Österreichs Wirtschaft hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern durch die Auswirkungen der Pandemie einen großen Einbruch erlebt. Warum ist das so?
Franz Schellhorn: Dem etwas lockeren Lockdown ist im November ein besonders strenger gefolgt. Das hat sich in Wien, Tirol und Salzburg besonders im Tourismus bemerkbar gemacht, aber auch konsumnahe Dienstleistungen sind um ein Viertel eingebrochen. Gemeint sind etwa Friseure, aber auch der Kultur- und Unterhaltungsbereich. Zum Vergleich: In der Schweiz hatten Friseure immer offen. Es waren auch viele Arbeitnehmer aufgrund der hohen Infektionszahlen krank und sind ausgefallen. Das drückt die Wirtschaftsleistung. Auch die großzügigen Staatshilfen haben Wirkung gezeigt. Die Kurzarbeit hat zwar die Kaufkraft der Arbeitnehmer stabil gehalten. Man verdient aber dasselbe, egal ob man 30 oder 80 Prozent arbeitet. Das ist kein großer Anreiz zu arbeiten. Und viele Unternehmen haben aufgrund des großzügigen Umsatzersatzes nicht aufgesperrt.
Wann wird sich die Wirtschaft wieder erholen?
Der Ausfall der Wintersaison wird sich heuer noch stärker bemerkbar machen als 2020, da die Wertschöpfung im Wintertouris mus in Österreich besonders hoch ist. Der Aufschwung, der für heuer erwartet wurde, wird sich also nach hinten verschieben.
Tirol ist wirtschaftlich besonders abhängig vom Tourismus. Wird es heuer überhaupt eine Erholung geben?
Ganz Westösterreich wird heuer wohl schlecht dastehen. Das betrifft die Hotellerie, aber auch ihre ganzen Zulieferer. Insofern ist die Frage der Überförderung von Tourismusbetrieben dem Förderneid geschuldet. Die stark ausgeprägte Neidkultur hat auch bei den Liftbetreibern zugeschlagen. Es wird ja oft so getan, als hätten die Skilifte aus reiner Geldgier aufgesperrt. Die Auslastung ist verheerend, die wirtschaftliche Situation vieler Liftbetreiber ist katastrophal. Da kann man nur hoffen, dass nicht allzu viele für immer zusperren.
Dienstleister haben jetzt wieder geöffnet, es braucht Eintrittstests, die Geschäfte laufen wieder, aber vielerorts offenbar wegen der geforderten Tests nicht so gut. Wird es viele Pleiten geben?
Generell ist die Eigenkapitaldecke der österreichischen Betriebe dünn. Die kleinen Unternehmen sind in einer noch schlechteren Situation als die größeren. Wir müssen also von einem starken Anstieg von Pleiten bei Ein-Personen-Unternehmen und kleinen und mittleren Unternehmen ausgehen. Wir haben in wirtschaftlich guten Jahren pro Woche im Schnitt etwa 100 Insolvenzen, derzeit sind es unter 40. Und das nicht, weil es der Wirtschaft gut geht, sondern weil Finanzämter und Sozialversicherungen nicht fällig stellen und staatliche Förderungen viele Betriebe über Wasser halten. Aber irgendwann werden die Hilfen auslaufen und viele Unternehmen schlittern dann in den Konkurs. Der Staat kann nicht jeden Job und jeden Betrieb retten. Wir stehen vor der Alternative, entweder die Förderungen zurückzufahren oder weiterlaufen zu lassen. Dann wird eine Art “Zombiewirtschaft” entstehen. Es werden also Betriebe am Leben gehalten, die eigentlich nicht lebensfähig wären. Gesunde Firmen zu retten, macht Sinn, aber für die schwächeren kommen nach der Krise sehr harte Zeiten.
Wird der Tourismus in Tirol durch die Ereignisse des vergangenen Jahres (Anm.: starke Verbreitung des Coronavirus durch Urlauber in Ischgl, Mutation des Virus und seine Ausbreitung in Tirol) längerfristig leiden?
