Innenpolitik

Verstaatlichte Eltern

Nach dem jüngsten Pflegegipfel scheint eines klar zu sein: Die Pflege der eigenen Angehörigen wird künftig an die Allgemeinheit delegiert. Die Kosten werden gewaltig sein.

Als im Dezember 2017 die neue Bundesregierung angelobt wurde, machte sich bei einer nicht zu unterschätzenden Anzahl von Bürgern ein Gefühl der Angst breit. Angst vor dem, was nun kommen werde. Befürchtet wurde ein „rechter“ Kurs mit einem radikalen Rückbau des Sozialstaates, eine knallharte Budgetpolitik samt Ausgabenkürzungen und einer neuen Privatisierungswelle. Nichts von dem ist eingetroffen. Die Sozialausgaben haben einen neuen Rekordwert erreicht, trotz prächtiger Konjunktur hat die Regierung den Schuldenberg mit ungebremst steigenden Staatsausgaben erhöht, und von Privatisierungen ist weit und breit nichts zu sehen. Ganz im Gegenteil: Ausgerechnet unter der bürgerlich-freiheitlichen Regierung stehen die Zeichen auf Reverstaatlichung. 

Hat Wolfgang Schüssel noch einen konsequenten Privatisierungskurs gefahren, wird die staatliche Beteiligungsholding wieder Unternehmensanteile zukaufen. Der Staat wird also wieder aktiv Industriepolitik betreiben. Begründet wird das mit dem Beispiel des norwegischen Staatsfonds. Allerdings dürfte die Regierung die Begriffe „Staatsfonds“ und „Verstaatlichungsfonds“ durcheinandergebracht haben. Während die norwegischen Ölmilliarden erfolgreich an den Börsen rund um den Globus investiert werden, plant Österreichs Regierung die Teilverstaatlichung heimischer Betriebe.

Privatisierungskurs vs. staatliche Industriepolitik.

Reverstaatlicht wird auch die unter Schüssel ausgelagerte Betreuung von Asylwerbern. Begründung: Der Staat wolle nicht mehr länger dabei zusehen, wie private Organisationen und gewinnorientierte Unternehmen an der Betreuung von Flüchtlingen verdienen. Aber wäre eine staatliche Behörde mit der Krisensituation im Sommer 2015 besser fertig geworden als etwa der auf Flüchtlingsbetreuung spezialisierte Anbieter ORS aus der Schweiz? Falls ja: Hätte der Staat die kurzfristig benötigten Mitarbeiter nach abgeebbter Flüchtlingswelle auch wieder abbauen können? Wohl kaum, sie wären im Staatsdienst geblieben. Womit der begründete Verdacht besteht, dass die staatliche Betreuung von Asylwerbern teurer kommen wird als die ausgelagerte. 

Aber Geld scheint ohnehin nicht die große Rolle zu spielen. So wird die Pflege der eigenen Angehörigen künftig zur Aufgabe des Staates. Regierung und Sozialpartner waren sich bei dem am vergangenen Donnerstag abgehaltenen Pflegegipfel nämlich in zwei zentralen Punkten einig. Erstens brauchen wir mehr Geld für die Pflege. Und zweitens sind die benötigten Mittel von der Solidargemeinschaft bereitzustellen. Das Geld soll also aus dem Budget kommen, eine private oder staatliche Pflegeversicherung ist derzeit kein Thema.

Die vernünftigste Lösung wäre ein steuerfreies Pflegekonto.

Damit Sie wissen, von welchen Dimensionen hier die Rede ist. Schon heute werden für die Pflege fünf Milliarden Euro im Jahr aufgewendet, wovon vier Milliarden über den „Solidarhaushalt“ (das Budget) gedeckt werden. Ungefähr so viel Geld kosten den Staat die heimischen Hochschulen pro Jahr. Das ist aber erst der Anfang, in den kommenden zehn Jahren werden sich die Pflegekosten verdoppeln. Allein das Stopfen der Löcher im Pensions- und im Pflegebereich würden also nach heutigem Geldwert mehr als ein Drittel des jährlichen Bundesbudgets beanspruchen. 

Dabei könnte die heranrollende Kostenlawine auch anders abgefangen werden. Etwa über ein individuelles Pflegekonto, auf das alle Erwerbstätigen steuerfrei einzahlen. Das angesparte Geld kann nicht behoben werden, es wird weltweit veranlagt. Brauchen die Ansparenden das Geld zur Abdeckung der Pflegekosten, ist es vorhanden. Wird es nicht gebraucht, geht es steuerpflichtig an die Erben, bleibt also in der Familie. Einkommensschwache Bürger, die nur wenig auf ihr Pflegekonto einzahlen können, sind weiterhin von der Solidargemeinschaft zu finanzieren. 

Die bürgerliche Regierung, die gerne die Eigenverantwortung der Bürger einmahnt, scheint aber die Verstaatlichung zu bevorzugen. Gestartet wurde dieser Vergemeinschaftungsprozess schon im Vorwahlsommer des Jahres 2017, als der Zugriff auf das Vermögen Pflegebedürftiger gestrichen wurde. Seither sind nicht mehr jene Menschen die Blöden, die für den Fall der Pflegebedürftigkeit angespart hatten, während jene, die alles Geld verpulverten, von der Allgemeinheit alimentiert wurden. Jetzt ist es umgekehrt: Die angehenden Erben können die Eltern und Großeltern bequem ins öffentliche Pflegeheim schieben, die Rechnung der „Solidargemeinschaft“ zustellen und später in aller Ruhe den von den Vorfahren erwirtschafteten Wohlstand genießen. Die Gschnapsten sind jene, die sich zu Hause um pflegebedürftige Familienmitglieder kümmern. 

Zugegeben, über den Pflegeregress wurde nicht allzu viel Geld in die Staatskassen gespült, weshalb dessen Streichung auch „nur“ wenige Hundert Millionen Euro im Jahr kostet.

Das Problem ist also ein beherrschbares. Bei der Verstaatlichung der gesamten Pflege wird das anders sein. Aber das scheint hierzulande bei niemandem ein Gefühl der Angst auszulösen. Bemerkenswert.

Kommentar von Franz Schellhorn im neuen „Profil“ (25.03.2019).

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