Verloren im Papierdschungel: Die erdrückende Last der Bürokratie

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5. Die Lohntransparenzrichtlinie

Doch Zacharias fürchtet sich vor noch weiteren Bürokratiemonstern. Schon bald hat er Rede und Antwort zu stehen, wie er seine Beschäftigten bezahlt. Was traditionell im berechtigten Interesse der Arbeitgeber im Unklaren blieb und bestenfalls Gegenstand halblauter Spekulationen an der Kaffeemaschine war, muss nun unter den neugierigen Blicken der Öffentlichkeit ausgebreitet werden. Dafür sorgt die EU-Richtlinie 2023/970 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Mai 2023 zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Entgelttransparenz und Durchsetzungsmechanismen. Sie verlangt, dass Unternehmen ihre Entgeltstrukturen offenlegen. Sie müssen also wieder einmal Berichte tippen. Sie haben darin geschlechtsspezifische Lohngefälle darzulegen und Maßnahmen zu ihrer Verringerung zu ergreifen (und darüber zu berichten), wenn Frauen durchschnittlich um mindestens fünf Prozent weniger verdienen als Männer in vergleichbaren Tätigkeiten. Für die Beschäftigten gibt es außerdem umfassende Auskunftsrechte. Für Österreich, wo 98 Prozent der Beschäftigten nach Kollektivverträgen entlohnt werden, die geschlechtsbezogene Unterschiede selbstverständlich verbieten, ist so eine Maßnahme natürlich genauso überdimensioniert wie eine Entwaldungsverordnung in einem Land, in dem die Wälder bereits per Gesetz geschützt sind. Was kommt als Nächstes? Winterreifenpflicht in der Sahara?

Als Motivation für die Lohntransparenzrichtlinie wird der Gender Pay Gap herangezogen, der die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen misst. Sie liegt in Österreich laut Statistik Austria bei 18,4 Prozent und damit höher als in den meisten anderen EU-Ländern. Diese Zahl zeigt, dass Frauen und Männer hierzulande in unterschiedlichen Arbeitsmärkten unterwegs zu sein scheinen. Frauen sind zum Beispiel häufiger in Branchen anzutreffen, in denen chronisch schlecht bezahlt wird. Ein Blick in die Lehrlingsstatistik der WKO zeigt, dass das auf absehbare Zeit auch so bleiben wird:[1] Die drei beliebtesten Lehrberufe der Mädchen sind Einzelhandelskauffrau, Bürokauffrau und Friseurin. Über ein Drittel der Burschen wollen hingegen gerne Elektrotechniker, Metalltechniker oder Kraftfahrzeugtechniker werden. Der Gehaltskompass des AMS zeigt, dass viele der Mädchen in ihren Berufen über Bruttoeinstiegsgehälter von 2.000 Euro pro Monat kaum hinauskommen werden; die meisten Burschen landen sofort bei 2.500 Euro und mehr.

Abbildung 3: Lohnlücke zwischen Männern und Frauen


Was ändert die Lohntransparenzrichtlinie daran? Richtig: Gar nichts. Das relevante Lohngefälle, über das berichtet werden soll, ist ja nur das bei „gleicher oder gleichwertiger Arbeit“. Es geht also vielmehr um den bereinigten Gender Pay Gap, der Unterschiede bei Qualifikation, Branche, Alter usw. berücksichtigt und dadurch Frauen und Männer miteinander vergleicht, die auch tatsächlich vergleichbar sind. Dieser bereinigte Gender Pay Gap ist auch in Österreich viel niedriger. Das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO[2] beziffert ihn auf 6,4 Prozent (siehe Abbildung 3). Ziemlich nah also am Ziel von fünf Prozent, das nun per Gesetz durchgepeitscht werden soll.

