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Statt noch wochenlang mit den US-Demokraten über die verlorene Wahl zu trauern, könnten wir Europäer unsere Energien ja auch dazu verwenden, endlich selbst etwas auf die Reihe zu kriegen.
Für viele Europäer ist in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch eine Welt zusammengebrochen. Nicht nur für sie, in aller Welt waren Menschen fassungslos, dass die Bürger der Vereinigten Staaten Donald Trump neuerlich zum Präsidenten wählen konnten. Das gilt insbesondere für viele Medienschaffende rund um den Globus, denen nun wirklich nicht vorzuwerfen wäre, die Wahlen in den USA auf die leichte Schulter genommen zu haben. Sie haben nach Kräften versucht, die US-Bürger wachzurütteln und die Welt darüber aufzuklären, wer Donald Trump wirklich ist: Ein verurteilter Straftäter, ein faschistoider Narziss, der die Welt in die Finsternis führen wird. Ein gnadenloser Populist, den nur schießwütige Hinterwäldler gut finden können. Es hat nur (wieder einmal) niemanden interessiert. Die Bürger der USA wollen einen Wechsel. Sie haben genug von der illegalen Migration, von stark steigenden Preisen und täglichen Belehrungen durch Politiker und Medienschaffenden, wie sie ihr Leben zu leben und wen sie zu wählen haben. Es waren nicht die weißen Eliten und Milliardäre, die Trump zurück ins Weiße Haus führten, sondern die marginalisierten Gruppen, die früher demokratisch wählten.
Jetzt könnten wir Europäer uns noch wochenlang ausgiebig über den Charakter des frisch wiedergewählten US-Präsidenten auslassen. Ja, der US-Präsident nimmt es mit der Wahrheit nicht sehr genau, er ist auch noch stolz darauf. Und nein, das ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine ernst zu nehmende Gefahr für die Glaubwürdigkeit demokratischer Institutionen. Aber es ist völlig irrelevant, wie wir Europäer darüber denken. Niemand interessiert sich dafür, was wir vom Ausgang der US-Wahl halten. Wir stehen nicht auf dem Spielfeld, wir sitzen bestenfalls auf der Tribüne.
Statt sich am wiedergewählten US-Präsidenten abzuarbeiten, sollten wir uns darauf konzentrieren, endlich selbst etwas auf die Reihe zu kriegen. Es liegt nicht an Donald Trump, dass Europa wirtschaftlich immer weiter hinter die USA zurückfällt. Sondern daran, dass wir Europäer unsere Wirtschaft gnadenlos in Grund und Boden regulieren und es nicht schaffen, einen gemeinsamen Kapitalmarkt auf die Beine zu stellen. Europas Wirtschaft ist zu 75 Prozent von Banken finanziert und zu 25 Prozent über den Kapitalmarkt – in den USA ist es genau umgekehrt. Während überregulierte europäische Banken keine Kredite mehr an innovative, riskante Start-ups vergeben dürfen, werden sie in den USA mit privatem Risikokapital überschüttet. Weshalb viele europäische Innovationen in den Vereinigten Staaten umgesetzt werden, während sich Europa in endlosen Debatten und gegenseitigen Schuldzuweisungen verliert. Ohne gemeinsamen Kapitalmarkt gibt es keine Zukunft in Wohlstand und sozialen Frieden.
Und ja, Europa droht ein folgenschwerer Handelskrieg mit den USA, der nicht zuletzt die österreichische Exportwirtschaft hart treffen wird. Trump hat angekündigt, bis zu 20 Prozent hohe Zölle auf Einfuhren einzuheben. Der Hang zum Protektionismus ist eine der vielen Schattenseiten des nächsten US-Präsidenten. Das ändert nur nichts daran, dass wir Europäer vor acht Jahren die Möglichkeit hatten, einen Freihandelsvertrag mit den USA abzuschließen. Das wollten wir aber nicht, weil wir lieber den Schauergeschichten manipulativer NGO’s lauschten. Jetzt haben wir alle die Folgen dieser kolossalen Fehlentscheidung zu tragen. Wir Österreicher zählten neben den Deutschen übrigens zu den größten Gegnern eines Freihandelsabkommens mit den Vereinigten Staaten, was uns freilich nicht davon abhält, uns heute als großes Opfer des Protektionisten Donald Trump zu inszenieren.
Und ja, auch sicherheitspolitisch brechen für Europa härtere Zeiten an. Das hat aber seine positiven Seiten. Es ist nämlich höchste Eisenbahn, dass wir Europäer erwachsen werden und erkennen, selbst für die Verteidigung unserer Staatsgrenzen verantwortlich zu sein. Wenn sich Deutschland im Ernstfall nur zwei Tage verteidigen kann, weil der größten europäischen Volkswirtschaft danach die Munition ausginge, dann ist das nicht die Schuld Donald Trumps. Sondern jene aller deutschen Bundesregierungen, die in der Vergangenheit lieber in den Ausbau der sozialen Sicherheit investierten als in die militärische. Das muss sich ändern. Wir Europäer müssen endlich in die Gänge kommen, wer jetzt den Schuss noch nicht gehört hat, dem ist nicht mehr zu helfen.
Gastkommentar von Franz Schellhorn für “Die Presse” (08.11.2024)
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