Die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas verlässt die EU. Die viertgrößte stellt die Währungsunion vor existenzielle Probleme. Porca miseria! – Kommentar von Franz Schellhorn
Bisher ging die Sache irgendwie doch immer wieder gut. Zwar wussten alle, dass die von Italien nach Brüssel gemeldeten Haushaltszahlen (lange Zeit) nicht ernst zu nehmen waren und dass das Land mit der absolut höchsten Verschuldung eine tickende Zeitbombe für die gesamte Eurozone werden könnte. Aber die Währungshüter übten Nachsicht, weil sämtliche italienischen Regierungen vor allem einmal eines waren: europafreundlich und redlich bemüht, die Neuverschuldung unter Kontrolle zu bekommen. Hinzu kam die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), die es Staaten wie Italien ermöglichte, die enormen Schuldenberge zu finanzieren. Mario Draghi, der italienische Präsident der EZB, stellte mit seinem “What-ever it takes!”-Versprechen am Höhepunkt der Krise klar, keinen Eurostaat in die Pleite schlittern zu lassen.
Dieses Gelübde beruhigte die Märkte und verschaffte schlingernden Eurostaaten Zeit, um ihre Probleme in den Griff zu kriegen. Es ist nicht ganz ohne Ironie, dass ausgerechnet Italien diese Atempause zu nutzen bereit war. Matteo Renzi legte eine Arbeitsmarktreform vor, die vielleicht nicht ausreichend, aber doch beachtlich war. Hinzu kam eine Verfassungsreform, die das verkrustete politische System des Landes aufbrechen sollte. Das Referendum scheiterte, Renzi trat am 7. Dezember des Jahres 2016 zurück. Ein Tag, der das Zeug hat, in einer Nachbetrachtung historische Bedeutung einzunehmen – als Wendepunkt für ganz Europa.
Denn die neue italienische Regierung lässt nicht den geringsten Zweifel daran aufkommen, einen radikalen Kurswechsel vollzogen zu haben. Statt die schwache Produktivität der Wirtschaft mit weiteren Reformen zu stärken, wird die Bevölkerung mit staatlichen Segnungen beglückt. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer wurde abgesagt, die geplante Pensionsreform zurückgenommen. Statt später in Frühpension zu gehen, werden die Mindestrenten erhöht. Die Cinque Stelle versorgen sozial Schwache mit einer staatlichen Kreditkarte, die monatlich mit 780 Euro für Einkäufe (nur in italienischen Geschäften, versteht sich) belastet werden kann. Die Lega Nord kontert mit einer großflächigen Steuersenkung. “Ein Budget des Volkes”, wie Vizeregierungschef Luigi Di Maio verkündete.
Bleibt nur zu hoffen, dass Italien nicht zum Argentinien Europas wird. Das Problem liegt weniger darin, dass das Budgetdefizit mit 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung drei Mal so hoch sein wird wie ursprünglich geplant, sondern darin, dass die Produktivität der Wirtschaft nicht aus dem Keller kommt und die langfristigen Folgen staatlicher Ausgabenprogramme übersehen werden. Wie steigende Preise und aus dem Ruder laufende Staatsschulden. Das Land steht schließlich schon mit 2100 Milliarden Euro oder 131 Prozent des BIPs in der Kreide.
Wer nun an Griechenland denkt, übersieht einen gewaltigen Unterschied: Konnten die Probleme im südlichsten EU-Mitgliedsland noch mit jeder Menge Geld zugedeckt werden, ist dies im Falle Italiens nicht möglich. Weil ein Rettungsschirm in dieser Dimension noch nicht erfunden ist. Das Land ist hinter Deutschland und Frankreich die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone und nach Japan und den USA der drittgrößte Anleiheschuldner weltweit. Deshalb schrillen nicht nur in Brüssel die Alarmglocken, sondern auf allen Märkten, an denen sich Staaten Geld leihen. Italiens Regierung weiß um ihr Drohpotenzial, weshalb sie eine forsche Strategie gewählt hat: Geld her oder wir treten aus!
Aber selbst wenn sich Rom für einen Verbleib in der Eurozone entschlösse, ist das noch nicht wirklich beruhigend. Auch dann müssten Italiens Probleme gelöst werden. Aber wie? Drei Auswege bieten sich an. Nummer 1: Italien wird im Euro günstiger und damit wettbewerbsfähiger. Kürzt also Löhne, Pensionen und Staatsausgaben, investiert in Forschung und stärkt den Unternehmensstandort. Italiens Regierung hat sich aber gerade für den entgegengesetzten Kurs entschieden.
Lösung Nummer zwei: Die konkurrenzfähigen Eurostaaten werden teurer, womit sich die relative Wettbewerbsposition Italiens verbesserte. Das setzte im Norden der Eurozone sehr hohe Teuerungsraten voraus, was in einer Nullzinsphase keine Regierung überleben würde. Oder Nummer drei: Die Eurozone wird zur Transferzone, die wettbewerbsfähigen Mitgliedsländer zahlen also und haften für die Schulden des Südens. In diesem Falle knallten in der AfD-Parteizentrale die Korken.
Vielleicht kommt es auch ganz anders, wer weiß. Vielleicht bleibt die EU hart und überzeugt Italien davon, eben nicht Teil einer Transferunion zu sein. Und wenn die EZB dann auch keine neuen Staatsschulden mehr aufkauft, könnte die neue Regierung in Rom auch zur Einsicht kommen, dass sie doch auf internationale Geldgeber angewiesen ist und dass sich Italiens Probleme wie die fehlende Produktivität nicht mit neuen Schulden lösen lassen. Hoffen werden wir ja noch dürfen. Bis jetzt ist die Sache irgendwie dann doch noch immer gut ausgegangen.
Kommentar von Franz Schellhorn im „profil“, 22.09.2018
Effizienter organisierte Staaten wie die Schweiz oder auch Schweden heben deutlich mehr Steuern lokal ein. Das sorgt für mehr Kostenwahrheit auf der regionalen Ebene und damit auch für geringere Ausgaben insgesamt.
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