Klima

Von den echten und den falschen Klimahelden

Junge Menschen kämpfen für den Erhalt eines Dorfes in Nordrhein-Westfalen. Aber warum eigentlich? Langfristig betrachtet, ist fossile Energieerzeugung in Europa so oder so überhaupt kein Thema mehr.

Klimaaktivistinnen und -aktivisten haben keinen einfachen Job. Die junge Frau, die letzte Woche in der deutschen Tagesschau zu Wort kam, bot wirklich einen bemitleidenswerten Anblick. Sieben Stunden hatte sie in der Kälte auf einem Pfahl gesessen, um das Geisterdorf Lützerath vor den Braunkohlebaggern zu retten. Nun sehne sie sich nach ein bisschen Wärme und dringend aufs Klo müsse sie auch. Doch das Dorf falle. Es gebe leider viel Hoffnungslosigkeit.

Der Klimabewegung gebührt zweifellos das Verdienst, die Politik bei diesem Thema beim Wort zu nehmen. Das ist wichtig und sogar bewundernswert. Und natürlich muss Protest manchmal extrem sein, Grenzen überschreiten und dort stattfinden, wo es auffällt. Wenn dadurch ein paar Autofahrer im Stau stehen oder Bilderrahmen zu Bruch gehen, dann ist das eben so. Die gekünstelte Empörung darüber ist schließlich genauso überzogen, wie die Aktionen selbst. Aber Lützerath? Hoffnungslosigkeit? Von welcher Welt sprechen die eigentlich?

Was bei Fridays-for-Future noch irgendwie süß war, muss man erwachsenen Aktivistinnen und Aktivisten schon vorwerfen können: Von Klimapolitik haben sie keine Ahnung.

Was bei Fridays-for-Future noch irgendwie süß war, muss man erwachsenen Aktivistinnen und Aktivisten schon vorwerfen können: Von Klimapolitik haben sie keine Ahnung. Und sie leiden unter dem, was der Harvard-Psychologe Steven Pinker als „Progressophobia“ bezeichnet hat: Das systematische Verkennen von gesellschaftlichen Fortschritten und das Verharren in den immer gleichen anklagenden Narrativen. Es ist so, als würden wir heute noch gegen den Vietnamkrieg oder gegen die Stationierung von Pershing-2-Raketen in Deutschland demonstrieren.

Die wahren Klimahelden tragen keine Antifa-Kapuzenpullis, sondern in aller Regel Hemd und Krawatte. Sie sitzen auch nicht auf Bäumen, sondern in Konferenzräumen in Brüssel oder an den Strombörsen in Paris oder Leipzig. Sie waren es, die zum Beispiel 2005 den EU-weiten Emissionszertifikatehandel eingeführt haben. Da war Greta Thunberg gerade zwei Jahre alt. Sie waren es auch, die das Paris Agreement zustande gebracht oder etwas so Kompliziertes wie den CO2-Grenzausgleichsmechanismus CBAM gebastelt haben, weil es eben nichts nützt, wenn nur Europa klimaneutral wird, alle anderen Länder aber umso schmutziger werden.

Vor allem der Energiesektor und die Industrie stoßen inzwischen über ein Drittel weniger aus als noch 1990, obwohl sie immer mehr produzieren.

Und weil in der EU schon seit mindestens 20 Jahren ernsthaft Klimapolitik gemacht wird, fallen die CO2-Emissionen wie Blei. Vor allem der Energiesektor und die Industrie stoßen inzwischen über ein Drittel weniger aus als noch 1990, obwohl sie immer mehr produzieren. Und da sie dem Zertifikatehandel unterliegen, werden sie garantiert klimaneutral. Denn die EU setzt ihnen damit ein Emissionsbudget, das jedes Jahr kleiner wird. Wer innerhalb dieses Budgets wie viel ausstoßen darf, machen sich die Unternehmen am Markt aus. 2050 ist damit dann Schluss. Das ist eben der Punkt, der bei dem Spektakel in Lützerath nicht verstanden wird: Wenn die Kohle unter dem Dorf verstromt wird, dann muss RWE dafür Emissionszertifikate verbrauchen. Man munkelt zwar, das Unternehmen habe reichlich davon gebunkert, aber jedes Zertifikat kann eben nur ein Mal genutzt werden und steht danach für niemanden mehr zur Verfügung. Ob wir nun diese Kohle verbrennen oder eine andere, ist dem Planeten egal.

Bei Umweltminister Robert Habeck schien der Groschen übrigens noch am selben Abend live in den Spätnachrichten zu fallen: Erstaunlich finde er es, dass manche behaupteten, der Zertifikatehandel regle die Energiewende von allein. Wenn das stimme, so Habeck, dann wäre es ja völlig sinnlos gewesen, den deutschen Kohleausstieg per Gesetz vorzuziehen.

Ja, stimmt! Genauso ist es!

Langfristig ist fossile Energieerzeugung in Europa so oder so kein Thema mehr. Schon im letzten Jahr lag der Preis für eine Tonne CO2 an den Börsen zeitweise bei fast 100 Euro. Ein teurer Spaß, der die Energiekonzerne längst zum Umplanen gezwungen hat. Die jungen Menschen in den Bäumen dürften ihnen dabei ziemlich egal sein. Die pflückt die Polizei schon herunter. Aber die CO2-Preise werden bis 2050 steigen und steigen. Dagegen hilft kein Gesetz; das ist IST das Gesetz.

Es gilt auch noch eine ganze Reihe von klimaschädlichen Subventionen abzuschaffen, weil sie weder ökologisch, noch sozial und schon gar nicht fiskalisch sinnvoll sind.

Und dennoch: Ganz umsonst war das Opfer der jungen Aktivistin durchaus nicht. Den Druck auf die Politik hochzuhalten, ist eine gute Sache. Schließlich sind viele Themen lange verschleppt worden. Der Verkehrssektor stößt munter immer mehr CO2 aus; er wird nun erst ab 2027 einem EU-weiten Zertifikatehandelssystem unterworfen. Es gilt auch noch eine ganze Reihe von klimaschädlichen Subventionen abzuschaffen, weil sie weder ökologisch, noch sozial und schon gar nicht fiskalisch sinnvoll sind. Und dann wäre da noch die Herkulesaufgabe, die komplette Welthandelsarchitektur neu aufzustellen, damit CO2-Emissionen nicht einfach in Länder ausgelagert werden können, in denen man es mit Umweltvorschriften nicht so genau nimmt.

Noch viel zu tun also für die Klimahelden in Hemd und Krawatte! Die in den Bäumen können sie dabei auf Trab halten. Aber ein bisschen mehr Hoffnung und Information würden ihnen dabei gut zu Gesicht stehen. Und Gewaltlosigkeit auch. Lützerath war jedenfalls eine Themenverfehlung.

Gastkommentar von Jan Kluge für “Standard” (17.12.2022).

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