Gab es, basierend auf den vorher genannten Definitionen, überhaupt Austerität in Italien? Und wenn ja, in welchem Ausmaß und mit welchem Erfolg? Und wie haben die Maßnahmen zur Senkung der Schulden im Detail ausgesehen?
Die Austerität in Italien bestand in den Krisenjahren zum Großteil aus höheren Steuereinnahmen.[1] Während die Staatsausgaben in anderen europäischen Krisenländern signifikant gesunken sind, hat der italienische Staat nur verhalten ausgabenseitig gespart. In der heißen Phase der europäischen Schuldenkrise (2010– 2013) sind aber die Einnahmen von 45,7 Prozent des BIP auf 48,1 Prozent gestiegen, die Staatsausgaben von 49,9 auf 50,9 Prozent des BIP.
Das gilt allerdings nicht für alle Ausgaben- oder Einnahmenkategorien: Auf der Ausgabenseite wurden vor allem Sozialtransfers ausgeweitet, die Ausgaben für Pensionen stiegen und die Zinszahlungen fielen (bis zur Intervention der Europäischen Zentralbank 2012) höher aus. Dafür sanken die Bruttoanlageinvestitionen wie auch die direkt ausgezahlten Gehälter.[2] Auf der Einnahmenseite stiegen sowohl die indirekten Steuern als auch die direkten Steuern.
Doch war diese Politik Roms, so wie sie umgesetzt wurde, auch vernünftig? Das darf bezweifelt werden. Alesina et al. zeigen etwa deutlich, dass Steuererhöhungen volkswirtschaftlich mehr negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Dynamik haben als Ausgabenkürzungen. Ihr Befund ist, dass Haushaltsanpassungen, die auf Steuererhöhungen basieren, in Relation zu Ausgabenkürzungen viel kostspieliger sind, weil sich höhere Steuern negativer auf das Geschäftsklima und Investitionen auswirken.[3]
Folglich hat Italien nicht die besten Anpassungsmaßnahmen gewählt oder Maßnahmen nicht richtig umgesetzt. Schlimmer noch: Gerade eher schädliche Pläne wurden relativ konsequent umgesetzt. Denn die fiskalischen Anpassungen haben sich überwiegend auf höhere Steuereinnahmen gestützt. Die Steuerquote erreichte 2012 ihren Höchststand von 43,7 Prozent des BIP und ist seitdem nur langsam wieder gesunken. Krisenländer wie Portugal, Irland und Spanien haben hingegen die Staatsausgaben deutlicher gesenkt und wachstumsfreundlicher konsolidiert.
In der wirtschaftspolitischen Debatte wird vor allem das konjunkturell bereinigte Primärdefizit genannt. Doch diese um die Konjunktureffekte und die Zinsausgaben bereinigte Kennzahl ist für Italien oftmals irreführend. Dieses Primärdefizit wies in Italien seit 1995 laut Daten der EU-Kommission nur in einem Jahr (2009) einen Fehlbetrag auf, in allen übrigen Jahren hingegen einen Überschuss.
Das liegt an der großen Bedeutung der Zinszahlungen für das Primärdefizit, sagt aber zugleich wenig darüber aus, ob die Budgetpolitik sonderlich restriktiv war.
Analysiert man nur die Primärsalden Italiens, übersieht man, dass die Zinsen in der Realität angesichts der außergewöhnlich hohen Schuldenlast sehr wohl den Handlungsspielraum in Rom einengen. Dank des Euro hat der italienische Haushalt zwar eine „Dividende“ in Form von niedrigeren Zinsausgaben lukrieren können, doch zu wenig von dieser Dividende ist in produktivitätssteigernde Maßnahmen investiert worden.
Betrachtet man nun auch noch die Dimension der Wettbewerbsfähigkeit, sieht man erneut, dass Italien kaum Maßnahmen gesetzt hat, die als effektive Austerität beschrieben werden können. Tatsächlich sind die Lohnstückkosten in Italien, im Gegensatz zu anderen Krisenländern wie Irland, Portugal oder Spanien, in der intensiven Phase der europäischen Schuldenkrise weiter gestiegen. Die deutlich höheren Lohnstückkosten gepaart mit einer geringeren Produktivität üben Druck auf die Wettbewerbsfähigkeit aus.[4]
Die Sparpolitik in Italien war also insgesamt zurückhaltender als in Spanien, Irland oder Portugal. Sie wurde zudem stark mithilfe höherer Steuereinnahmen umgesetzt. Die deutlich gesunkenen Zinsausgaben, insbesondere dank der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, wurden – wie etwa auch in Österreich – kaum genutzt, um den Haushalt nachhaltig zu konsolidieren.
Fußnoten
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