchststeuerland Österreich nicht zu haben: Eine Partei, die in ihrem Wahlprogramm keine neue Steuer anzubieten hat und die sich dem Ziel verschreibt, jungen Menschen den Aufbau von Vermögen zu ermöglichen. Das Problem liegt ja nicht darin, dass hierzulande wenige Menschen so vermögend sind. Sondern darin, dass so viele Menschen überhaupt kein Vermögen haben.
Dabei hatte schon Bruno Kreisky in den späten 1960er Jahren die passende Losung ausgegeben: „Leistung, Aufstieg, Sicherheit“. Auch heute sollten die Menschen in diesem Land die Sicherheit haben, mit der eigenen Leistung den sozialen Aufstieg zu schaffen und ein Leben nach eigenen Wünschen und Vorstellungen zu führen. Dazu gehört auch der Aufbau eines bescheidenen Vermögens. Wenn aber schon Durchschnittsverdiener die Hälfte ihrer Arbeitsleistung an die öffentliche Hand abliefern müssen, fehlt diese Möglichkeit. Wie das Problem lösen ist? Ganz einfach: Indem die Steuern auf Arbeit radikal gesenkt werden und die Gegenfinanzierung nicht über neue Steuern, sondern über gebremste Staatsausgaben erfolgt. Es geht also nicht um das Kürzen öffentlicher Ausgaben, sondern um das Bremsen der Ausgabendynamik.
In weiterer Folge wäre es keine schlechte Idee, wenn der Gesetzgeber endlich damit aufhörte, den Menschen Anreize zu liefern, sich arm zu sparen. Renditeorientieres Vorsorgen lautet die Devise. In diesem Sinne wäre eine Stärkung der zweiten und dritten Säule nach dänischem Vorbild eine gute Sache. Darüber hinaus sollte die künftige Regierung die öffentlichen Ausgaben nachhaltig unter Kontrolle bringen, um sicherzustellen, dass in wirtschaftlich guten Jahren verlässlich Überschüsse erwirtschaftet werden. Diese könnten in einen Staatsfonds nach norwegischem Beispiel fließen und an den internationalen Kapitalmärkten veranlagt werden. Um auch jene angehenden Pensionisten am Vermögenszuwachs zu beteiligen, die zu wenig verdienen und selbst nicht vorsorgen können. Auf diese Art und Weise könnten sie in Zukunft völlig entspannt jeder Lotto-Ziehung beiwohnen.
Gastkommentar von Franz Schellhorn im “Trend” (02.10.2019).
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