Von Chlorhühnern bis zu Schiedsgerichten: Wir beantworten die wichtigsten Fragen rund um as Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP).
Ziel der Freihandelsverhandlungen ist es, Nahrungsmittelproduzenten den Marktzugang in der jeweils anderen Region zu erleichtern. Das ist angesichts unterschiedlicher Standards betreffend Hygiene und Nahrungsmittelproduktion alles andere als einfach. Wie auch das Beispiel des „Chlorhuhns“ zeigt. Welche antibakterielle Behandlung von Hühnerfleisch ist unbedenklicher – ein Chlorbad wie in den USA oder Antibiotika im Futter wie in Europa? Der deutsche Ex-Umweltminister Jürgen Trittin von den Grünen meint: “Ich mag nicht entscheiden, was besser ist…es ist arrogant zu behaupten, dass europäische Standards in jedem Fall besser sind als amerikanische.“ Tatsächlich besteht also die Gefahr, dass sich in den Regalen österreichischer Märkte Produkte finden, die nicht unseren Standards entsprechen. Gleichzeitig bieten sich österreichischen Bio-Produzenten aber auch neue Absatzmärkte in den USA, in denen die Nachfrage nach gesunder Nahrung rasant wächst. Die Lösung könnte sein, dass die Verbraucher auf einen Blick erkennen, woher das Produkt stammt. Sie selbst sollten dann die Entscheidung treffen, was sie kaufen. Sicher ist aber schon jetzt, dass gentechnisch veränderte Produkte nicht über TTIP nach Europa kommen. Vor kurzem hat nämlich die EU die Rechte der Mitgliedsstaaten gestärkt, über den Anbau genveränderter Produkte selbst zu entscheiden. Auch das jüngst verhandelte Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) hält fest, dass nur „hormonfreies“ Fleisch exportiert werden darf. Zudem kann TTIP nur mit Zustimmung des EU-Parlaments in Kraft treten. Dort werden der Schutz und die Rechte der Konsumenten vergleichsweise ernst genommen. So ließ das EU-Parlament 2012 das multilaterale Anti-Produktpiraterie-Abkommen (ACTA) zum Schutz des Urheberrechts aus Sorge um den Datenschutz platzen.
Fazit: Entscheidend ist eine klare Kennzeichnung der Produkte. Die Verbraucher sollen dann selbst entscheiden, ob sie europäische oder amerikanische Nahrungsmittel kaufen wollen.
Das Freihandelsabkommen mit den USA soll Staaten angeblich in deren demokratischen Rechten beschneiden. Investoren können demnach Staaten vor internationalen Schiedsgerichten für erlassene Gesetze belangen. Dieser “Vorwurf” ist berechtigt.
Der staatliche schwedische Energieversorger Vattenfall – und damit das Volk von Schweden – klagt gerade gegen Deutschlands Atomausstieg und verlangt Milliarden an Entschädigung. Weil Atomkraftwerke stillgelegt werden mussten, in die kurz vorher nach gültiger Rechtslage noch viel investiert wurde. Generell sind Schiedsgerichte in Handelsabkommen seit langem üblich: Österreich hat mit 62 Ländern Investitionsschutzabkommen geschlossen, die auch die Streitbeilegung vor Schiedsgerichten vorsehen. Warum sind aber nationale Gerichte nicht genug? Weil sie innerstaatliches Recht umsetzen und weil sie unter dem Einfluss der Regierung stehen könnten, die geklagt wird. Fühlt sich ein österreichisches Unternehmen in den USA durch eine neue Regelung in seinen Rechten verletzt, muss es so nicht vor einem US-Gericht klagen. In den TTIP-Verhandlungen wird versucht, unerwünschte Effekte dieses an sich bewährten Instruments zu beseitigen. EU-Kommissarin Cecilia Malmström hat angekündigt, bei den Schiedsgerichten Berufungsmöglichkeiten einführen zu wollen und prinzipiell das staatliche Recht auf Regulierung festzuschreiben. Auch in den USA wird über die Streitbeilegung diskutiert. Ein hochrangiger Beamter im Weißen Haus meinte, es seien “höhere Standards, verstärkte Schutzvorrichtungen und verbesserte Transparenzvorschriften” nötig, um den Missbrauch von Schiedsgerichten zu vermeiden.
Fazit: Schiedsgerichte werden nicht dazu führen, dass europäische Staaten in ihrer Gesetzgebung eingeschränkt werden. Ungeachtet dessen werden Bürger und Unternehmer auch weiterhin Gerichte anrufen können, so sie staatliche Willkür vermuten. Das ist eine Visitenkarte von erwachsenen Rechtsstaaten.
