In Deutschland haben wir ein neues Wort gelernt, „Framing“.
Die ARD, unser erstes Programm, hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, die ARD will ein besseres Image. Um dies zu erreichen, schlägt die Gutachterin vor, den Sendernamen ARD in der Öffentlichkeit konsequent und hartnäckig mit positiven Begriffen und Wertungen zu verbinden, etwa „unser gemeinsames Rundfunkkapital“. Das ist Framing. Man kennt es aus der Werbung. Das Programm kann dann offenbar so bleiben, wie es ist.
Das erfolgreichste Framing der Geschichte betrifft, glaube ich, das Wort „Kapitalismus“.
Dieses Wort scheint unrettbar negativ besetzt zu sein. Zumindest das ist Karl Marx gelungen. Sogar die engagiertesten Befürworter des Kapitalismus nennen ihn meistens verschämt „Marktwirtschaft“. Dabei hat der Kapitalismus den modernen Sozialstaat geschaffen. Anders als mit dem beträchtlichen Reichtum, den der Kapitalismus schafft, wäre dieses menschenfreundliche System gar nicht zu finanzieren. Im Kapitalismus gibt es Krisen, aber bisher hat er sich von seinen Wirtschaftskrisen noch immer erholt. Das kann man von den Versorgungskrisen im Sozialismus nicht behaupten. Stundenlang könnte ich das Loblied des Kapitalismus singen, er nährt die Armen, er bringt wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritt hervor und so hübsche Erfindungen wie das Internet oder Rollerblades, der Kapitalismus lässt die Popmusik blühen und bringt heiße Tänze auf den Dancefloor, sogar seine Feinde erträgt er, ohne gleich Erschießungskommandos zusammenstellen zu lassen, er ist superhuman und noch relaxter als Pharrell Williams.
Leider bin ich in Deutschland so ziemlich der einzige prokapitalistische Kolumnist, na ja, vier oder fünf sind wir schon. Mit sozialistischen Kolumnisten kannst du ja die Straße pflastern, so viele sind es. Aufgrund meines Alleinstellungsmerkmals kriege ich immerhin so schöne Aufträge wie diesen hier von der „Agenda Austria“.
Das Wort „Sozialismus“ dagegen ist positiv geframed, daran haben weder Josef Stalin noch Nicolas Maduro etwas ändern können. Du bist zufällig Diktator, lässt deine Gegner ermorden und lebst in Saus und Braus? Nenn dich einfach „Sozialist“! Dann fällt es nicht so auf, was für ein Schlawiner du bist. In Deutschland steht ein Teil der Linken immer noch solidarisch hinter Maduro, obwohl das Volk hungert, was in den kapitalistischen Nachbarstaaten von Venezuela bei weitem nicht in diesem Umfang der Fall ist.
Der Sozialismus ist quasi eine Autobahn in den Hunger, seit Jahrzehnten gibt es Hungersnöte fast nur noch dort, wo er an der Macht ist. Aber das Image ist okay! Das nenne ich erfolgreiches Framing. Man stelle sich vor, ein Unternehmen böte einen Joghurt an, der sofort zu Hautausschlag und mehrwöchigem Durchfall führt. Aber in Umfragen würden immer wieder 60 Prozent der Konsumenten erklären: „Dieser Joghurt ist der Beste.“ Der Sozialismus hat das geschafft.
Die größte Leistung des Kapitalismus besteht darin, dass er inzwischen sogar den Sozialismus ökonomisch über Wasser hält. Die DDR hat zuletzt nur dank Wirtschaftshilfe aus dem Westen überhaupt noch Löhne zahlen können. In China hat die Kommunistische Partei den Kapitalismus eingeführt, damit ihr Zentralkomitee weiter ungestört Karl Marx hochleben lassen und Arbeiterlieder singen darf. Sie sind Kapitalisten der härtesten Sorte, fast ohne Sozialstaat, aber weil sie sich aus Imagegründen „Sozialisten“ nennen, kommen sie damit offenbar durch. In den USA würde sich so ein Regime keiner gefallen lassen. Falls aber Deutschland sozialistisch wird, viele sind dafür, die CDU sondiert schon Koalitionen mit der Linken, falls also das passiert, dann werden wir sicher bald um Lebensmittellieferungen aus Österreich bitten.
Lasst uns nicht hängen, schickt Germknödel und Sachertorte.
Herzlich grüßt
Harald Martenstein
Harald Martenstein ist ein deutscher Star-Journalist. Er ist u.a. Redakteur des „Tagesspiegels“ und Kolumnist der „Zeit“. Von Jänner bis Dezember 2019 schreibt er für die Agenda Austria die monatliche Kolumne „Martensteins Österreich“.
Harald Martenstein gilt als einer der populärsten Kolumnisten im deutschen Sprachraum. Er schreibt seit vielen Jahren für die „Zeit“, seit Kurzem auch für die „Welt am Sonntag“. Sein Markenzeichen ist die feine Ironie, mit der er sich die Ereignisse auf der Welt – und vor allem im deutschen Teil der Welt – vorknöpft.
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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