Viel Klein-Klein, mit unklarem Ergebnis

Eine Analyse der Agenda Austria: Regierungsprogramm 2020 – 2024

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Das Regierungsprogramm von ÖVP und den Grünen steht auf immerhin 326 Seiten und umfasst 30 Kapitel. Es ist also nicht überraschend, dass einige Bereiche zwar detailreich ausformuliert sind, die großen Fragen aber (noch) nicht beantwortet sind. Das trifft auf die großen Themen Klimaschutz und Pflege genauso zu wie auf die Maßnahmen in der Standort- und Arbeitsmarktpolitik.

Viele Klimapakete, keine Klimasteuer

Beim Herzstück der ökologischen Steuerreform bleibt das Regierungsprogramm vage. Bis 2022 soll geprüft werden, wie genau die CO₂-Emissionen steuerlich unattraktiver gemacht werden sollen.

Setzte die türkisblaue Koalition noch darauf, das gute Koalitionsklima hervorzuheben, geht es im neuen Regierungsabkommen sehr stark um das weltweite Klima und die Herausforderungen für die Umwelt-, Steuer- und Verkehrspolitik in Zeiten des Klimawandels. Diese Regierung will sich als Vorreiterin im Kampf gegen den Klimawandel positionieren. Beide Parteichefs haben diese Devise wiederholt bei Presseterminen und in Interviews ausgegeben und etwa betont, dass sich sowohl Grenzen als auch Klima schützen lassen. In vielen Bereichen finden sich daher Hinweise auf ökologische Themen. Die ökologische Vorbildwirkung der Verwaltung etwa, das stärkere Thema des Klimawandels in den Lehrplänen oder ein möglicher Entfall der Kapitalertragsteuer für ökologische Investitionen. Dazu kommen natürlich detailreiche Pläne wie ein Auslaufen für fossile Energieträger im Gebäudesektor oder ein Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, das unter anderem dafür sorgen soll, eine Million Dächer in Österreich mit Photovoltaik-Anlagen auszustatten. Nicht zu vergessen die ziemlich konkreten zwei Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen in den öffentlichen Verkehr. Damit soll das Pariser Klima-Ziel erreicht, der nationale Energie- und Klimaplan nachgeschärft werden.

Doch beim Herzstück der ökologischen Steuerreform bleibt das Regierungsprogramm vage. Bis 2022 soll geprüft werden, wie genau die CO₂-Emissionen steuerlich unattraktiver gemacht werden sollen. Ob das in der Form einer CO₂-Steuer oder eines flächendeckenden Emissionshandelsystems erfolgt, soll eine „Task Force ökosoziale Steuerreform“ erarbeiten. Diese Reform soll 2022 kommen. Aus Sicht der Agenda Austria ist ein Emissionshandelssystem klar im Vorteil, wenn wirklich im Fokus stehen sollte, Emissionen effektiv zu reduzieren. Die vielen kleinen Schritte in dem Regierungsprogramm, die von einer Erhöhung der Flugticketabgabe bis zur Ökologisierung von Normverbrauchsabgabe, LKW-Maut, des Dienstwagenprivilegs und des Pendlerpauschale reichen, weisen aber eher auf eine neue Steuer hin. Die protektionistische Forderung, auf europäischer Ebene für Klimazölle einzutreten, dürfte noch zu einigen zähen Diskussionen auf EU-Ebene und darüber hinaus führen.

Standort: Viel Gutes, wenig Konkretes

Erfreulich sind dagegen die Ansätze in der Förderung des Unternehmertums.

Die Standortpolitik der kommenden Jahre scheint sich auf Schlagzeilen auszuruhen. Stärken sollen gestärkt werden, neue Sektoren erschlossen werden. Beide Parteien scheinen dabei eine Schwäche für staatliche Innovationsvorgaben zu haben. Schon in den Wahlprogrammen wussten sowohl die ÖVP mit Wasserstoff und die Grünen mit Solarenergie, was die Zukunftstechnologien sein werden. Gerade von den Grünen haben Forderungen nach einer gezielten, staatlich gelenkten Technologieentwicklung im Bereich der CO₂-Einsparungen, Elektromobilität, Kreislaufwirtschaft oder „grünem Wasserstoff“ ihren Niederschlag im Koalitionsabkommen gefunden. Auch wenn die Investition in Grundlagenforschung und Technologien sinnvoll und notwendig für den Standort Österreich ist, so wäre es besser gewesen, den Weg ergebnis- und technologieoffener zu gestalten und Forschungsmittel am besten von Experten in kompetitiver Form vergeben zu lassen. Warum die Regierung glaubt hier besser zu wissen was die Zukunft bringt, als die Experten, die damit jeden Tag arbeiten, weiß wohl nur sie selbst.

