Im Interview mit dem "Kurier" erwartet Franz Schellhorn einen Lohnabschluss von 2,5 Prozent, sieht das Pensionssystem in Schieflage und erwartet heftigen Preisdruck wegen des Fachkräftemangels.
KURIER: Walter Pöltner, Leiter der Pensionssicherungskommission, ist aus Frust über die Politik und die jüngste Pensionserhöhung zurückgetreten. Nachvollziehbar?
Franz Schellhorn: Völlig nachvollziehbar. Seine Begründung war ja, dass die Regierung die Sicherung der Pensionen nicht ernst genug nimmt und auch nicht auf Experten hört. Jedes Jahr fehlen im Pensionssystem 24 Milliarden Euro, aber anstatt das Antrittsalter an die steigende Lebenserwartung anzupassen, legt die Politik jedes Jahr noch extra Geld drauf, was man in die Folgejahre mitschleppt. Man verschärft die finanzielle Schieflage des Pensionssystems auf Kosten der Jungen.
Also ein reines Wahlzuckerl?
Ja, ein sehr teures Wahlzuckerl. Und das passiert leider nicht zum ersten Mal. Dieser ungenierte Pensionspopulismus begleitet uns seit vielen Jahren.
Jetzt haben die Lohnverhandlungen begonnen. Droht wegen Corona eine Art Lohn-Populismus?
Es gibt überhaupt keinen Grund, Arbeitnehmern die Früchte des Aufschwungs vorzuenthalten. Das Hauptproblem für die Lohnverhandler ist aber, dass die Situation in den Branchen sehr unterschiedlich ist. Man müsste viel mehr in den Betrieben verhandeln. Stattdessen müssen die Verhandler wieder quer über alle Branchen einen Abschluss finden, den sich weite Teile der Industrie leisten können. Der Tourismus oder der Handel werden da nicht mithalten können. Entscheidend ist: Es spricht nichts gegen Lohnerhöhungen, aber wir müssen sie auch am Markt verdienen. Das wird gern vergessen.
Neben der Inflation geht es auch um die Produktivität. Welcher Abschluss wäre gerechtfertigt?
Wir haben uns die Zahlen seit 2016 angeschaut. Gemessen an der alten Formel „Inflation plus halber Produktivitätszuwachs“ wäre ein Abschluss zwischen 2,3 und 2,5 Prozent wahrscheinlich.
Die Gewerkschaft will 4,5 Prozent, die Arbeitgeber stehen erwartungsgemäß auf der Bremse. Man trifft sich wieder irgendwo in der Mitte…
Das wäre von der Evidenz her plausibel.
Droht eine Lohn-Preis-Spirale, bei der sich Inflation und Löhne aufschaukeln?
Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale gibt es absolut, aber das hängt sehr davon ab, wie sich die Inflation mittelfristig entwickelt. Unmittelbar sehe ich keine Gefahr. Aber wenn ich mir anschaue, was sich auf dem Arbeitsmarkt abspielt, dann wird da in den nächsten Jahren ein enormer Preisdruck entstehen. In den USA ist es jetzt schon so, dass man für einen Installateur im Jahr 120.000 Dollar bezahlen muss. Ein Uni-Absolvent, der bei einem Top-Berater anfängt, bekommt 100.000 Dollar.
Von den einen gibt es genug, Installateure sucht man vergeblich ……
Richtig, da ist der Fachkräftemangel schon enorm. Und das wird auch bei uns kommen. Dieser Mangel wird im Zusammenspiel mit anderen Engpässen, Stichwort Zulieferer, zu einem enormen Preisdruck führen.
Eigentlich müssten die Unternehmer ja längst kräftig über dem Kollektivvertrag zahlen.
Das tun viele Unternehmen bereits. Trotzdem gibt es kaum ein Unternehmen, das genügend geeignete Leute findet.
Minister Kocher will die Arbeitslosenversicherung reformieren. Wo sollte er ansetzen?
Eine Reform der Arbeitslosenversicherung wird eine Mammutaufgabe, ist aber ein Schritt in die richtige Richtung. Ich hoffe, dass der Politiker Martin Kocher auf den Verhaltensökonom Martin Kocher hört. Der weiß um das Anreizproblem, das wir haben. Sonst wäre es nicht möglich, dass wir gleichzeitig einen Rekord an offenen Stellen und eine noch immer sehr hohe Arbeitslosigkeit haben.
Was tun?
Das degressive Arbeitslosengeld, das wir seit Jahren fordern und jetzt debattiert wird, kann da etwas bewegen. Es bringt den Anreiz, sich schnell einen Job zu suchen und nicht in die Falle der Langzeitarbeitslosigkeit zu gehen. Man müsste überhaupt mehr dem dänischen Weg folgen, also mehr fördern und fordern.
Also auch die Zuverdienstmöglichkeit für Arbeitslose streichen?
Wir plädieren für ein Einschleifen der Zuverdienstmöglichkeit, nicht für ein simples Streichen. Denn: Wer jetzt bis 475 Euro dazu verdient, bleibt für dieses Geld steuer- und sozialversicherungsfrei. Wer aber 476 Euro dazu verdient, zahlt bereits die volle Länge an die Sozialversicherung und verliert knapp 1.000 Euro im Jahr. Daher arbeiten so viele nicht Vollzeit oder eben nicht offiziell und diese Hürde muss man aus dem Weg schaffen. Man muss sich aber auch überlegen, ob es noch akzeptabel ist, dass junge Menschen unter 30 in Wien leben und arbeitslos gemeldet sind, aber in zwei, drei Bundesländern weiter ein Job frei ist. Sie leben auf Kosten der Solidargemeinschaft, obwohl sie sofort beschäftigt werden könnten. In Dänemark wäre das unmöglich.
Jetzt soll die Ökologisierung des Steuersystems kommen. Wenn der CO2-Preis zu Beginn bei 25 bis 30 Euro pro Tonne liegt, hat man doch kaum einen Lenkungseffekt, oder?
Man wird sich in Stufen in Richtung der Marktpreise bewegen, die derzeit bei ca. 60 Euro je Tonne liegen. Für uns ist aber noch entscheidender, dass man CO2-Besteuerung und die Entlastung bei der Lohn- und Einkommenssteuer nicht vermischt. Sonst droht wie in den letzten 30 Jahren, dass man auf der einen Seite etwas belastet und auf den zweiten Teil, die Entlastung, vergisst. Seit 20 Jahren liegt die Gesamtbelastung des Faktors Arbeit zwischen 47 und 50 Prozent, da hat sich noch nie etwas geändert. Die jeweilige Regierung gibt uns immer nur einen Teil der kalten Progression zurück. Dadurch sind wir bei den Kosten des Faktors Arbeit fast Weltmeister. Nur in Belgien und Deutschland gibt es noch weniger netto vom brutto. Hier wäre ein großer Wurf nötig. Parallel dazu sollte der Verbrauch von einen Preis bekommen, aber die Themen gehören nicht vermischt.
Interview mit Franz Schellhorn im “Kurier” (24.09.2021).
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