Das New York Times Magazine feiert den Wiener Gemeindebau. Zu Recht? Beileibe nicht! Hohe Einkommensgrenzen, „Alteingesessenen“-Boni, das ist nicht sozialer Wohnbau, das ist eine Zweiklassengesellschaft.
Ach, Wiener Gemeindebau: Projektionsfläche für alle mit einem Hang zu sozialistischem Kitsch. Arbeiter plaudern mit ihren Nachbarn beim abendlichen Grillen. Lachende Kinder vergnügen sich beim Ballspiel. Vitale Frühpensionisten ruhen sich bei einem Schläfchen im Hof aus. Nebenan zieht ein geläuterter Ex-Knacki entspannt ein paar Bahnen im Gemeinschaftspool. Und das alles kostet fast nichts! Wer ein Formular ausfüllen kann, hat nie wieder Sorgen.
So klang die Hymne, die das New York Times Magazine letzte Woche auf den Wiener Wohnungsmarkt anstimmte. Ob der Artikel auch deshalb so blumig geriet, weil das Gemeindebauidyll für die US-amerikanische Journalistin Francesca Mari sorgfältig in Szene gesetzt wurde, bleibt ungeklärt. Doch so oder so: Aus US-amerikanischer Sicht ist die Faszination schon verständlich. In einem Land, das seine Menschen in Zelten auf den Mittelstreifen der Highways hausen lässt, kann das alles nur wie Zauberei wirken.
Doch Zauberei ist nur selten eine Erklärung für ökonomische Phänomene. Also ist es wohl an uns, die Frage zu stellen, für die Mari in ihrem Artikel keinen Platz mehr hatte, weil am Ende noch der Ex-Politiker Peter Pilz zu Wort kommen musste: Wie finanziert sich eigentlich eine Sozialutopie? Dass alle, die genug zum Leben haben, etwas davon hergeben müssen, damit die weniger Glücklichen ein anständiges Dach über dem Kopf haben, ist in einem Sozialstaat selbstverständlich. Doch sollten die Nettozahlenden dann wieder auf der Empfängerseite des Systems die Hand aufhalten und ebenfalls im Karl-Marx-Hof leben dürfen?
Unbedingt, findet die New York Times. Sogar Staatsdienerinnen und Staatsdiener gehören unter den Schirm des sozialen Wohnbaus. So viel Utopie muss sein. Ungerührt beschreibt sie die Geschichte einer ehemaligen Lehrerin, die mit ihrem Mann, der Buchhalter bei den Wiener Linien war, vor ihrer Pensionierung nur 3,6 Prozent ihres Haushaltseinkommens für die Miete aufwenden musste. Auch Pilz findet nichts dabei, dass er jahrelang nur um die 300 Euro gezahlt hat und die angehäuften Ersparnisse nun nutzt, um „Spaß zu haben“. Ein Schlag ins Gesicht für die Mütter und Väter des roten Wien, die wohl kaum einen Selbstbedienungsladen für alteingesessene Besserverdienende im Sinn hatten.
Einzelfälle sind das eher nicht: Selbst Singles, die das Doppelte des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens in Wien verdienen, dürfen eine Gemeindewohnung beziehen. Paare dürfen einen jährlichen Nettoverdienst von fast 80.000 Euro in die Formulare eintragen und erhalten trotzdem den gewünschten Stempel. Sie dürfen ihre Bleibe später sogar an ihre Kinder weitergeben, die dann im Verlauf ihres Lebens – genauso wie ihre Eltern – anstrengungslos Unsummen an Miete sparen werden. Gern geschehen, sagt die Gesellschaft und schreit in diesem Zusammenhang interessanterweise nie nach einer Erbschaftssteuer.
Wer einen Stammbaum hat, der fest im Wiener Gemeindebau wurzelt, der hat gut lachen. Alle anderen müssen erst beweisen, dass sie es zwei Jahre außerhalb des Systems schaffen, bevor sie gnädigerweise überhaupt einen Antrag stellen und dann noch einmal ein paar Jahre warten dürfen. Um zu bekommen, was man braucht, benötigt man in Wien also Beziehungen und einen langen Atem. Korrekt veraktet schillert die Utopie schon etwas weniger.
Dass ausgerechnet die New York Times so ein Fan des Wiener Wohnungsmarkts ist, ist überhaupt erstaunlich. Einen städtischen Wohnbau in der Größenordnung wie in Wien gibt es in New York zwar nicht, aber auch dort ist etwa die Hälfte der Mieten staatlich reguliert. Selbst in Manhattan sollen Hochbetagte noch Mietverträge aus US-Präsident Franklin D. Roosevelts Zeiten haben und bestenfalls symbolische Mieten zahlen. Viele Mieten sind stabilisiert und steigen nur langsam. Wer solche günstigen Verträge hat, lebt aber wohl schon eine Weile in New York. Etwa jede zweite Miete ist unreguliert und zeigt das tatsächliche Verhältnis aus Wohnungsangebot und -nachfrage an. Je behaglicher es die Mieterinnen und Mieter unter dem Rockzipfel der Behörden haben, desto rauer wird es für alle außerhalb. Dort ist das Wohnen für viele unerschwinglich. Kommt Ihnen das bekannt vor? So anders ist Wien offenbar doch nicht.
Der Wiener Wohnungsmarkt ist nicht utopisch; er ist schwerkrank. Die Mieterinnen und Mieter leben in einer Zweiklassengesellschaft: Die einen schieben sich die geschützten Wohnungen zu. Die anderen baden die verfehlte Wohnungspolitik aus. Vermieterinnen und Vermieter erfinden schwindlige Lagezuschläge und schwingen die Befristungskeule. Der Gemeindebau ist zweifellos eine Errungenschaft und ein wichtiges Element des Wiener Wohnungsmarkts. Aber wäre er nicht erst dann wirklich sozial, wenn alle Mieterinnen und Mieter nach ihren jeweiligen Möglichkeiten dazu beitragen würden? Die Stadt könnte dann den heruntergekommenen Wohnungsbestand thermisch sanieren oder vielleicht den Schuldenberg der Wiener Wohnen abarbeiten.
Na okay, das Ende war dann wohl doch zu utopisch.
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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