Erfreulich sind dagegen die Ansätze in der Förderung des Unternehmertums. Hier soll einerseits an der risikoscheuen österreichischen Mentalität und dem teilweise defizitären Wirtschaftswissen gearbeitet werden. „Unternehmerisches Denken [soll] im Bildungssystem verankert werden“ und auch die „Kultur der 2. Chance [soll] stärker verankert“ werden. In Regulatory Sandboxes sollen zudem innovative Technologien und Produkte auf einer Testwiese probiert werden können. Das hat den Vorteil, dass Innovation nicht im vorhinein wegreguliert wird, auf der anderen Seite aber auch die Risiken überschaubar bleiben.

CO₂-Zölle sind ein durchaus argumentierbares Instrument aus europäischer Sicht, wird aber gerade bei den USA oder China nicht ohne Gegenreaktion bleiben.

Kritisch ist die Haltung der neuen Regierung zum Außenhandel zu bewerten. Obwohl Österreich eine offene Volkswirtschaft ist, die mehr als die Hälfte ihres Wohlstands jenseits der Grenzen erwirtschaftet, gibt die Regierung nur inhaltsleere Lippenbekenntnisse zum Außenhandel und zur Globalisierung ab. So bekennt man sich „zu aktiver, fairer Handelspolitik“. Nach dem Krampf um das Freihandelsabkommen mit Kanada wird ein Abkommen mit den Ländern Südamerikas (Mercosur) von beiden Regierungsparteien (jeweils aus ideologisch unterschiedlichen Gründen) abgelehnt. Mit einer Zustimmung zu künftigen Abkommen seitens Österreich darf in den kommenden fünf Jahren daher eher nicht gerechnet werden. Stattdessen sollen im Zuge der WTO eher einheimische Unternehmen gestärkt werden indem beispielsweise CO₂-Zölle eingeführt werden sollen. Wenngleich dies ein durchaus argumentierbares Instrument aus europäischer Sicht darstellt, so ist es dennoch ein klares Handelshindernis und wird gerade bei den USA oder China nicht ohne Gegenreaktion bleiben.

Gleichzeitig will Österreich aber schärfere Investitionskontrollen. Dabei geht es darum ausländische Übernahmen von Schlüsseltechnologien sowie Standortverlagerungen zu verhindern. Sinnvoller wäre es hier Anreize zu setzen, dass Unternehmen nicht abwandern, als dies über Verbote zu steuern.

Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene soll es zur Entbürokratisierung kommen. Unnötige und widersprüchliche Vorgaben sollen bereinigt, unnötige Übererfüllung internationaler Standards reduziert und von Unternehmen künftig nur mehr einmalig Daten bereitgestellt werden (once only). Beabsichtig ist auch die Einführung einer Bürokratiebremse. Zudem sollen digitale Hilfsmittel die Bürokratie und Verwaltung entlasten. Beispielsweise soll ein Algorithmus Umsatz-, Einkommens- und Körperschaftssteuererklärungen vereinfachen. Eine sehr gute Idee, die nur umgesetzt werden muss.

Ein lachendes und ein weinendes Auge gibt es bei den Reformen zur Risikokapitalfinanzierung. Den sinnvollen Anreizen für mehr private Risikobildung über die Einführung mehrjähriger Gewinn-und-Verlust-Ausgleiche sowie der steuerlichen Absetzbarkeit von Anschub- und Wachstumsfinanzierung nach britischem Vorbild steht die Ausweitung öffentlichen Risikokapitals gegenüber. Österreich ist hier eine europäische Seltenheit, wo auch die „Heuschrecken“ verstaatlicht sind. Denn die öffentlichen Gelder werden oftmals zu Konditionen vergeben, die private Geldgeber verdrängen. Auch wird mehr nach dem Gießkannenprinzip und weniger zielgerichtet gefördert als es ein privater Investor tun würde.

