Ein Gasembargo der EU wäre eine der schärfsten Waffen, um Russland in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine etwas entgegenzusetzen. Doch leider haben sich die EU-Staaten in den letzten Jahrzehnten derart von russischem Gas abhängig gemacht, dass der Schuss nach hinten losgehen könnte. Welche wirtschaftlichen Konsequenzen müsste Österreich befürchten, wenn kein Gas mehr aus Russland käme?
Ein europaweit abgestimmtes Gasembargo wäre zweifellos eine besonders wirkungsvolle Sanktion gegen Russland. Das Regime verdient allein mit dem Export von Erdgas in die EU geschätzte 660 Millionen Euro pro Tag[1] und hat es durch geschickte Devisenpolitik geschafft, den Rubelkurs auf das Vorkriegsniveau zurückzubringen. Zwar würde ein Gasembargo nicht automatisch zu einem Abbruch der Kampfhandlungen führen. Aber der Druck würde zunehmen. Umso mehr, als Russland für das Gas so schnell keine neuen Abnehme auftreiben könnte.
Auf der anderen Seite ist Europa aber zu einem hohen Grad abhängig von den russischen Gasimporten. Ein nun sofortiger Importstopp käme uns teuer zu stehen. Vor allem Deutschland und Österreich sperren sich deshalb gegen ein Embargo. Dennoch wird diese Frage beim nächsten EU-Gipfel Ende Mai wieder auf dem Tisch liegen. Es ist also wichtig, die Folgen eines Importstopps von russischem Gas abzuschätzen, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Die Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien wurden Ende April von russischer Seite eingestellt.
Österreich verbraucht pro Jahr Erdgas im Umfang von rund 90 Terawattstunden. Der bei weitem größte Teil davon kommt aus Russland. Kurzfristig kann Österreich diese Energiemengen aus eigener Kraft unmöglich ersetzen. Nach Daten der Statistik Austria steuern heimische Förderstätten (etwa im Wiener Becken oder im Alpenvorland) nicht einmal zehn Prozent des Bedarfs bei. Andere europäische Partner könnten so kurzfristig nicht in diesem Umfang einspringen. Der Umstieg auf andere Energieträger würde erhebliche Investitionen erfordern und lange dauern. Dazu kommt, dass der Wirkungsgrad vieler Produktionsanlagen erheblich sinken würde, wenn sie mit Strom statt mit Gas betrieben werden müssten. Als Alternativen zu russischem Gas sollten vor allem andere Vorkommen in Europa (bspw. Norwegen) stärker genutzt und der Einkauf auf dem internationalen Markt für Flüssiggas (LNG – Liquefied Natural Gas) forciert werden. Darüber hinaus sollten auch Vorkommen geprüft werden, aus denen derzeit nichts gefördert wird.[2]
Zu Beginn der Diskussion um ein Gasembargo standen oft die Privathaushalte im Vordergrund. Man könne ja im kommenden Winter – um mit den Worten des deutschen Altbundespräsidenten Joachim Gauck zu sprechen – ein bisschen „frieren für die Freiheit“ [3] und mittelfristig würden sich dann Alternativen finden lassen. Immerhin geht die Europäische Kommission davon aus, dass schon bis Ende 2022 zwei Drittel der russischen Erdgasimporte durch LNG und andere Quellen ersetzt werden könnten. [4] Doch es sind nicht die Haushalte, die von einem Embargo am meisten betroffen wären. Den größten Teil verbraucht die Industrie. Der Energiesektor nutzt Erdgas zum Beispiel zur Wärmeerzeugung. Die anderen Sektoren des produzierenden Gewerbes benötigen es hauptsächlich als Energiequelle. Vor allem die Metallerzeugung, die Papierindustrie, aber auch der Bergbau und der Verkehrssektor hängen ganz erheblich davon ab. Auch die chemische Industrie verbraucht Erdgas – und zwar nicht nur als Energiequelle, sondern auch als Vorprodukt zum Beispiel für die Herstellung von Düngemitteln. Viele große Gasverbraucher erzeugen auch Fernwärme, die dann auch von den privaten Haushalten genutzt wird.
Die Österreichische Nationalbank (OeNB) legte im April eine Berechnung vor. Sie schätzt, dass ein kompletter Ausfall russischer Gasimporte 3,1 Prozentpunkte des inflationsbereinigten (realen) Wirtschaftswachstums kosten könnte; nach dieser Prognose wäre die Gesamtentwicklung im Aufholprozess nach der Coronakrise aber immer noch leicht positiv. In Deutschland gibt es dazu eine Reihe von Studien. Der Sachverständigenrat (2022) fasste die Prognosen jüngst zusammen und hält für Deutschland einen Wirtschaftseinbruch um bis zu sechs Prozent für möglich. Auch die aktuelle Prognose der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose liegt etwa in dieser Größenordnung. Zwar ist Deutschland auf dem Papier weniger von russischem Gas abhängig als Österreich. Dafür hat Deutschland mehr Industrie und könnte daher wirtschaftlich stärker betroffen sein.
Fußnoten
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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