Die Hilfsorganisation Oxfam geißelt alljährlich die steigende Konzentration von Vermögen. Dabei ist Oxfam selbst reicher als 2,25 Milliarden Menschen zusammen. – Kommentar von Franz Schellhorn
Der Mensch braucht Rituale. Pünktlich zu Beginn des Weltwirtschaftsforums in Davos veröffentlicht die Hilfsorganisation Oxfam jedes Jahr ihre Studie über Wohlstand und Armut in der Welt. Der Tenor ist stets derselbe: Die Ungleichheit wird immer schlimmer, die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher. Die erschütternde Nachricht geht durch die Medien wie das heiße Messer durch die Butter. „Alle zwei Tage ein neuer Milliardär“, titelte orf.at, als hätten wir es mit einer hochansteckenden Krankheit zu tun.
Aber zum Glück hat Oxfam das passende Gegenmittel zur Hand: Einzudämmen wäre die Epidemie des grassierenden Superreichtums nur mit radikalen Vermögenssteuern, die dann unter den Ärmsten der Armen verteilt werden.
Statt aufzuklären, zeichnet Oxfam bewusst ein falsches Bild von den Zuständen der Welt, die keineswegs immer ungerechter und schlechter wird. Der Anteil der Menschen, die weltweit in Armut leben, ist von über 44 Prozent im Jahr 1981 auf unter zehn Prozent im Jahr 2015 gesunken. Und das, obwohl im selben Zeitraum die Weltbevölkerung um 63 Prozent gestiegen ist. Der Titel der Oxfam-Studie hätte also auch so lauten können: „Jeden Tag schaffen 100.000 Menschen den Weg aus der Armut“ – denn genau das ist der Fall.
Aber das ist nicht die passende „Message“. Die lautet nämlich: Die Reichen sind nur deshalb reich, weil die Armen arm sind. Oder umgekehrt: Die Armen sind deshalb arm, weil die Reichen reich sind. Das ist auch die Botschaft, die sich in den Köpfen der Menschen festsetzt. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Die Reichen werden zwar immer reicher, aber die Einkommensunterschiede zwischen den Ländern werden kleiner, der Wohlstand breitet sich weltweit aus.
Nobelpreisträger Angus Deaton meinte in diesem Zusammenhang gegenüber der „Neuen Zürcher Zeitung“ im Jahr 2016: „Ich sage, dass die Zahl der von Armut betroffenen Menschen in nur drei Jahrzehnten von zwei Milliarden auf eine Milliarde gesunken ist. Das ist ein Resultat des Kapitalismus, der Globalisierung, der Ausbreitung von Märkten. Das ist kein Scheitern, sondern einer der größten Erfolge der Menschheitsgeschichte. Der Welt ist es insgesamt noch nie besser gegangen als heute, auch wenn sie sich derzeit in einer ziemlichen Unordnung präsentiert.“
Wer den Bericht von Oxfam liest, muss zu exakt gegenteiligen Schlüssen kommen: Der Welt ist es noch nie schlechter gegangen als heute. 42 Superreiche würden so viel besitzen wie die Hälfte der Weltbevölkerung oder 3,7 Milliarden Menschen zusammen. Allein das zeige, dass hier Entscheidendes schiefgelaufen wäre, wie Oxfam kritisiert. Für Oxfam selbst läuft es hingegen prächtig. Der Jahresetat hat mittlerweile die Grenze von einer Milliarde Euro gesprengt, und die Hilfsorganisation sitzt auf einem Vermögen von knapp 400 Millionen Euro. Der Methodik von Oxfam folgend ist Oxfam so reich wie 2,25 Milliarden Menschen oder die ärmsten 30 Prozent der Weltbevölkerung zusammen.
Ausschlaggebend zur Berechnung der globalen Schieflage ist für Oxfam nämlich das Nettovermögen, also das Vermögen abzüglich Schulden. Das wiederum bedeutet, dass ein hervorragend verdienender Harvard-Absolvent, der noch einen Studentenkredit laufen hat, ärmer ist als ein mittelloser chinesischer Bauer ohne Vermögen und ohne Schulden. Während viele Europäer und Nordamerikaner aufgrund ihrer Nettoverschuldung laut Oxfam zu den vermögensärmsten zehn Prozent (!) zählen, trifft das in China nur auf wenige zu, weil sie kaum Schulden haben. Spart aber ein durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer in Österreich sein 13. und 14. Gehalt (nach Steuern und Abgaben sind das rund 3600 Euro), gehört er oder sie bereits zur reicheren Hälfte der Weltbevölkerung. Allein das zeigt, wie irreführend die von Oxfam eingesetzte Methodik ist.
Das alles soll nicht dazu dienen, den schier unglaublichen Reichtum des obersten Promilles kleinzurechnen. Wir haben ein Verteilungsproblem, keine Frage. Das fundamentale Problem ist aber nicht der Reichtum einiger weniger (zumal der Wohlstand breiter Massen kontinuierlich steigt). Es liegt schlicht und ergreifend darin, dass viele Menschen sehr wenig bis nichts besitzen. In den armen Ländern, weil es aufgrund von Kriegen, Korruption und fehlendem Eigentumsschutz keine Möglichkeit zum Aufstieg gibt.
Und in den reichen Ländern, weil selbst gut verdienende Menschen kaum noch Vermögen aufbauen können, was wiederum daran liegt, dass ineffizient arbeitenden Staaten sie zu teuer kommen und ihnen zu wenig Geld von ihren Arbeitseinkommen übrigbleibt. Wer die Verteilung verbessern will, sollte dafür sorgen, dass sich genau das ändert. Indem die Staaten ihre Aufgaben (Bildung, Gesundheit, Infrastruktur etc.) effizient erledigen, um die Besteuerung niedrig zu halten und einer breiten Masse den Aufbau von Vermögen zu ermöglichen.
Aber mit derartigen „Botschaften“ schafft es niemand auf die Titelseiten – und bringt es schon gar nicht zum Spendenmilliardär. Da hält man schon lieber an bewährten Ritualen fest.
Kommentar von Franz Schellhorn im „profil“, 27.01.2017
Auch wenn sich die Lage der Ärmsten stetig verbessert, zeichnet Oxfam ein immer düster werdendes Bild.
Was bedeutet es für die Armen, wenn Reiche reicher werden? Wie wirkt sich diese Ungleichheit aus? Wie entwickeln sich Einkommen und Vermögen tatsächlich? Ein Überblick.
Die extreme Armut ist global gesehen seit 1990 deutlich zurückgegangen: Allein in China ist die Zahl der extrem Armen von 756 Millionen auf 25 Millionen Menschen gesunken.
Wer lauter schreit, kriegt eher Recht
Die NGO Oxfam veröffentlicht jedes Jahr aufs Neue pünktlich zum Weltwirtschaftsforum in Davos eine Studie zum Thema Armut und Wohlstand in der Welt. Doch viele Aussagen Oxfams stehen nicht auf solidem Boden. Besonders die Handlungsempfehlungen sind weniger eine praktische Hilfestellung als vielmehr ein ideologisches Programm. Mit dem vorliegenden
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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