Lobenswert hingegen ist, dass sich künftig auch institutionelle Investoren wie Pensions- und Vorsorgekassen langfristig als strategischer Investor beteiligen können.

Wohnen bleibt eine Baustelle

Keine Mietpreisbremsen, sondern günstigere Baukosten, wie sie auch im Regierungsprogramm gefordert werden, schaffen günstigen Wohnraum.

Die steigenden Immobilien- und damit auch Mietpreise in den vergangenen Jahren haben dazu geführt, dass diesem Thema im Regierungsprogramm viel Raum gewidmet wird. Zielsetzung der neuen Regierung ist es, dass der Wohnraum einerseits günstiger, und andererseits auch ökologischer wird.

Politisch ist dieses Vorhaben aber keineswegs so leicht umzusetzen. Die einzige konkrete Maßnahme, die direkt den Mietpreis beeinflussen soll, ist die Umstellung der Maklerprovision auf das Bestellerprinzip. Künftig soll also der Vermieter den Makler bezahlen. Inwieweit diese Maßnahme auch tatsächlich zu günstigeren Mieten führt, ist fraglich und hängt davon ab, ob die Vermieter diesen Betrag durch höhere Preise auf den Mieter umlegen können. Während die Marktlage mit einer hohen Nachfrage für eine Überwälzung spricht, ist dies rechtlich nur in den nicht-regulierten Segmenten möglich.

Speziell in Wien sind die Preise in den letzten Jahren gestiegen, da die Nachfrage nach Wohnraum deutlich schneller gestiegen ist, als neuer Wohnraum geschaffen wurde. Gerade der Aspekt der Baulandmobilisierung fällt aber sehr dürftig aus. Hier wird neben der allgemeinen „Attraktivierung“ des Baurechts der Wunsch an die öffentlichen Beteiligungen nach einer Baulandnutzung für geförderten Wohnbau geäußert. Ansonsten soll nach Möglichkeit verdichtet gebaut werden, um Grünflächen zu erhalten.

Eine Voraussetzung für die Schaffung günstigen Wohnraums sind nicht die im Wahlkampf oft diskutierten Mietpreisbremsen, sondern günstigere Baukosten, wie sie auch zusammen mit schnelleren Bauverfahren im Regierungsprogramm gefordert werden. Dazu sollen auch bundesweit einheitliche Regelungen zu technischen Vorschriften geschaffen werden. Hier liegt jedenfalls ein Großteil des Handlungsspielraumes bei den Bundesländern.

Um mehr Wohnraum zu bauen, sollen auch Investitionsanreize in den Neubau eingeführt werden. So sollen unter ökologischen Gesichtspunkten Abschreibungsmöglichkeiten geschaffen bzw. erhöht werden, auch für Sanierungen. Während zumindest bei älteren Immobilien eine Sanierung sowohl ökonomisch als auch ökologisch sinnvoll wäre, bleibt die Frage, wie viel Budget hierfür bereitgestellt werden soll, um einen signifikanten Effekt zu erzielen und inwieweit die Gegenfinanzierung wieder vom Bürger selbst gezahlt werden muss. Ohne Einsparungen auf anderer Seite zahlt sich der Bürger den Sanierungsbonus selbst. Auch die Wohnbauförderung solle zukünftig an Umweltkriterien geknüpft werden. Richtig ist es bei der Wohnbauförderung zu einer Zweckwidmung der Gelder zurückzukehren.

Die Forderung der ÖVP, die staatlichen Nebenkosten beim ersten Immobilienerwerb zu senken, findet sich nicht im Regierungsprogramm.

Von Seiten der ÖVP findet sich der Wunsch nach einer höheren Eigenheimquote. Ihre Forderung, die staatlichen Nebenkosten beim ersten Immobilienerwerb zu senken, finden sich aber nicht im Regierungsprogramm. Gestärkt werden soll aber die Möglichkeit des Mietkaufs. Da Immobilien meist den wichtigsten Vermögenswert darstellen, ist diese Maßnahme sinnvoll, um den Vermögensaufbau zu stärken. Während Mieter unter steigenden Kosten leiden, würde Eigentümer von steigenden Werten profitieren.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass im Wohnkapitel des Regierungsprogramms zum einen großer Schaden – wie durch eine Mietpreisbremse – verhindert werden konnte. Zum anderen bleiben aber die Maßnahmen zur Schaffung von neuem Wohnraum überschaubar. Wichtig wäre es mit den Bundesländern gemeinsam die Schaffung von neuem, bedarfsgerechtem Wohnraum zu ermöglichen. Es muss Baufläche bereitgestellt werden, Bürokratie reduziert und technologieoffenes Bauen ermöglicht werden, damit das Bauen selbst günstiger wird.

