Die Zahl der Millionäre steigt kaum wo schneller als in Österreich. Eine erfreuliche Nachricht, die hierzulande aber für Alarmstimmung sorgt. – Kommentar von Franz Schellhorn
Nehmen wir einmal an, Sie sind auf einer österreichischen Autobahn unterwegs und werden von einem Porsche mit rumänischem Kennzeichen überholt. Was genau kommt Ihnen dabei in den Sinn? „Verdammt, woher nimmt ein Rumäne so viel Geld für ein derart teures Auto? Wie ist das in einem so armen Land möglich? Vermutlich gestohlen. Oder mit Geld aus dubiosen Quellen bezahlt!“ Oder denken Sie: „Erstaunlich. Dass Menschen aus einem Land, in dem vor Kurzem noch die Mangelwirtschaft des tristen Ostblocks herrschte, heute in deutschen Luxuskarossen an uns vorbeirauschen, hätte ich niemals für möglich gehalten!“
Wie die Mehrheit der Österreicher in dieser fiktiven Frage denkt, ist freilich nicht eindeutig zu sagen. Fest steht hingegen, dass steigender Reichtum hierzulande nicht gerade mit heller Begeisterung aufgenommen wird. Das gilt auch für das doch recht überraschende Ergebnis des jüngsten „Wealth Report“ der Schweizer Großbank Credit Suisse, der in der Vorwoche veröffentlicht wurde. Demnach ist die Zahl der Millionäre im vergangenen Jahr in Österreich doppelt so schnell gewachsen wie im internationalen Schnitt. 250.000 Menschen verfügen hierzulande über ein Nettovermögen von mehr als einer Million Dollar.
Das, so möchte man meinen, wäre eine höchst erfreuliche Nachricht. Schließlich sollte es ja das Ziel sein, so viele Millionäre wie möglich zu haben – und nicht so wenige wie möglich. Tatsächlich werden Meldungen wie diese aber als Alarmsignal wahrgenommen, im Sinne von: „Verdammt, jetzt haben es wieder ein paar Geldsäcke im Fahrstuhl der kapitalistischen Ellbogengesellschaft nach ganz oben geschafft, während die breite Masse mit leeren Taschen im Erdgeschoß zurückbleibt.“ Die klare Botschaft hat nämlich zu lauten: „Die Ungleichheit steigt und steigt, weshalb es weitere staatliche Interventionen braucht, um diese zersetzende Entwicklung zu stoppen!“
Nun ist es ja tatsächlich so, dass Österreich ein Verteilungsproblem hat. Nicht bei den Einkommen, die nach staatlichen Transfers sogar gleichmäßiger verteilt sind als in den skandinavischen Wohlfahrtsstaaten. Sondern bei den Vermögen, die so ungleich verteilt sind wie sonst nur noch in den skandinavischen Wohlfahrtsstaaten. Falls Sie hier ein Muster zu erkennen glauben, liegen Sie nicht ganz falsch. Auch wenn es kein Naturgesetz ist, so ist es doch auffallend oft so, dass in den Wohlfahrtsstaaten die Einkommen sehr egalitär und die Vermögen sehr ungleich verteilt sind.
Das klingt natürlich paradox, liegt aber vor allem daran, dass gut ausgebaute Sozialstaaten den Einzelnen großflächig vor Risiken wie Krankheit und Altersarmut schützen, womit die Eigenvorsorge weniger wichtig ist. Weshalb die Bürger in Österreich, Schweden oder Dänemark mehr Geld für den Konsum übrig haben, während die Menschen in ärmeren Ländern eine derart breite soziale Absicherung nicht kennen. Sie sind stärker auf sich gestellt, müssen mehr sparen und wohnen öfter im Eigenheim, um sich gegen Altersarmut zu schützen. Die privaten Einzahlungen der Österreicher auf ihre öffentlichen Pensionskonten werden nicht als Vermögen gewertet. Würde ein Teil desselben Geldes wie in vielen Ländern privat angespart, sorgte das für eine „gleichere“ Verteilung.
Hinzu kommt, dass Österreich gemeinsam mit Deutschland den höchsten Mieteranteil in Europa hat. Wie eine Studie der EZB aus dem Jahre 2014 zeigt, ist der Immobilienbesitz einer der Hauptgründe für die Schieflage in der Vermögensverteilung. In ärmeren Ländern – wie etwa Griechenland, Italien, Spanien oder auch osteuropäischen Staaten – ist der Kauf von Immobilien weiter verbreitet als im reichen Österreich, wo die Mieten streng reguliert sind und der soziale Wohnbau eine günstige Alternative bietet.
Wer also die Verteilung von Vermögen „gerechter“ gestalten will, sollte den Weg zum Eigenheim ebnen und den Vermögensaufbau erleichtern. Viel zu vielen Menschen ist es nicht zuletzt durch die hohen Abgaben an den (Sozial-)Staat verwehrt, zu einem bescheidenen Vermögen zu kommen. Gefördert werden sollte nicht nur die Miete, sondern auch der Erwerb des Eigenheims.
Wie wäre es damit, die Rückzahlung von Krediten für die eigenen vier Wände steuerlich zu entlasten? Oder Gemeindewohnungen unterhalb der Marktpreise an langjährige Mieter zu verkaufen? Mit den Erlösen wäre wiederum günstiger öffentlicher Wohnraum zu schaffen, etwa für junge Familien. Die öffentliche Hand könnte sich ein Rückkaufrecht vorbehalten, um Spekulationen zu vermeiden. Statt Miete zu bezahlen, wird der Kredit für die eigene Wohnung abgestottert.
Aus einem Land der Mieter würde ein Land der Eigentümer – eine schöne Vorstellung, an der nur jene etwas auszusetzen haben, die gerne dem sozialen Wohnbau das Wort reden, um sich gleichzeitig über die ungleiche Vermögensverteilung zu erregen. Und natürlich jene, die hinter jeder Luxuskarosse üble Machenschaften wittern, statt sich über den sagenhaften Wohlstandszuwachs in Ost und West zu freuen.
Kommentar von Franz Schellhorn im „profil“, 18.11.2017
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