In den USA boomt die Erdgasförderung mittels Fracking: Um Gas aus unterirdischen Schieferschichten zu pressen, pumpen Energielieferanten ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in den Boden. Dabei kann das Trinkwasser verschmutzt werden, wenn in nur wenigen hundert Metern Tiefe schlampig gebohrt wird. Die Technik ist an sich nicht neu und wurde auch in Österreich bei konventionellen Lagerstätten schon angewendet, wenn dort der Druck nachgelassen hatte. Fracking ist in Österreich nicht verboten. De facto ist nach dem gescheiterten Versuch der OMV, im Weinviertel Probebohrungen durchzuführen, aber kein Antrag eines Energieversorgers auf Fracking beim zuständigen Wirtschaftsministerium zu erwarten. TTIP-Gegner befürchten, dass sich US-Firmen über den Investitionsschutz das Recht auf Fracking erstreiten könnten. Zum Beispiel, wenn ein Gasförderer, der bereits in Österreich investiert hat, sich durch weitere Gesetze gegen Fracking hinters Licht geführt sieht. Investitionsschutzklagen im Bereich Energie sind zulässig. Gleichzeitig wollen aber sowohl die EU als auch die USA die Rechtsgrundlagen für Schiedsgerichte präzisieren. Dabei soll – siehe “Können ausländische Firmen über Schiedsgerichte heimische Gesetze aushebeln?” – das Recht auf Regulierung eindeutig festgeschrieben werden.
Fazit: Ein noch offener Punkt. Die geplanten genauen Regeln für Schiedsgerichte könnten Klagen gegen die Regulierung von Techniken wie Fracking aber verhindern.
Beim Datenschutz setzen die USA und die EU unterschiedliche Schwerpunkte – beide aus guten Gründen. Die NSA-Affäre hat gezeigt, dass niemand vor der Sammelwut der US-Geheimdienste sicher ist. Daher werden in Brüssel Vorschläge diskutiert, Internetkonzernen vorzuschreiben, europäische Daten auf europäischen Servern zu speichern. Die USA wiederum argumentieren, gesammelte Daten hätten es etwa möglich gemacht, die Verbreitung von Ebola zu verlangsamen. Das Internet solle daher nicht regionalisiert werden. Klar ist, dass all das bereits jetzt, ohne TTIP, passiert. Google & Co. brauchen kein Freihandelsabkommen, um Daten abzusaugen und zu speichern. Befürworter von TTIP argumentieren, dass das Abkommen die einzige Chance ist, den Datenschutz zu stärken. Das Europäische Parlament drängt auf ein Rahmenabkommen zum Datenschutz, das TTIP vorangehen soll. Sein Innenausschuss verlangt überhaupt, dass TTIP keine Regelungen zum Datenschutz enthalten darf. Gespräche zu einem Rahmenabkommen verlaufen aber zäh. Das Thema ist allerdings von entscheidender Relevanz. Denn Freihandel wird immer öfter so aussehen, dass beispielsweise ein Datenpaket für ein Produkt verschickt wird, das vom 3D-Drucker produziert wird.
Fazit: Das vermutliche heikelste und sensibelste Kapitel des gesamten Abkommens. In diesem Bereich dürften die Verhandlungspartner auch am weitesten auseinanderliegen.
Nein. Die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström und US-Handelsbeauftragter Michael Froman haben in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten, es schreibe “kein Handelsabkommen der EU oder den Vereinigten Staaten die Privatisierung von Dienstleistungen vor oder hindert den öffentlichen Sektor daran, sein bestehendes Angebot an öffentlichen Dienstleistungen auszubauen.” Handelsabkommen werden, so Malmström und Froman, “Verwaltungen auf allen Ebenen keineswegs daran hindern, Dienstleistungen zur Versorgung mit Wasser, Bildung, Gesundheit und sozialen Sicherheit sicherzustellen oder zu unterstützen”.
Fazit: Mit TTIP wird es weder ein Gebot für Privatisierungen geben noch ein Verbot. Schon jetzt steht es österreichischen Gemeinden frei, den Betrieb ihrer Wasserleitungen auszulagern oder gar zu verkaufen. Niemand kann sie dazu zwingen, niemand daran hindern. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.
Die USA und die Länder der EU gehören zu den Wirtschaftsräumen mit den höchsten Sozialstandards weltweit. Doch es gibt Unterschiede: Während in den USA ein gesetzlicher Mindestlohn gilt, gibt es in Österreich für sehr weite Bereiche Kollektivverträge. Während es Unternehmern in den USA leicht gemacht wird, sich von Mitarbeitern zu trennen, gilt hierzulande ein strenger Kündigungsschutz. Auch die Mitbestimmung über Betriebsräte oder Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten gibt es in den USA so nicht. TTIP-Gegner behaupten, dass sich Investoren aufgrund hoher Sozialstandards in Europa benachteiligt sehen und diese Bestimmungen durch Klagen aufgrund des Investitionsschutzes zu Fall bringen können. Andererseits könnten sich europäische Produzenten im Nachteil sehen, weil US-Konkurrenten aufgrund des schwächeren sozialen Schutzes günstiger produzieren könnten.
Derartige Unterschiede sind geradezu Voraussetzung für grenzüberschreitenden Handel, diese Differenzen gibt es auch in der Freihandelszone namens Europäische Union. Sie zu beseitigen würde den Handel zwischen den zwei Wirtschaftsräumen obsolet machen. Zudem führt die EU die Verhandlungen mit dem Vorbehalt, das Arbeits- und Sozialstandards diesseits des Atlantik TTIP nicht zum Opfer fallen dürfen. Das haben die Mitgliedsländer den Verhandlern auferlegt. Auch verlangt der Sozialausschuss des Europaparlaments, welches TTIP ja zustimmen muss, ein Überwachungsinstrument zur Wahrung der Arbeitnehmerrechte.
Fazit: Jedes Land wird auch künftig den Arbeitnehmerschutz bekommen, den es für richtig hält.
(Foto-Credit: Dmitry V. Petrenko / Fotolia.com)
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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