Man kann davon ausgehen, dass es im Tourismus eine starke Erholung geben wird. Die Pandemie wird irgendwann vorbei sein, das Ende wird nur leider immer wieder nach hinten geschoben. Das drückt auf die Psyche und die Zuversicht. Wenn diese Krise vorbei ist – und sie wird vorbeigehen –, werden die Menschen wieder reisen wollen. Und sie werden sich auch wieder mehr in die Berge begeben. Da wird Tirol einen Vorteil haben. Die Frage ist, wie groß der Imageschaden für Tirol ist und wie sehr die jetzige Situation an den Eigenkapitalpolstern der Betriebe nagt.
Werden alle Hotels wieder aufsperren?
Es wird im Tourismus sicher zu einer Bereinigung kommen. Das wird möglichweise auch für Banken nicht so einfach werden. Das Ausmaß kann derzeit niemand abschätzen. Es war sicher ein Vorteil, dass viele Betriebe gar nicht aufgesperrt haben, weil sie mit jedem Öffnungstag hohe Verluste eingefahren hätten. Der Ausländeranteil ist bekanntermaßen sehr hoch, gerade in Tirol, Salzburg oder Wien. Diese Gäste wären nicht gekommen, die Betriebe hätten also noch wesentlich höhere Verluste eingefahren.
Waren die Lockdowns in Österreich zu hart für die Wirtschaft?
Wir hatten im internationalen Vergleich strenge, aber nicht die längsten Lockdowns. Und das geht natürlich nicht spurlos an der Wirtschaft vorüber.
Wie hätte man – vielleicht im Vergleich zu anderen Ländern, etwa Deutschland – wirtschaftlich mit der Pandemie umgehen können?
Der ständige Vergleich mit Deutschland hinkt. Beide Länder haben eine komplett gegensätzliche Wirtschaftsstruktur. Bei uns spielt der Tourismus eine viel größere Rolle. Da lohnt sich eher der Blick in die Schweiz, die wirtschaftlich relativ gut durch die Krise gekommen ist. Den Schweizern wurde eine Laissezfaire-Strategie vorgeworfen, sie würden Menschenleben am Altar der geschäftlichen Interessen opfern, wurde in deutschen Medien geschrieben. Jetzt zeigt sich, dass das Leben der Bürger auch ohne radikale Beschränkungen zu schützen ist. Allerdings hat auch die Schweiz relativ hohe Todesraten. Österreich hat jedenfalls sein Ziel nicht erreicht, das Leben der Älteren zu schützen. Zudem bleibt ein schwerer wirtschaftlicher Schaden.
Was braucht es jetzt für eine Erholung?
Das einzig Entscheidende ist, dass ausreichend Impfstoff bereitgestellt wird. Das ist arbeitsmarktpolitisch, wirtschafts- und fiskalpolitisch am wichtigsten. Aber auch da sieht es derzeit nicht wahnsinnig gut aus.
Wie lange werden noch Hilfsprogramme für die Wirtschaft notwendig sein?
Ich hoffe, dass die Hilfsgelder nicht mehr lange notwendig sind. Dieses Geld macht ja etwas mit uns. Jede Regierung holt sich das Geld mit Negativzinsen bei der EZB ab. Damit verdecken wir Probleme, die offensichtlich geworden sind. Wir lösen kein strukturelles Problem, sondern finanzieren es mit Gratisgeld. Und wir geben der Bevölkerung das Gefühl, dass es ohne beziehungsweise mit viel weniger Arbeit auch geht. Das ist eine Illusion und wird nicht funktionieren. Diese Vollkasko-Mentalität ist wahrscheinlich unser größter Bremser. So wichtig es war, den Betrieben zu helfen, denen man das Geschäft zugesperrt hat, so wichtig ist es jetzt, einen Weg zur Normalität zurück zu finden.
Interview mit Franz Schellhorn in der „Tiroler Tageszeitung“ (15.02.2021)
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