Konjunktur & Wachstum

Verloren im Papierdschungel: Die erdrückende Last der Bürokratie

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Fast schon im Wochentakt schlagen bei den Unternehmen neue Regeln auf. Es kann schon längst nicht mehr als EU-Bashing gelten, den Regelungswahn der Brüsseler Schreibtischakrobaten als unmäßig zu kritisieren. Wir werfen einen Blick in die Giftküche der Bürokratie.



Wo wären wir ohne unsere Bürokraten? Man stelle sich nur das nackte Chaos vor, wenn in den Schreibstuben der Republik plötzlich die Stifte niedergelegt würden. Wir wären ganz schön aufgeschmissen: Wer verpasst meinem Nachbarn einen gesalzenen Strafzettel, wenn er wieder vor meiner Einfahrt parkt? Woher kommt meine Pension, wenn niemand Buch über meine eingezahlten Beiträge geführt hat? Wer sorgt dafür, dass sich mein Arbeitgeber Gedanken über meine Sicherheit am Arbeitsplatz machen muss? Ja, Bürokratie ist über weite Strecken ein notwendiges Übel, wenn man in einem demokratischen Wohlfahrtsstaat leben will. „Schnell und unbürokratisch“ ist leicht dahingesagt. In der Praxis stellen sich dann immer Gerechtigkeitsfragen, für die eben ein paar Paragrafen nötig sind.

Doch wie heißt es so schön: Die Dosis macht das Gift. Und vor allem hinter den abweisenden Fassaden der Brüsseler EU-Bürokratie brodeln die Giftküchen auf Hochtouren. Freilich, die EU ist ein Segen; auch für Österreich. Ohne sie wären wir alle ärmer. Doch inzwischen arbeiten in den 76 EU-Institutionen mehr als 60.000 Menschen. Pro Jahr schreiben sie mehr als 2.000 Rechtsakte (vgl. Abbildung 1). Vor allem die Durchführungsverordnungen der Kommission und delegierte Rechtsakte haben inzwischen ein gewaltiges Ausmaß erreicht. Diese Instrumente wurden mit dem Vertrag von Lissabon eingeführt. Damit sollten ursprünglich nur kleinere technische Anpassungen oder Ergänzungen an bestehenden Rechtstexten vorgenommen werden können, die dann vor allem die Kommission einfach durchwinken kann. Doch diese nutzt die neuen Instrumente exzessiv, was auch in Wien schon für Protest gesorgt hat. So stehen wir im laufenden Jahr bereits bei 1.850 Rechtsakten. Und das Jahr hat noch zwei Monate.

Bürokratieapparate schrumpfen nie von selbst, sondern neigen zu Wachstum. Eine einmal gegebene Befugnis wird niemals freiwillig zurückgegeben. Ökonomen wie Ludwig von Mises (1944) oder William Niskanen (1971) haben sich mit diesem Phänomen schon vor Jahrzehnten beschäftigt. An ihren Schlüssen hat sich bis heute nichts geändert: So wie Unternehmer ihren Gewinn maximieren, maximieren Bürokraten ihre Budgets. Doch während Unternehmer ihr Geschäft nur vergrößern können, wenn sie dafür Kunden finden, hat der Bürokrat dieses Problem nicht. Seine „Kunden“ unterliegen einem gesetzlichen Konsumzwang. Ein Behördenleiter kann daher bei seinem Vorgesetzten immense Budgetbedarfe anmelden. Da beide kein Interesse an einem Bedeutungsverlust ihrer Ressorts haben, werden sie sie systematisch immer größer ausstatten, als sie sein müssten. In Österreich haben wir zwar das Bundesfinanzrahmengesetz, das Obergrenzen für Budget- und Personalplanung vorgibt. Doch erstens werden dort eher fromme Wünsche formuliert und zweitens gibt es eben keinen echten Mechanismus nach unten.

