Energie

Treiben uns profitgeile Firmen in die Armut?

Wer meint, Preise seien das Ergebnis der angefallenen Kosten und einem entsprechenden Gewinnaufschlag, hat eindeutig zu viel Karl Marx gelesen.

In kaum einem anderen Land der Eurozone steigen die Preise so stark wie hierzulande. Mit zuletzt 9,7 Prozent Inflation verzeichnete Österreich die höchste Teuerung in ganz Westeuropa. Das ist für ein hochentwickeltes Industrieland nicht nur peinlich, sondern wirkt auf die ärmsten Haushalte aufgrund der Kaufkraftverluste geradezu verheerend. Weshalb die Suche nach den Schuldigen auf Hochtouren läuft. Nahezu im Wochenrhythmus werden neue Delinquenten aufgespürt und an den öffentlichen Pranger gestellt. Auf die Wohnungsvermieter folgten die Gastronomen, mittlerweile sind es die Lebensmittelkonzerne, die das Land in die Armut treiben. ÖGB und Arbeiterkammer gehen noch einen Schritt weiter. Aus deren Sicht liegt es nicht an einzelnen Branchen, dass die Preise hierzulande schneller steigen als anderswo, sondern an der Profitgier der heimischen Unternehmen ganz generell.

Wenn eine kräftige Nachfrage auf ein zu schwaches Angebot trifft, steigen die Preise.

Wenn das stimmt, sind wir einer evolutionären Sensation auf der Spur. Dann wäre der Beweis erbracht, dass es sich beim „Homo Oeconomicus Austriacus“ um eine ausnehmend profitgeile Spezies handelt, die kaltschnäuzig die Preise in die Höhe treibt, während sich Unternehmer in anderen Ländern in gemeinwohlwirtschaftlicher Gewinnzurückhaltung üben. Die Wahrheit ist wie so oft recht banal: So sollte es keine allzu große Überraschung sein, dass in einem Boomjahr wie 2022 mit fünf Prozent Realwachstum die Unternehmensgewinne in lichte Höhen steigen. Nach den düsteren Lockdown-Jahren hat sich die Wirtschaft überraschend schnell erholt, obwohl viele der Corona-geschwächten Lieferketten nicht wiederhergestellt waren. Und wenn eine kräftige Nachfrage auf ein zu schwaches Angebot trifft, steigen die Preise. Das ist unerfreulich, aber höhere Preise liefern auch ein wichtiges Signal: Sie zeigen Knappheiten an. Wer dieses Signal ausschalten will, kann auch gleich das Fieberthermometer bei 37 Grad enden lassen. Das Fieber ist dann zwar nicht mehr zu sehen, aber es verschwindet nicht.  

Gleichzeitig ist nicht zu bestreiten, dass die Verkaufspreise vieler Unternehmen seit geraumer Zeit schneller steigen als deren Kosten. Ein Paradebeispiel ist die Energiewirtschaft. Das Wasser fließt genauso günstig durch die Turbinen der heimischen Laufkraftwerke wie eh und je. Der Wind, der die aus dem Boden schießenden Räder antreibt, wurde nicht teurer und die Sonnenstrahlen knallen weiterhin zum Nulltarif auf die Solardächer. Dennoch haben sich die Strompreise vervielfacht. Aber spätestens hier beginnt ein großes Missverständnis seine unheilvolle Wirkung zu entfalten: Wer meint, Preise seien das simple Ergebnis von anfallenden Kosten plus einem entsprechenden Gewinnaufschlag, hat zu viel Karl Marx gelesen.

Entscheidend für die Höhe der Preise sind nicht die Kosten in der Herstellung. Entscheidend ist das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Wie viel sind Konsumenten bereit zu zahlen? Das hängt von der Kaufkraft und individuellen Präferenzen ab.

Entscheidend für die Höhe der Preise sind nicht die Kosten in der Herstellung. Entscheidend ist das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Wie viel sind Konsumenten bereit zu zahlen? Das hängt von der Kaufkraft und individuellen Präferenzen ab. Andernfalls hätte ein bekannter Youtuber im Vorjahr nicht 5,2 Millionen Dollar für eine seltene Pokémon-Karte bezahlt. Während man auf solche Sammlertrophäen gerne verzichten kann, läuft ohne elektrische Energie nichts. Im Zuge des russischen Angriffskrieges ist Strom zu einem knappen und damit teuren Gut geworden. Sehr zur Freude jener Anbieter, die Wasserkraftwerke haben und Strom erdgasfrei produzieren. Nun könnten Unternehmen wie der Verbund oder die Vorarlberger Illwerke mit ihrem billigen Wasserstrom natürlich auch den österreichischen Markt mit konkurrenzlos günstigen Angeboten aufrollen. Sie surfen lieber auf der Preiswelle und freuen sich über hohe Zufallsgewinne. Das ist bedauerlich, aber schwer zu verhindern. Weil es an Wettbewerb fehlt. Wir haben nicht zu viel Marktwirtschaft, sondern zu wenig davon.
 
Auch wenn die anfallenden Kosten nicht allein den Verkaufspreis bestimmen, ist völlig klar, dass Unternehmen versuchen müssen, höhere Aufwände an ihre Kunden weiterzugeben. Schaffen sie es, erwirtschaften sie Gewinne und überleben. Schaffen sie es nicht, schreiben sie Verluste und gehen unter. Sie wissen aber nicht, wie die Sache endet, weil sich Preise nicht dauerhaft anheben lassen, irgendwann sinkt die Nachfrage. Warum das in vielen Branchen noch nicht der Fall ist, hat einen einfachen Grund: Die Regierung stützt die Kaufkraft der Haushalte und die Nachfrage der Unternehmen mit milliardenschweren Hilfsprogrammen. Mit billigem Geld, das die Europäische Zentralbank seit Jahren unbeschränkt zur Verfügung stellt.

Kolumne von Franz Schellhorn für das “profil” (21.05.2023).

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