Wie gesagt: So kann es eigentlich nicht weitergehen. Wird es aber, da es keinen wirksamen Mechanismus gibt, der den Bürokratieapparat immer wieder auf ein angemessenes Maß zurückstutzt. Oder doch?
Seit dem legendären Auftritt des damaligen argentinischen Präsidentschaftskandidaten Javier Milei ist „Afuera!“ der Schlachtruf aller, die den Staat als den Leviathan begreifen, als den ihn der britische Philosoph Thomas Hobbes 1651 einst beschrieb. Als das übermächtige, alles verschlingende Ungeheuer, auf das auch in jüngerer Zeit die Ökonomen Geoffrey Brennan und der Nobelpreisträger James Buchanan Bezug nahmen und darüber nachdachten, wie man den Leviathan daran hindern kann, immer größere Teile der Wirtschaftsleistung für sich zu beanspruchen.[2]
Aber wäre „Afuera!“ nicht zu extrem? Wenn die Taxonomieverordnung und die CSRD-Richtlinie plötzlich weg wären, würden sich die Unternehmen dann noch um Nachhaltigkeit bemühen? Würde man die Lieferkettenrichtlinie einfach „wegbolzen“, was würde dann aus den Kindern in Indien? Sollte die Entwaldungsverordnung nun gar nicht mehr kommen, was würde dann aus den brasilianischen Regenwäldern? Und wären Frauen für immer zu prekärer Arbeit verdammt, wenn die Lohntransparenzrichtlinie nicht käme?
Die ehrliche Antwort ist: Nein, es wäre nicht zu extrem. Die Option „Kettensäge“ muss klar auf den Tisch. Anders lässt sich das Versprechen der EU-Kommission, die Berichtspflichten um 25 Prozent zu senken, überhaupt nicht umsetzen. Eine kleine Abschwächung hier, eine großzügige Ausnahme dort: Über diesen Punkt sind wir längst hinaus. Und es ist ja nicht so, dass viele der Dinge, die nun geregelt werden sollen, nicht längst geregelt wären. Es bricht zum Beispiel nicht der Wilde Westen aus, wenn die Lohntransparenzrichtlinie nicht kommt, weil eine ganze Reihe von Gleichbehandlungsrichtlinien schon seit Jahren in nationales Recht umgesetzt wurden. Die Unternehmen würden auch nicht ihre Nachhaltigkeitsbemühungen fallenlassen, nur weil sie nicht mehr darüber berichten müssen. Es gibt schließlich noch tonnenweise Umweltvorgaben und den Emissionszertifikatehandel, der die Unternehmen zu Maßnahmen motiviert, die wirksamer sind als das Schreiben blumiger Berichte.
Natürlich sind Umwelt- und Sozialstandards wichtig. Die Ziele der Regelwerke – gut möglich, dass das oben etwas untergegangen ist – teilt jeder Mensch, in dem ein Herz schlägt. Auch wir. Doch wenn Maßnahmen derart unadministrierbar sind, dass die EU-Institutionen offensichtlich selbst damit überfordert sind (siehe Entwaldungsverordnung), dann sollte man das Unmögliche auch von den Unternehmen nicht verlangen. Dass die Gefahr der Überforderung für die Wirtschaft sehr real ist, scheint ja selbst den Autoren der Rechtsakte bewusst zu sein; sonst würden sie keine Schulungen und Kredite zu ihrer Bewältigung vorschlagen. Und ob die Maßnahmen geeignet sind, die begrüßenswerten Ziele zu erreichen, ist auch noch zu bezweifeln.
Dass man sich in den dystopischen Ungetümen aus Metall und Glas, die bezeichnenderweise die Architektur des Brüsseler Europaviertels bestimmen, prächtig von der Außenwelt abschirmen und sich wie das Zentrum des Universums vorkommen kann, aus dem die Geschicke der Welt gelenkt werden können und müssen, ist nur allzu verständlich. Doch offensichtlich sollten auch wir Europäer von Zeit zu Zeit…
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Die EU ist schon längst kein wirtschaftliches Schwergewicht mehr. Demografisch und ökonomisch spielt die Musik inzwischen in Asien; die EU und die USA sind auf dem absteigenden Ast (vgl. Abbildung 4). Kein Mensch interessiert sich mehr für europäische Weltverbesserungsambitionen. Schon bald werden Produkte nicht mehr für den Westen, sondern vor allem für den asiatischen Markt produziert. Auch die Industriestandards werden dann dort gemacht. Wir werden froh sein müssen, wenn sich in Shanghai noch jemand der Mühe unterzieht, wenigstens die Gebrauchsanweisungen in eine hierzulande verständliche Sprache zu übersetzen. Für den Planeten muss das übrigens keine schlechte Sache sein: Die chinesische Abgasnorm China 6b wird strenger sein, als es Euro 7 wohl je sein wird, nachdem die europäische Autolobby ihren Einfluss umfangreich geltend gemacht hat. Es täte uns also gelegentlich gut, von unserem hohen Ross herunterzusteigen.