Abbildung 1: Bürokratiemaschine EU

Selbst der frischgebackene Wirtschaftsnobelpreisträger Daron Acemoğlu – bekanntlich ein ausgesprochener Fan von Institutionen und ein Befürworter tiefer Eingriffe in die Märkte, wenn sie nicht die Ergebnisse liefern, die sie liefern sollten – ist sich dessen bewusst, dass große Bürokratieapparate nicht nur den Samen für Korruption säen (je mehr Bürokraten, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass ein fauler Apfel dabei ist), sondern auch auf ganz legale Weise zu Selbstbedienungsläden werden und dabei Ressourcen verschwenden können.[1]

Der Übergang von „nervig“ zu „existenzbedrohend“

Doch allzu leicht verschwimmt das Wort „Bürokratie“ zum Sammelbegriff für alle möglichen Frustrationen gegenüber der Obrigkeit. Als Normalbürger ärgert man sich vielleicht über den Steuerausgleich, die vollen Wartebereiche vor den Amtsstuben, über die Tücken der ID Austria, über die brennenden Ringe, durch die man zu springen hat, wenn man sich erdreistet, eine staatliche Leistung in Anspruch zu nehmen, oder die oft realitätsfremden Vorgaben der Behörden. Wer einmal versucht hat, ein regelkonformes biometrisches Passfoto von einem wenig kooperativen Neugeborenen zu erzeugen, weiß Bescheid.

So unangenehm und nervig das alles ist: Unsereins atmet einmal kräftig durch und dann schafft man es schon irgendwie. Doch bei den Unternehmern ist es mit Atemübungen und einer Tasse Kamillentee schon längst nicht mehr getan. Die zunehmende Bürokratiebelastung erreicht für die Wirtschaft allmählich existenzbedrohende Ausmaße und lässt den heimischen Wirtschaftsstandort erodieren. Da der Erfüllungsaufwand vor allem für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) schwierig zu stemmen ist, ist die traditionell kleinteilige österreichische Wirtschaft besonders betroffen. Gewerbe und Handwerk melden schon heute, dass fast sieben Prozent ihrer Personalkapazität durch Bürokratie gebunden sind; die Kosten belaufen sich auf 4,3 Milliarden Euro jährlich.[2] Einzelunternehmer verbringen sogar rund 250 Stunden pro Jahr nur mit Bürokratie; das sind fast zwei Monate.

Doch es ist nicht nur die schiere Anzahl an Regeln und Formularen. Der europäische Gesetzgeber sieht es offenbar als seine Aufgabe an, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, hat dann aber entschieden, diese nicht gerade kleine Aufgabe schlankerhand an die Unternehmen zu übertragen. An ihnen putzt er sich ab und lässt sie allein mit unsäglichen Berichtspflichten, astronomischen Strafandrohungen und unscharfen Rechtsbegriffen. Ganz nach dem Motto: Wenn Ihr Geschäftspartner nicht nachhaltig produziert – und ob er das tut, haben Sie selbst zu ermitteln –, dann brechen Sie doch bitte einfach die Beziehung zu ihm ab. So simpel stellt man sich das in Brüssel vor. Bei Zuwiderhandlung macht man nicht einmal mehr Halt vor einer Zivilhaftung der Unternehmen, die der europäische Gesetzgeber gern an den Jahresumsatz koppelt. Verstöße gegen die Lieferkettensorgfaltspflicht können zum Beispiel fünf Prozent des weltweiten Nettoumsatzes kosten; bei der Entwaldungsverordnung können vier Prozent des EU-weiten Umsatzes fällig werden. Wer heutzutage noch dumm genug ist, unternehmerisch tätig zu sein, steht immer am Rande des Ruins. Denn dass der Umsatz nicht das ist, was am Ende in den Kassen der Unternehmen liegt und bei aufmüpfigem Verhalten eingezogen werden kann, scheint in Brüssel nicht ganz klar zu sein. Vielleicht wäre ein Auffrischungskurs in Betriebswirtschaftslehre anzuraten.

Wir wollen diesen Paradigmenwechsel an fünf Praxisbeispielen deutlich machen und zeigen, dass es so nicht weitergehen kann.


Fußnoten

  1. Acemoğlu & Verdier (2000).
  2. Enichlmair & Pröll (2024).
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