Während die Kündigungswelle ins Rollen kommt, versinkt das Land im parteipolitischen Kleinkrieg. Die Politiker geben kein gutes Vorbild ab.
Die kommenden Monate werden für viele Menschen in diesem Land überaus dramatisch verlaufen. Seit dieser Woche ist nicht mehr zu übersehen, dass die Kündigungswelle ins Rollen gekommen ist. Viele Unternehmen verabschieden sich aus der Kurzarbeit und kündigen reihenweise Mitarbeiter, weil sie das viel zitierte Licht am Ende des Tunnels nicht sehen können. Andere schließen mitten in der Krise gleich ganze Produktionsstandorte, um sich dauerhaft aus Österreich zu verabschieden. Die globale Gesundheitskrise wird damit immer mehr zur individuellen Wirtschaftskrise Tausender Menschen in diesem Land.
Das dürfte erst der Anfang sein. So geht die Wirtschaftsauskunftei Creditreform davon aus, dass aus der Kündigungswelle ein Tsunami wird. Viele Unternehmen werden derzeit nur noch mit Staatsgeld über Wasser gehalten. Irgendwann wird diese Quelle versiegen, und dann würden 10.000 Betriebe vor der Pleite stehen, so die düstere Prognose. Das wäre eine soziale Katastrophe, denn in einem hat der oberste Gewerkschafter des Landes, Wolfgang Katzian, absolut recht: “Arbeitslosigkeit ist die unsozialste und unmenschlichste Form der Arbeitszeitverkürzung.” Und schon jetzt sind 400.000 Menschen auf Jobsuche, fast ebenso viele in Kurzarbeit.
Als wäre das alles nicht schlimm genug, scheint ausgerechnet jetzt das politische Österreich im Chaos zu versinken. Während sich viele Unternehmen über den Sommer auf einen harten Herbst vorbereitet haben, hat der Staat offensichtlich das Gegenteil davon getan: In den Schulen gibt es keine klaren Pläne für den Fall, dass eines der Kinder positiv auf Covid-19 getestet wird. Die Corona-Ampel ist zur Farce verkommen, und wer sich in Wien bei der Corona-Hotline meldet, muss inzwischen bis zu sieben Tage auf das Testergebnis warten. In dieser Zeit ist auch die Quarantäne-Frist abgelaufen. Gleichzeitig herrscht am Donaukanal jeden Abend Party-Stimmung.
Vom nationalen Schulterschluss ist nichts mehr zu sehen. Jede Partei ist nur noch darauf aus, Kapital aus der Krise zu schlagen. Dieser parteipolitische Kleinkrieg interessiert nur außerhalb der Politik niemanden. Die Bürger erwarten sich von der Regierung staatsmännisches Verhalten und Leadership. Das gilt nicht nur für den Bund, sondern auch für die Führungsriege in den Ländern und Gemeinden. Und vielleicht könnten sich die Vertreter der Opposition ja auch einmal etwas mehr einfallen lassen als die seit Monaten gelebte Fundamentalkritik. Der eine oder andere konstruktive Vorschlag wird wohl noch drinnen sein.
Die Menschen wollen Lösungen, auf eine Moderation der Probleme können sie gerne verzichten. Deshalb sollten sich die Vertreter aller Parteien einen Aufruf von Gesundheitsminister Rudolf Anschober aus dem August zu Herzen nehmen: “Reißt euch zusammen!” Das gilt auch für den Minister selbst, nicht zuletzt aber für den gesamten Staatsdienst. Die Bevölkerung will nicht mehr hören, wer denn nun was nicht erledigt hat. Das Interesse der Menschen erschöpft sich einzig und allein daran, einen funktionstüchtigen Staatsapparat vorzufinden, was angesichts der enorm hohen Abgabenleistung auch nicht zu viel verlangt sein sollte.
Zum staatsmännischen Verhalten gehört aber auch, keine falschen Hoffnungen zu wecken. Schon gar nicht bei jenen Menschen, die derzeit ohne Perspektive sind. Niemand hat eine Patentlösung, die alles wieder gutmacht. Selbst ein Impfstoff wird die Welt von gestern nicht zurückbringen. Keine Regierung der Welt kann die wegbrechende Wirtschaftsleistung vollständig durch höhere Staatsausgaben ausgleichen. So wie kein Staat der Welt alle Arbeitslosen im öffentlichen Dienst beschäftigen kann. Es ist absurd, wenn ausgerechnet jetzt die Stadt Wien stolz verkündet, die ersten Anteile an maroden Unternehmen aufgekauft zu haben. Wer nicht einmal in der Lage ist, rechtzeitig Testkapazitäten zu organisieren, sollte besser die Finger vom Unternehmertum lassen.
Was der Staat aber tun kann, ist, den sozialen Druck von jenen zu nehmen, die ihre Arbeit verlieren. Und schon heute daran zu denken, wie die wirtschaftliche Dynamik nach überwundener Pandemie zu entfachen wäre. So ist es kein Fehler, in die Qualifizierung arbeitslos gewordener Menschen zu investieren. Genauso richtig wäre es auch, endlich einen funktionstüchtigen Arbeitsmarkt für Ältere zu schaffen, indem ab einem gewissen Alter die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt oder gar auf null gesetzt werden. So wie es auch wichtig und richtig wäre, die Sanierung des maroden Pensionssystems anzugehen und die technologischen Möglichkeiten zu nutzen, um den Bürgern eine digitalisierte Verwaltung zu bieten, die im 21. Jahrhundert angekommen ist.
An Schwachstellen herrscht im System Österreich bekanntlich kein Mangel. Deren Beseitigung jetzt anzugehen, würde den Blick vieler Menschen wieder nach vorn richten. Deshalb, liebe Politiker: Reißt euch zusammen! Und geht endlich mit gutem Beispiel voran, statt kleinlich zu streiten und Chaos zu stiften.
Kolumne von Franz Schellhorn im „Profil“ (19.09.2020)
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