Innenpolitik

Was sich nach dieser Wahl ändern sollte

Im "freien Spiel der Kräfte" wurden Milliarden an zusätzlichen Ausgaben beschlossen -Geld, das sich der Staat von nachkommenden Generationen leiht, ohne sie zu fragen.

Hierzulande wird immer wieder die Frage aufgeworfen, warum eigentlich permanent von Reformen die Rede ist. Österreich, ist dann oft zu hören, sei doch ein absolutes Erfolgsmodell. Das stimmt. Zählten die Bewohner dieses hübschen Landes nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu den ärmsten in Europa, gehören sie heute zu den reichsten weltweit. Zu keiner Zeit in der Geschichte war der Wohlstand der breiten Masse höher als heute, noch nie konnten sich durchschnittliche Privathaushalte so viel leisten wie dieser Tage. Auch wenn es in einem der reichsten Länder der Welt nach wie vor Armut gibt, ist das Risiko, unter der Brücke zu landen, so niedrig wie in kaum einem anderen Land der Welt. Das alles ist auch einem stark intervenierenden Sozialstaat zu verdanken, über dessen Dimensionierung sich zwar streiten ließe, dessen Existenzberechtigung aber von niemandem ernsthaft infrage gestellt wird.

Defizite sind die Regel, selbst in Jahren überschießender Einnahmen.

Wo liegt also das Problem? Vor allem einmal darin, dass dieser breite Massenwohlstand nicht erwirtschaftet, sondern zum überwiegenden Teil geliehen ist, von in-und ausländischen Gläubigern, vor allem aber von heranwachsenden Generationen. Die Jahre, in denen heimische Regierungen keine neuen Schulden aufnehmen, sind nämlich die Ausnahme. Defizite sind die Regel, selbst in Jahren überschießender Einnahmen. Diese Entwicklung ist nicht nur den amtierenden Regierungen anzulasten, sondern einer generellen politischen Unkultur, wie die vergangenen Wochen zeigten. Allein zwischen Juni und September 2019 wurden vom Nationalrat ungedeckte Schecks in der Höhe von mehr als vier Milliarden Euro ausgestellt, um die Wiederwahl der Parlamentarier zu sichern.

Das alles wird sich noch über Jahre hinaus geräuschlos finanzieren lassen. Die Europäische Zentralbank hat erst unlängst klargemacht, den Staaten weiterhin unbeschränkt Gratisgeld zu leihen. Mit diesen Mitteln steigt natürlich die Versuchung, die Modernisierung überkommener Strukturen weiter zu verschieben und darauf zu hoffen, dass das schon alles irgendwie gut enden wird. Das wird es aber nicht, weil der Zahltag kommen wird. Vor allem deshalb sollte die kommende Bundesregierung die Nullzinspolitik der EZB als historisches Geschenk annehmen und das viele Gratisgeld nicht zur Bestechung ins Alter gekommener Wähler ausgeben, sondern für die Modernisierung überkommener Strukturen. Zum Beispiel folgender:

Die Parlamentarier zur Vernunft bringen. Vorgänge wie in den Wochen vor der Wahl dürfen sich so nicht mehr wiederholen. Jene Damen und Herren Nationalräte, die für die Wiedereinführung der abschlagsfreien Rente mit 62 gestimmt haben, taten dies im vollen Bewusstsein, damit die bereits stattfindende Umverteilung von Jung zu Alt voranzutreiben. Kommen schon heute nur noch 1,7 Erwerbstätige auf einen Pensionisten, werden es in 30 Jahren 1,29 sein -vorausgesetzt, Österreich kann in der digitalisierten Welt von morgen seine hohe Wertschöpfung halten, was alles andere als sicher ist. Die nachkommenden Generationen stehen also vor einer Mammutaufgabe: Sie haben die Kosten der alternden Bevölkerung in vollem Ausmaß zu tragen, müssen sich selbst aber mit der Aussicht auf eine karge Mindestpension begnügen.

Um derartige Abstimmungen über Vorwahlgeschenke in Zukunft zu verhindern, sollte sich Österreich ein Beispiel an den Niederlanden nehmen. Sofort nach der Ausrufung von Neuwahlen legen die Vertreter der Parteien fest, über welche politische Vorhaben bis zum Wahltag nicht abgestimmt werden darf. Wird ein Bereich genannt, steht er auf jener Liste, die erst nach den Wahlen im Parlament behandelt wird.

Diese jungen Menschen haben keine Aussicht, ein Leben nach ihren Wünschen und Vorstellungen zu führen.

