Die Modernisierung der Arbeitszeit hat sich das kommunikative Chaos der vergangenen Tage nicht verdient. Ein paar klärende Worte zur Regierungsvorlage über den Zwölfstundentag und zum heftigen Widerstand dagegen.
Die Regierung hat recht: 100 Jahre nach der gesetzlichen Verankerung des Achtstundentags ist es höchst an der Zeit, die Arbeitszeitregelungen in Österreich zu flexibilisieren.
Schließlich ist die Produktion individueller geworden und Unternehmen stärker von Auftragsspitzen abhängig. Arbeit sollte also verstärkt dann geleistet werden, wenn sie anfällt, will man als Arbeitgeber keine Aufträge und Kunden verlieren.
Zugleich hat die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen ganz anderen Stellenwert als noch vor wenigen Jahrzehnten, der Trend zu einer stärkeren Selbstbestimmung des Arbeitsalltags ist auch unabhängig von der Familiensituation augenscheinlich. Die Wirtschaftskrise von 2008 hat zudem gezeigt, wie wichtig es ist, im Fall von Auftragseinbußen mit Kurzarbeit oder Arbeitszeitkonten statt Entlassungen zu reagieren. Mehr Flexibilität schafft mehr Arbeit. Sie ist also ein wichtiger Bestandteil eines künftig erfolgreichen Wirtschaftsstandorts und damit auch der Wohlstandssicherung aller.
Der Plan der Regierung, die Arbeitszeiten so zu flexibilisieren, dass täglich maximal zwölf und wöchentlich maximal 60 Stunden gearbeitet werden können, ist zu begrüßen. Gegen die Gesetzesinitiative ist nun viel Kritik laut geworden, zum Teil berechtigt, zum größeren Teil aber stellt sie sich bei genauer Betrachtung als bloße Rhetorik heraus.
So bezichtigen SPÖ und Gewerkschaft die Regierung des “Lohnraubs”, obwohl sich die Voraussetzung für die Auszahlung von Überstunden bei Gleitzeit gar nicht ändert, wie etwa der Arbeitsrechtler Roland Gerlach in der “Kleinen Zeitung” betont: Die Zuschläge fallen eben nicht weg. Wer seine Arbeitszeit frei einteilen kann, wird auch künftig die Mehrarbeit über Freizeitblöcke konsumieren können, angeordnete Überstunden sind wie bisher zuschlagspflichtig.
Die Arbeiterkammer warnt in einem Faktencheck zudem, dass die “60-Stunden-Wochen zum Normalfall werden”. Diese Warnung ist aber falsch. Denn auch künftig gilt die Beschränkung auf eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden über den Durchrechnungszeitraum von 17 Wochen. Andere europäische Länder mit höheren Höchstarbeitszeiten wie etwa Dänemark zeigen zudem, dass es nur wegen einer solchen flexiblen Regelung noch nicht zu einem Anstieg der durchschnittlichen Arbeitszeit für alle kommen muss (siehe Grafik). In Österreich wird demnach bereits heute relativ lange gearbeitet, dafür gibt es hierzulande auch mehr Feiertage als international üblich.
Die tägliche oder wöchentliche Höchstarbeitszeit ist offenbar nur ein Faktor unter vielen, wenn es darum geht, wie Arbeitszeiten tatsächlich gelebt werden. Die Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen, Überstundenzuschläge, Pflegebedarf in der Familie und auch die individuelle Präferenz für Freizeitblöcke spielen eine Rolle.
Zudem beklagen SPÖ, Arbeiterkammer und Gewerkschaft lautstark, dass bei dieser Neuregelung über die Sozialpartner “drübergefahren” werde. Diesem Urteil schließt sich auch der Bundespräsident an: Die Materie hätte “schon im Vorfeld mit den Sozialpartnern besser behandelt” werden sollen, rügte der Bundespräsident. Dabei hatten ebendiese Sozialpartner von der vergangenen Regierung den Auftrag bekommen, die Arbeitszeitflexibilisierung zu verhandeln, und sind daran trotz monatelanger Verhandlungen gescheitert.
Klar ist aber, dass die Arbeitszeitflexibilisierung das kommunikative Chaos der vergangenen Tage nicht verdient. Nicht nur, dass in der Diskussion durchschnittliche Wochenarbeitszeiten mit maximal zugelassenen Höchstarbeitszeiten vermischt werden, irritiert auch noch die Arbeitgeberseite mit faktisch falschen Aussagen zur Auszahlung von Überstundenzuschlägen, und Regierungsmitglieder geben nur vage Angaben zur Freiwilligkeit der Mehrarbeit.
Wenn dieses Chaos um die Details des Vorschlags eines zeigt, dann dass es nicht nur ein Potenzial zur Flexibilisierung, sondern auch zur Vereinfachung des österreichischen Arbeitsrechts gibt. Unter Juristen gibt es nicht umsonst das Bonmot, dass sich mit dem Arbeitsrecht nur noch jene auskennen, die sich Vollzeit damit beschäftigen – dem Teilzeittrend zum Trotz.
Wenn die Regierung noch ein paar Stunden ihrer Arbeitswoche dafür aufwenden möchte, die Vorteile für die Beschäftigten in Österreich herauszuarbeiten, wäre das sicherlich keine verlorene Zeit. Dass der Wirtschaftsstandort dadurch gestärkt wird, ist unbestritten. Aber es ist unnötig zu suggerieren, dass alle immer von dieser Regelung profitieren werden, wie es die Wirtschaftskammer mit ihrem Klamauklied suggeriert (“Geht es Werner gut, dann geht es Erna gut”). Ganz unabhängig von der Gräuel- und der Verzückungspropaganda bietet die Flexibilisierung viele Chancen. Zusammen mit einer konsequenten Steuerentlastung sowie Impulsen in der Bildungs- und Forschungspolitik wäre die Ausgangslage für die nächsten 100 Jahre Republik gar nicht so schlecht.
“Kommentar der Anderen” von Wolfgang Nagl und Lukas Sustala im „Standard“, 19.06.2018
Die Regierung hat sich darauf verständigt, die tägliche Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden zu erhöhen.
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