Staatshaushalt

Schrecklicher Verdacht: Erdöl wird billiger!

Es gibt keine Deflation. Sondern sinkende Inflationsraten. Und das ist auch gut so.

Wer sich dieser Tage ein wenig über die aktuellen Geschehnisse am Laufenden hält, wird längst wissen, dass eine Bedrohung ungeahnten Ausmaßes auf uns zurollt. Die große Gefahr hat sogar einen Namen, sie heißt: Deflation. Nichts scheint den Wohlstand der Bürger stärker zu bedrohen als weniger Geld für Dinge des täglichen Bedarfes ausgeben zu müssen.

Als besonders wohlstandszersetzend gelten neuerdings sogar fallende Ölpreise. Wie dramatisch die Lage ist, lässt ein Bericht der ZiB vom vergangenen Montag erahnen, in dem sich WIFO-Ökonom Stephan Schulmeister allen Ernstes um das gedeihliche Fortkommen des von Despoten regierten Venezuelas sorgt.

Niemand, der sich darüber freuen würde, dass ein Liter Diesel an der Tankstelle wieder um weniger als einen Euro zu haben ist. Keiner, der allgemein sinkende Teuerungsraten als eine überaus erfreuliche Entwicklung im Sinne einer gestärkten Kaufkraft der privaten Haushalte willkommen heißen würde. Peter Michael Lingens weiß auch warum. In seiner Kolumne vom 16. Jänner schreibt er: „Deflation ist das bisher stärkste Indiz dafür, dass Angela Merkels Sparpaket die Konjunktur tatsächlich abwürgt und die EU an die Schwelle einer Abwärtsspirale rückt, in der sinkendes Wirtschaftswachstum und steigende Arbeitslosigkeit einander potenzieren könnten.“ Das klingt ziemlich schlimm, scheint aber endlich die von Lingens seit gefühlten 25 Jahren getrommelte These zu untermauern, wonach uns das sparverrückte Deutschland ins ökonomische Unglück stürzen wird.

Damit auch die schlichteren Gemüter unter uns verstehen, was Lingens meint: Wenn Deutschland ausgerechnet in der Krise seinen Haushalt saniert und im Zuge dessen weniger Geld ausgibt, fragen Deutsche in anderen Teilen Europas weniger Güter nach, wodurch zwangsläufig die Preise sinken. Im Zuge des Preisdrucks würden auch die Löhne einbrechen, bevor die ganze Wirtschaft den Bach runtergeht. Um der Deflation den Schrecken zu nehmen, müssten alle Staaten dem krankhaften Sparwahn abschwören und endlich kräftig investieren. Nur höhere Staatsausgaben und auf Hochdruck laufende Gelddruckmaschinen könnten uns jetzt noch retten. Das sei auch völlig gefahrlos, wie der profil-Kolumnist meint. Schließlich sei ja längst widerlegt, dass eine Ausweitung der Geldmenge zu steigenden Preisen führe.

Weil Österreich – wie Lingens richtigerweise schreibt – ein Anrecht auf eine seriöse Diskussion hat, sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass Lingens’ Einschätzung nicht auf ungeteilte Zustimmung trifft. So meint etwa der frühere Bundesbanker und EZB-Chefökonom Otmar Issing in einem aktuellen Interview mit der NZZ: „Ich sehe die (Deflations-)Diskussion an der Grenze zur Hysterie. Der Rückgang der Inflation ist stark durch den Sturz der Ölpreise getrieben. Das billigere Erdöl ist für das energiehungrige Europa aber kein Problem, sondern ein Segen“. Der Verfall der Ölpreise ist nämlich so etwas wie ein unerwartetes Konjunkturprogramm der Sonderklasse. Selbst in Japan, dem angeblichen Mahnmal der Deflation ist eine sich beschleunigende Abwärtsspirale der Preise nicht zu sehen. Diese gefährliche Form der Deflation sei nirgendwo zu diagnostizieren, so Issing: „Deflation hat es seit der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren in keinem Industrieland gegeben“. Und das wird auch so bleiben.

Eine ziemlich steile These ist auch Lingens’ Erkenntnis, wonach die (Preis-)Inflation trotz immer größerer Mengen billigen Geldes seit Jahren ausbleibe. Vielleicht wäre ein kurzes Gespräch mit österreichischen Durchschnittsbürgern hilfreich. Immerhin sind Mieten heute im Schnitt um 12 Prozent höher als im Jahr 2011, während sich Lebensmittel seither um zehn Prozent verteuerten. Weshalb sich die breite Mehrheit der Bevölkerung auf Lingens’ Frage „Na, wo bleibt sie denn, die Inflation?“ genarrt fühlen darf. Seit Beginn des Jahrtausends haben sich die Preise für gemieteten Wohnraum übrigens um 58 Prozent erhöht, jene für Lebensmittel um 44 Prozent. Das heißt nicht, dass eine Deflation völlig ausgeschlossen wäre – sondern vielmehr, dass Österreichs Haushalte eine Phase stark steigender Preise hinter sich haben. Und das in einer Zeit, in der die Geldmenge etwas mehr als doppelt so schnell gewachsen ist wie die Wirtschaftsleistung der Euroländer. Soweit zur These, billiges Geld und steigende Preise hätten miteinander nichts zu tun.

Uneingeschränkte Zustimmung findet der von mir überaus geschätzte Peter Michael Lingens in seinem Befund, dass Europa mehr Wachstum braucht. Warum sich dieses nach sechs Jahren staatlicher Krisenintervention noch immer nirgendwo blicken lässt, hat EZB-Präsident Mario Draghi unlängst plausibel erklärt: Europa leide an zu hohen Steuern, zu viel Bürokratie und einem immer größer werdenden Reformstau. Welches dieser drei Probleme durch die Angst vor Deflation und dem nun beschlossenen Ankauf von Staatsschulden zu lösen ist, bleibt freilich sein Geheimnis. Aber vielleicht fragt Herr Draghi ja bei Peter Michael Lingens nach…

Der Beitrag erschien am 26.01.2015 im “Profil”

Foto-Credit: andrey burmakin / Fotolia.com

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