Und nebenbei bemerkt: Die EU hat ja nicht einmal ihren eigenen Laden im Griff. Die Hälfte der Mitgliedstaaten hat öffentliche Schuldenberge angehäuft, die mit den Maastricht-Regeln nicht mehr kompatibel sind. Die Drei-Prozent-Defizithürde wurde seit Einführung des Euro satte 160-mal gerissen. Auch die Dublin-Verordnung ist nur noch eine leere Hülle. Und weil ihnen die Regierungen in den europäischen Hauptstädten ja doch nur auf der Nase herumtanzen, haben sich die Brüsseler Bürokraten nun die Unternehmen vorgenommen. Dabei sollten sie sich lieber…
Wenn wir für das Gute in die Welt hineinwirken wollen, dann sollten wir die richtigen Mechanismen wählen. Eine Liste mit entwaldungsgefährdeten Ländern, die auch nachhaltige Produzenten unter Generalverdacht stellt und ihnen den Export ihrer Güter nach Europa erschwert, dürfte wohl kaum dazuzählen. Ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen in Schwellenländern an die Chinesen ausliefert, auch nicht. Doch klimapolitisch besteht gute Hoffnung, dass wir den richtigen Mechanismus gefunden haben: Der oben schon erwähnte Emissionszertifikatehandel steht überall auf der Welt hoch im Kurs. China hat ihn bereits kopiert, Brasilien kommt bald dazu, ja sogar Milei hat in Argentinien schon damit geliebäugelt. Ein Grund für die weltweite Begeisterung ist der europäische CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM). Mit ihm motivieren wir alle, die mit uns Handel treiben wollen, eine Form der CO2-Bepreisung einzuführen, um bei uns keine Ausgleichszölle zahlen zu müssen. Ehrlicherweise sorgt auch der CBAM für bürokratische Mehrbelastungen für importierende Unternehmen. Doch dafür dürfte er immerhin wirken. Die Voraussetzung ist aber, dass wir als Handelspartner auch in Zukunft wichtig genug bleiben (siehe noch einmal Abbildung 4).
Ähnliche Handelsinstrumente sind auch für viele andere Aspekte denkbar. Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT bietet durchaus rechtliche Grundlagen, um die Einfuhr von Gütern aus Ländern zu erschweren, deren Regierungen sich Wettbewerbsvorteile davon versprechen, dass sie die Menschenrechte mit Füßen treten, nichts gegen Kinderarbeit unternehmen oder unwürdige Arbeitsbedingungen dulden. Spätestens wenn ihnen die Unternehmer wegen der milliardenschweren Ausgleichszölle, die sie an die reiche EU überweisen müssen, in den Ohren liegen, werden sich die Regierungen überlegen müssen, wie sie die Verhältnisse im eigenen Land in Ordnung bringen.
Das sind die Mechanismen, die einen Unterschied machen könnten. Dafür müssten Regierungen aber ihre Arbeit erledigen, statt sie an die Unternehmen auszulagern und zu hoffen, dass mit Hunderten Seiten starken Berichten die Welt zu einem besseren Ort wird. Deshalb muss mutig der Ruf erschallen: Afuera!
Doch weil das realistischerweise nicht passieren wird und wir in Österreich auch keinen übermäßig großen Einfluss auf das haben, was in Brüssel passiert, sollten wir zu Selbstschutzmaßnahmen greifen. Soweit wir EU-Vorgaben umzusetzen haben, liefern wir nur noch …
Der englische Begriff „Gold Plating“ meint das Blattvergolden von Gegenständen; im übertragenen Sinne steht er für das nationale Übererfüllen von EU-Richtlinien.
