Im Sommer ist auch die Klimadebatte heißer. Reden kostet nichts – aber was ist eigentlich aus „Handle endlich!“ geworden? Klimaheuchelei ist jedenfalls längst nicht mehr nur den Reichen und Schönen vorbehalten.
Die Menschheit ist schon ein komisches Völkchen. Viele Jahre lang war der Treibhauseffekt etwas, das wir ernsthaft, aber schulterzuckend zur Kenntnis genommen haben. Wenn Donald Trump dann an einem kalten Februartag vor dem Weißen Haus schenkelklopfend in die Kameras fragte: „Wo ist denn nun der Klimawandel?“, schlugen wir uns als Gesellschaft kollektiv an die Stirn und antworteten immerhin: „Komm schon, Donald! Das Wetter ist doch nicht Klima.“
Aber mehr taten wir in der Regel nicht. Ja, der Klimawandel ist real, aber was hat das mit mir zu tun?
Die Klimaforschung musste sich etwas einfallen lassen. So entdeckte sie die Macht der Bilder für sich, um das komplexe naturwissenschaftliche Phänomen des Klimawandels erlebbarer zu machen. Die globale Durchschnittstemperatur bleibt zwar auch auf Bildern unsichtbar. Aber schau her: Der Eisbär springt von Scholle zu Scholle. In Griechenland brennen die Wälder. Handelt – und zwar sofort!
Doch dieses Konzept war nie ohne Risiko: Denn man findet für jeden brennenden Wald immer einen, der nicht brennt. Dann zeigen die einen auf die griechischen Wälder – die anderen zeigen auf die portugiesischen, die heuer etwas weniger brennen als sonst um diese Zeit des Jahres. Falsche Ausgewogenheit ist die logische Folge.
Wenn man den Eindruck entstehen lässt, eine wissenschaftliche Erkenntnis müsse sich mit den eigenen Augen sehen lassen, dann ist das der sichere Einstieg in die völlige Beliebigkeit. Ökonomen kennen das; Klimaforscher machen hier noch erste Gehversuche.
Wenn die Katastrophenmeldung dann der einzige Treibstoff unserer Klimapolitik sein soll, brauchen wir eben eine ganze Menge Katastrophen. Wenn zu befürchten steht, dass wir mittags nichts mehr vom Klimawandel wissen, wenn wir morgens nicht von einem Waldbrand geweckt werden, dann brauchen wir die Katastrophe wie unser tägliches Brot.
Davor warnt der neue Vorsitzende des Weltklimarats, Jim Skea. Als anerkannter Wissenschaftler am Londoner Imperial College ist er des Klimaskeptizismus unverdächtig, aber er erkennt, dass die Lösung nicht darin bestehen kann, jeden Tag den Weltuntergang an die Wand zu malen und zu hoffen, dass dadurch eine neue Art Mensch entsteht.
Denn von einem etwaigen Bewusstseinswandel ist auch hierzulande bislang wenig zu spüren. Der Siegeszug des SUV ist ungebremst. Erstmals könnte in diesem Jahr jeder zweite in Österreich neu zugelassene Pkw einer sein.
Beton ergießt sich in die Täler der Alpenrepublik. 2004 belegte jeder Einwohner im Durchschnitt eine Wohnfläche von 41 Quadratmetern; heute sind es fast 47. Doch wird es uns manchmal zu eng, weshalb wir wie die Zugvögel einmal pro Jahr in südlichere Gefilde reisen. Die Flugpassagierzahlen der ersten Jahreshälfte zwischen Österreich und Spanien lassen für 2023 einen neuen Rekord erwarten.
Das ist bitter. Dafür sind Leonardo DiCaprio und Al Gore nun unermüdlich um die Welt gejettet und haben den Klimawandel gepredigt! Selbst Jane Fonda hat sich heuer nicht etwa wegen des Lugner-Geldes zum Wiener Opernball einfliegen lassen, sondern weil ihr das Klima so ein wichtiges Thema ist. Schon bei der Oscar-Verleihung vor drei Jahren predigte Madame Fonda: „Nothing ismore important than raising awareness, right?“ Ernsthaft?