Die Kinder aus der Sackgasse holen. Auch wenn es nicht mehr ganz neu ist: Jahr für Jahr verlassen Tausende junge Menschen die staatlichen Pflichtschulen, ohne ausreichend lesen, schreiben und rechnen zu können. Fast jeder fünfte 15-Jährige kann nicht sinnerfassend lesen, ungefähr gleich viele Jugendliche beherrschen die Grundrechnungsarten nicht. Das sind Durchschnittsangaben; viele Schulen in größeren Städten wären mit diesen Werten hochzufrieden. Was das bedeutet, ist klar: Diese jungen Menschen haben keine Aussicht, ein Leben nach ihren Wünschen und Vorstellungen zu führen, weil sie keinerlei Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Am härtesten trifft es Kinder aus bildungsfernen Schichten, denen es an Deutschkenntnissen fehlt.

Ganz ähnlich war die Lage vor 20 Jahren in London. Öffentliche Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern aus Zuwandererfamilien fielen bei den nationalen Bildungstests mit verheerenden Ergebnissen auf. Unter der Labour-Regierung wurde daraufhin die “London Challenge” gestartet. Problemschulen bekamen mehr Geld und die Chance, besser zu werden. Sie wurden mit jenen Schulen vernetzt, die bessere Ergebnisse erzielten; die Direktoren konnten sich die Lehrer frei aussuchen und die für den Beruf weniger geeigneten auch kündigen. Innerhalb von fünf Jahren mussten die Schüler deutliche Fortschritte gemacht haben, andernfalls wurden die Schulen zugesperrt. Das Projekt war ein großer Erfolg; noch heute zählen die Londoner Schulen zu den besten öffentlichen des Landes.

Daran sollte sich Österreich ein Beispiel nehmen. Voraussetzung dafür wären mehr Autonomie und mehr Transparenz. Die Ergebnisse der Schulen bei den Bildungstests müssten veröffentlicht werden, denn die Eltern haben schließlich ein Recht, zu erfahren, wie gut die Schule ihrer Kinder abschneidet. Damit würde der Druck auf die Direktoren und in weiterer Folge auf die Behörden und Politiker steigen, die Lösung des bekannten Problems entschlossen anzugehen.

Den Vermögensaufbau ermöglichen. Ungeachtet überschießender Staatseinnahmen dreht sich die politische Debatte immer wieder um die Frage, wie Vermögen höher besteuert werden könnten. Das kann man natürlich machen. Das Problem liegt allerdings weniger darin, dass in Österreich so wenige Menschen so hohe Vermögen haben, sondern dass so viele Menschen über gar kein Vermögen verfügen. Das ist nicht überraschend, wenn bereits Durchschnittsverdiener die Hälfte ihrer Arbeitsleistung an die öffentliche Hand abliefern müssen.

Alle Steuersätze auf Arbeit sollten deutlich sinken, der Eingangssteuersatz auf 15, der Spitzensteuersatz auf 45 Prozent.

Wie das Problem zu lösen ist? Ganz einfach: Indem die Steuern auf Arbeit radikal gesenkt werden und die Gegenfinanzierung nicht über neue Steuern, sondern über gebremste Staatsausgaben erfolgt. Alle Steuersätze auf Arbeit sollten deutlich sinken, der Eingangssteuersatz auf 15, der Spitzensteuersatz auf 45 Prozent. Jeder Mitarbeiter sollte bis zu 3000 Euro im Jahr an Gewinnausschüttung erhalten können, ohne dass auch nur ein Cent davon an die Sozialversicherung oder an das Finanzamt geht.

Etwas später in Frühpension gehen. Um den Jungen einen finanzierbaren Sozialstaat zu hinterlassen, reicht es eben nicht, das faktische Pensionsalter zu erhöhen. Damit verschiebt sich das Problem nur nach hinten, weil mit längerer Arbeitszeit auch die Pensionsansprüche steigen. Wir müssten also für dieselbe Pension länger arbeiten, deshalb muss das gesetzliche Pensionsantrittsalter mit der Lebenserwartung steigen.

Die nordischen Wohlfahrtsstaaten haben die Alterung der Bevölkerung längst erkannt. In Schweden steigt das gesetzliche Pensionsalter auf 69, während in Dänemark für die angehenden Pensionisten enorme Summen privat angespart wurden. In der betrieblichen und privaten Pensionsvorsorge liegen Ansprüche, die dem Doppelten der jährlichen Wirtschaftsleistung entsprechen. In Österreich sind es hingegen keine sechs Prozent. Während die dänischen Pensionsanwärter in Private Equity, Aktien und Immobilien investieren, wird in Österreich jeder Versuch, die zweite und dritte Säule auszubauen, skandalisiert: Das gute staatliche Pensionssystem werde gezielt schlechtgeredet, um profitorientierten Finanzkonzernen ein neues Geschäftsfeld zu öffnen. Dabei geht es eben nicht um die Privatisierung des öffentlichen Pensionssystems, sondern um dessen Absicherung. Damit nachkommenden Pensionisten wie in Dänemark mehr als eine karge Einheitsrente bleibt.

In Ländern wie Dänemark wird auch nicht dauernd über Reformen diskutiert. Sie werden einfach umgesetzt, ob von linken, konservativen oder liberalen Regierungen. 

Gastkommentar von Franz Schellhorn im Profil (30.09.2019).

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