Wir erfinden ein neues Konzept: „Padding“. Nicht, was Sie jetzt gleich wieder denken. Padding bedeutet nichts Schlüpfriges, sondern lässt sich mit Auspolstern oder Wattieren übersetzen. Die österreichische Regierung, die EU-Richtlinien in nationales Recht übertragen muss, sollte die Paragrafen so gut in Watte packen, dass sie sich federleicht anfühlen, wenn sie in der heimischen Wirtschaft aufschlagen. Taxonomie und CSRD gehören ohnehin schon weitgehend zusammen; es ist nur naheliegend, dass man zum Beispiel auch die Lieferkettenrichtlinie dabei gleich miterledigen kann. Bei der Entwaldungsverordnung muss klar sein, dass der österreichische Wald anders behandelt werden kann als der brasilianische Regenwald. Wann immer es Initiativen gibt, beschlossene EU-Richtlinien abzumildern, abzuschwächen oder zu verzögern, sollte die österreichische Regierung zu den lautesten Aktivisten gehören. Wer die Regeln übererfüllen will, setzt die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Unternehmen aufs Spiel, ohne dass irgendjemandem irgendwo auf der Welt geholfen ist. Und abgesehen davon müssen wir ganz generell …
Es ist im Grunde aussichtslos, Regeln aufzustellen, um die Regelungswut von Bürokraten zu begrenzen. Obwohl es schon viele solcher Regeln gibt, sieht der deutsche Normenkontrollrat vor allem auf EU-Ebene noch deutlichen Verbesserungsbedarf. Interessanterweise nimmt er dabei die Kommission weitgehend in Schutz. Sie habe immerhin Maßnahmen zur Gesetzesfolgenabschätzung eingeführt (auch wenn viele davon eher nach mehr als nach weniger Bürokratie klingen) und sogar eine „One-in-one-out“-Klausel erlassen. Der Langtitel der Entwaldungsverordnung führt zum Beispiel die Aufhebung der alten Holzhandelsverordnung schon im Namen. Haarig werde es dann oft erst im Trilog mit Rat und Parlament. Ausgerechnet der Rat habe bezeichnenderweise kaum Mechanismen zur Folgenabschätzung seiner Änderungswünsche. Auch bei den delegierten Rechtsakten sieht der Normenkontrollrat die Mitgliedstaaten in der Pflicht. Niemand hindert nämlich Rat und Parlament daran, jederzeit Einspruch zu erheben oder die Delegierung an die Kommission zu widerrufen.
In den Hauptstädten sollte man also vielleicht weniger nörgeln, sondern die EU-Institutionen besser verstehen und qualifizierteres Personal dorthin schicken. Bei allem die Hand heben und dann über Brüssel jammern, ist billiges EU-Bashing. Auch dazu: Afuera!
Fast schon im Wochentakt schlagen bei den Unternehmen neue Regeln auf. Es kann schon längst nicht mehr als EU-Bashing gelten, den Regelungswahn der Brüsseler Schreibtischakrobaten als unmäßig zu kritisieren. Wir werfen einen Blick in die Giftküche der Bürokratie.
Schwerpunkt 1: Mehr Wachstum braucht das Land! Wirtschaftswachstum ist in Österreich zu einem Fremdwort geworden. Nicht nur in der Statistik und in den Prognosen der Institute ist es inzwischen weitgehend der Stagnation gewichen. Auch in den Wahlprogrammen der Parteien kommt es kaum noch vor. Man sollte ja erwarten, dass ein Land, dessen reales Br
Wohnen ist in Österreich nicht teurer als in anderen europäischen Ländern. Die Wohnkostenbelastung liegt unter dem EU-Schnitt. Und doch gibt es Verbesserungsbedarf: Künftige Regierungen sollten den Aufbau von Wohneigentum in der Mitte der Gesellschaft erleichtern, den geförderten Mietmarkt treffsicherer machen und dafür sorgen, dass ausreiche
Der Sozialstaat ist eine Errungenschaft, um die uns viele Menschen auf der Welt beneiden – aber auch eine finanzielle Belastung, die sich immer schwerer stemmen lässt. Die nächste Regierung wird um Sparmaßnahmen nicht herumkommen, wenn das System zukunftsfit bleiben soll. Für die Bürger muss das nicht unbedingt Verschlechterungen mit sich br
Eigentlich wollte die Regierung ja die Staatsschulden senken und die Bürger entlasten. Beides ist leider spektakulär misslungen. In der kommenden Legislaturperiode muss die Politik das Ruder herumreißen und einen Sparkurs einschlagen. Die gute Nachricht: Es gibt ziemlich viele Maßnahmen, die man setzen kann.
Österreich gibt sehr viel Geld für Bildung aus – und bekommt dafür nur mittelmäßige Resultate. In Schulnoten ausgedrückt verdient der Bereich bestenfalls ein „Befriedigend“. Dabei wäre es gar nicht so schwer, Einserschüler zu werden, auf dem Bildungsmarkt gibt es viele gute Ideen. Die nächste Regierung muss das Rad also nicht neu erf
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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