Doch Klimaheuchelei ist längst nicht mehr nur den Reichen und Schönen vorbehalten. Es ist fast schon ein Schneeballsystem: Statt meine eigene Lebensweise anzupassen, fordere ich einfach andere dazu auf. Dann ist doch mein eigenes Verhalten quasi kompensiert, oder? Und wenn ich bekunde, dass ich die Klimakleber gut finde, dann kann ich sogar das anstrengende Protestieren noch auslagern.
So wird viel gepredigt, aber wenig gehandelt. Die kognitive Dissonanz nimmt zum Teil groteske Züge an. Zwei Klebeprotestanten konnten im Jänner nicht vor einem Stuttgarter Gericht erscheinen, weil sie auf Urlaub nach Thailand geflogen waren. Die „Letzte Generation“ antwortete auf Nachfrage, man müsse eben den Aktivisten von der Privatperson trennen können.
Aha! Klimaaktivismus als Kunstform also. Die deutsche Comedienne Negah Amiri, die vor einigen Tagen viel Wirbel erzeugte, weil sie sich in ihrer Sendung emotional bei einer Aktivistin der „Letzten Generation“ bedankt hatte, gibt sogar offen zu, dass ihre Art des Aktivismus Kunst ist, und erkennt keinen Widerspruch zu ihrer öffentlich zur Schau gestellten Lebensweise. Werk und Autor halt. Das ist wenigstens ehrlich.
Nun werden Sie sich zu Recht fragen: Erhebt da gerade ein Ökonom den moralischen Zeigefinger? War die Ökonomie nicht der letzte Hort der Unmoral, an dem der Mensch noch Mensch sein durfte? Laissez-faire, solang es in der Kasse klingelt? Ja, stimmt so in etwa. In Ermangelung einer treffenderen Verallgemeinerung gehen Ökonomen oft davon aus, dass Menschen nichts zu verschenken haben und sich in der Regel selbst die Nächsten sind.
Deshalb ist es auch unwahrscheinlich, dass sie plötzlich anfangen werden, für sich selbst nachteilige Entscheidungen zu treffen. Was hätte uns schließlich in den vergangenen Jahren davon abgehalten, genau das zu tun? Die realistischere Einschätzung ist – und das kann einem gefallen oder nicht–, dass Menschen vor allem über das Portemonnaie für etwas zu gewinnen sind.
So wird es nun auch gemacht. Bis jetzt hatten wir Konsumenten mit Klimapolitik ja nicht viel zu tun. Die Emissionsreduktionen der vergangenen Jahrzehnte kamen vor allem von der europäischen Industrie, die schon seit bald 20 Jahren in der Pflicht steht. Vor allem ihretwegen wird in der EU heute pro Jahr um etwa ein Viertel weniger CO2 ausgestoßen als noch 2005.
Die bösen Industrielobbyisten sind also entweder gar nicht so böse oder wirklich schlecht in dem, was sie tun. Doch nun sind wir Konsumenten dran: Ab spätestens 2027 werden Wohnen und Verkehr einer Art von Klimapolitik unterzogen, von der wir gesichert wissen, dass sie funktioniert, und die keine Ausreden kennt: dem CO2-Zertifikatehandel. Mit Gas zu heizen oder mit Benzin zu fahren wird sich dadurch empfindlich verteuern.
Die Konsumenten werden darauf nach ihrem eigenen Gusto zu reagieren wissen. Die einen werden erstmal die Heizung herunterdrehen, andere werden sich ein Elektroauto anschaffen oder eine Wärmepumpe installieren. Jeder wird anders mit den steigenden Preisen umgehen und seinen optimalen Weg in die Klimaneutralität finden müssen, statt nur darüber zu reden.
Der Zertifikatehandel ist die wirksamste und zugleich effizienteste Form des Klimaschutzes. Und er ist so herrlich unmoralisch. Er belehrt nicht. Er schockiert nicht. Er geht einem nicht auf die Nerven und fliegt dann ab nach Thailand. Er macht seine Arbeit und hält ansonsten die Klappe. Einfach herrlich!
Gastkommentar von Jan Kluge für “Die Presse” (04.08.2023).
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