Jedes Jahr am Equal Pay Day wollen uns Gewerkschaften und Arbeiterkammer übrigens einreden, der bereinigte Gender Pay Gap sei ja lediglich eine Schönrechnung im Auftrag irgendwelcher misogyner Firmenbosse, die Frauen als billige Arbeitskräfte brauchen. Das ist natürlich nur die übliche Wissenschaftsskepsis der vermeintlichen Arbeitnehmervertreter. Sie täten gut daran, die Wirtschaftsnobelpreisträgerin von 2023, Claudia Goldin, zu lesen, die große Teile ihres Berufslebens den Facetten des Gender Pay Gaps gewidmet hat.[3]


Beispiel: PR-Managerin Pia aus Pinkafeld. Sie beschäftigt 30 Leute und bezahlt sie nach dem Kollektivvertrag „Werbung und Marktkommunikation“. Mit etwas Glück wird Lohntransparenz für sie gar kein Thema sein; doch die Richtlinie stellt es den nationalen Regierungen frei, auch für kleine Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten Berichtspflichten zu erlassen. Ein bisschen Gold Plating zugunsten der Arbeitnehmer ist schließlich immer gern gesehen. Die Arbeiterkammer hat schon verlauten lassen, dass sie die Grenze bei 25 Beschäftigten einziehen würde. Wenn Pia Pech hat, dann wird sie also demnächst alle drei Jahre einen Lohntransparenzbericht anfertigen müssen, in dem die geschlechtsspezifischen Entgeltgefälle (auch für ergänzende und variable Bestandteile) dargelegt und begründet werden müssen.

Nehmen wir an, sie beschäftigt in der Grafikabteilung zwei fast identische Arbeitskräfte, die Zwillinge Paul und Paula. Paul erhält ein Jobangebot einer anderen Firma, bei der er zehn Prozent mehr verdienen würde. Also klopft er an Pias Bürotür und will seine Spielräume ausloten. Pia kann aber nur die Hände heben: Sie darf Paul lediglich fünf Prozent mehr zahlen als Paula. Nicht zehn. Tut sie es doch und kann es nicht im Sinne der Lohntransparenzrichtlinie begründen, droht ihr Artikel 23 mit „abschreckenden Sanktionen“. Die EU macht keine halben Sachen; sie formuliert einen Rechtstext gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz wie eine Atomwaffendoktrin. Pia kann Paul also nur dann zehn Prozent geben, wenn sie die Lohnlücke zu Paula bei unter fünf Prozent hält. Sonst könnte Paula vor Gericht ziehen. Und das wäre für Pia eine haarige Angelegenheit. Unter Rückgriff auf die Gleichbehandlungsrichtlinie, die eine Ungleichbehandlung von Mann und Frau ohnehin schon verbietet, wird nämlich die Beweislast umgedreht: Nicht Paula muss beweisen, dass sie diskriminiert wird; Pia müsste beweisen, dass dem nicht so ist. Dass Paul ein alternatives Jobangebot hat und sie ihn ohne die Gehaltserhöhung nicht halten kann, dürfte sie wohl nur mit größten Schwierigkeiten als objektive Begründung durchbekommen. Objektiv sind gemäß Richtlinie nämlich vor allem Kompetenz, Belastung, Verantwortung und Arbeitsbedingungen; weitere Kriterien sind es nur „gegebenenfalls“. Dass Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen – auch die für den Faktor Arbeit – ist in der Lebensrealität von Bürokraten, deren Löhne der Fantasie anderer Bürokraten entspringen, wohl nicht vorgesehen.

Könnte Pia die arme Paula einfach rausschmeißen, damit sie Paul mehr zahlen kann? Ein heikles Unterfangen. Einen Anwalt wird Pia so oder so brauchen. Bei der Gelegenheit kann sie auch gleich eine Personalagentur buchen, die ihr über die rechtlichen Fallstricke der Lohntransparenzrichtlinie hinweghilft. Oder sie besucht selbst eine der neuen Schulungen, die Artikel 11 allen Ernstes fordert, „um die Einhaltung der in dieser Richtlinie festgelegten Verpflichtungen zu erleichtern“. Zeit hat sie ja sicher reichlich.



Fußnoten

  1. Vgl. Wirtschaftskammer Österreich (2024).
  2. Böheim et al. (2023).
  3. Vgl. z.B. Goldin (2024).
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