Wettbewerbsfähigkeit

Staatliches Multiorganversagen

Dass der Staatsapparat noch einigermaßen läuft, ist jenen Beamten, Lehrern und Ärzten zu verdanken, die ihren Enthusiasmus nicht verloren haben.

Österreich funktioniert – aber aus den falschen Gründen. Mit diesem Befund sollte der langjährige OECD-Ökonom Andreas Wörgötter im Sommer 2016 eine überaus treffende Beschreibung des Landes liefern. Während wir uns im Sport grundsätzlich vom Pech verfolgt fühlen, zählen wir wirtschaftlich gesehen zu den Glückskindern. Der hohe Wohlstand des kleinen Österreich sei weniger das Ergebnis einer richtigen Wirtschafts- und Fiskalpolitik, sondern eines immer wiederkehrenden „warmen Regens von außen“, den die produktive Bevölkerung für sich zu nutzen wusste, so der Ökonom.  

Nach der Pleite der verstaatlichten Industrie geriet die Republik in den späten 1980er-Jahren in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Doch mit dem EU-Betritt öffnete sich für das kleine Österreich die Tür zu einer milliardenschweren Freihandelszone. Die Einführung des Euro brachte immer billiger werdendes Geld, die Osterweiterung bescherte heimischen Unternehmen noch nie da gewesene Geschäftsmöglichkeiten.

Unser hohe Wohlstand ist nicht unbedingt das Ergebnis einer richtigen Wirtschafts- und Fiskalpolitik – und mit der Pandemie wurden viele Probleme wieder sichtbar.

Mit der Pandemie wurden aber viele der kaschierten Probleme wieder sichtbar. Oder wie es der Strategieberater Klaus Malle analysiert: „Wir sind seit Monaten Zeugen eines staatlichen Multiorganversagens. Und die EZB ist unsere Intensivstation.“ Nach der generalstabsmäßigen Abwicklung des ersten Lockdowns ist so gut wie alles aus dem Ruder gelaufen. Österreich hat die Kontrolle über das Contact-Tracing verloren (eine epidemiologische Todsünde), in den Alten- und Pflegeheimen wütet die zweite Corona-Welle schlimmer als die erste, Zigtausende Schüler sitzen wieder zu Hause vor den Fernsehern, und weite Teile des öffentlichen Sektors sind von der digitalisierten Welt abgeschnitten, weil sie mit veralteten IT-Systemen arbeiten.

Das alles passiert in einem Staat, dessen öffentliche Ausgaben zu den höchsten weltweit zählen. Unternehmen müssen diese Krise nutzen, um die unübersehbaren Schwachstellen zu korrigieren. Davon ist im österreichischen Staatssektor wenig zu bemerken. Probleme werden nicht gelöst, sie werden ignoriert. Niemand scheint sich zuständig zu fühlen, seit Monaten schieben sich die Verantwortlichen gegenseitig die Bälle zu. Die einen bezichtigen die Bundesregierung des Versagens, die anderen die Vertreter der Länder – je nach politischer Präferenz.

Die Bürger sind an der Schuldfrage nicht interessiert, sie erwarten sich einen funktionierenden Staatsapparat. Auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene.

Die Bürger sind an der Schuldfrage nicht interessiert, sie erwarten sich einen funktionierenden Staatsapparat. Auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene. Und das auch völlig zu Recht, zumal sie weltrekordverdächtige Steuern und Abgaben abzuliefern haben. Dass sie für ihr Geld nicht die beste öffentliche Dienstleistung der Welt bekommen, ist unverständlich. Aber es hat Gründe. Der warme Regen brachte Wohlstand und spülte damit jeden Veränderungsdruck hinweg. Viele Ministerien werden seit Jahrzehnten verwaltet, nicht geführt. „Nur keinen Wickel mit der Personalvertretung!“, so lautet die Maxime.

Hinzu kommt ein heilloser Kompetenzwirrwarr zwischen Bund und Ländern, den niemand durchschaut. Daran sollten vor allem jene denken, die vor nicht allzu langer Zeit noch die Schönheit der österreichischen Bundesverfassung bewunderten. In dieser Pandemie zeigt sie sich von ihrer hässlichen Seite. Die Lösung ist nicht die totale Zentralisierung aller Kompetenzen, sondern deren Klärung. Selbst wenn eine Bundesregierung alles richtig machte – was die aktuelle nicht tut –, wäre das noch lange nicht genug. Auch die Länder und Gemeinden müssten mitspielen – was sie zweifellos nicht tun, wie das kollabierte Contact-Tracing und die Zustände in den Pflegeheimen zeigen.

Dass der Staatsapparat noch einigermaßen läuft, ist jenen Beamten, Lehrern und Ärzten zu verdanken, die ihren Enthusiasmus nicht verloren haben.

Dass der Staatsbereich überhaupt noch irgendwie am Laufen gehalten wird, ist den vielen Beamten und Vertragsbediensteten zu verdanken, die vor Jahren mit vollem Enthusiasmus in den Staatsdienst eingetreten sind und sich ihre Begeisterung irgendwie erhalten konnten. Sie sind nur leider in der Minderheit. Weil das Dienstrecht im öffentlichen Sektor Eigeninitiative bestenfalls toleriert, Nichtleistung aber pardoniert. Umso bewundernswerter sind all die Lehrer, die nicht auf Anweisungen von oben gewartet, sondern sich über den Sommer auf einen zweiten Lockdown vorbereitet haben. Weil sie gesehen haben, was der erste angerichtet hat. Weil sie ihre Schüler nicht zurücklassen wollen. Deren Klassen laufen heute virtuell. Nicht wegen, sondern trotz des Staates. Und da reden wir noch gar nicht von den vielen Schwestern und Pflegern, Ärzten, den Sicherheitskräften, Rettungsbesatzungen, Müllleuten und Postboten, die in dieser Jahrhundertpandemie vollen Einsatz zeigen.

So verheerend diese Krise auch ist: Sie bietet eine seltene Gelegenheit, die Schwachstellen im Staatsapparat zu erkennen und auszubügeln. Wäre da nicht der nächste warme Regen, der von Frankfurt aus über ganz Europa zieht und wieder jeden Veränderungsdruck hinwegspült. Gratismilliarden über Gratismilliarden, die sich über den Kontinent ergießen. Österreich funktioniert derweil weiter – wenn auch aus den falschen Gründen.

Kolumne von Franz Schellhorn im „Profil“ (28.11.2020)

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