Pflege als Kostenfrage

Effizientere Strukturen und eine nachhaltige Pflegefinanzierung wird es brauchen.

Fakt ist, dass zukünftig mehr Personen gepflegt werden müssen und die Kostenbelastung steigen wird. Das hat bereits die Vorgängerregierung beschäftigt und im Vorjahr etwa zu einem „Pflegegipfel“ geführt. Die türkis-grüne Koalition will nun eine „Task Force Pflegevorsorge“ einrichten, um die Finanzierung im Rahmen einer Pflegeversicherung neu aufzustellen. Aktuell kennzeichnet die Finanzierung der Pflege ja ein undurchsichtiges Finanzierungsgebilde zwischen Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung.

Effizientere Strukturen und eine nachhaltige Pflegefinanzierung wird es auch brauchen, damit das Pflegesystem auch in Zukunft handlungsfähig bleibt. Aus Sicht der Agenda Austria sollte eine Pflegefinanzierung aber strenge Kriterien erfüllen:

Nachhaltigkeit: Die Demografie soll abgefangen und eine Zunahme der Belastung verhindert werden.

Generationengerechtigkeit: Jede Generation soll die eigene Pflege finanzieren.

Freiheit: Die Menschen sollen zur Vorsorge verpflichtet werden. Bei der Ausgestaltung der individuellen Pflege soll aber eine möglichst große Freiheit gewährt werden.

Effizienz: Strukturen und Anreize sollen so gesetzt werden, dass eine qualitativ hochwertige Pflege ohne Ressourcenverschwendung gewährleistet wird.

Arbeitsbelastung vermeiden: Die Pflegefinanzierung sollte den ohnehin teureren Faktor Arbeit nicht weiter belasten. Eine Pflegeversicherung würde genau das wohl kaum bewerkstelligen.

Dass im Regierungsprogramm eine Stärkung der Qualitätssicherung und Aufwertung des Pflegeberufs und der Pflegeorganisation vorgesehen ist, ist hingegen durchaus positiv zu bewerten, ebenso wie die anvisierte Unterstützung pflegender Angehöriger.

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Abb. 3.: Die Kostenlawine in der Pflege ist absehbar. Laut den aktuellen Prognosen der EU-Kommission werden sich die Ausgaben der öffentlichen Hand für die Pflege bis 2050 real verdreifachen.

Arbeit gesucht

Im aktuellen Regierungsprogramm werden die beiden großen Probleme am Arbeitsmarkt nur unzureichend angesprochen: der strukturelle und der regionale Mismatch. Der strukturelle Mismatch beschreibt die Tatsache, dass österreichweit Arbeitskräfte in so genannten Mangelberufen fehlen. Um dieses Problem anzugehen, soll die Aus- und Weiterbildung entsprechend gefördert werden sowie die Anwerbung von entsprechend qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland erleichtert werden.

Die beiden großen Probleme am Arbeitsmarkt werden nur unzureichend angesprochen: der strukturelle und der regionale Mismatch.

Zum anderen herrscht in Österreich ein regionaler Mismatch. Während im Osten des Landes viele Arbeitslose auf eine offene Stelle kommen, sind dies im Westen wesentlich weniger. Hilfreich wäre hier die Informationen über die offenen Stellen und die entsprechenden Arbeitssuchen noch besser zusammenzubringen und gegebenenfalls auch Mobilitätsbeihilfen für die Jobaufnahme zu gewähren. Daneben war die Regionalisierung der Mangelberufsliste im letzten Jahr schon ein Schritt in die richtige Richtung. Die oft hohen bürokratischen Hürden, gerade bei der Rot-Weiß-Rot Card, zu lockern, wäre ein weiterer Ansatzpunkt.

Was wirklich verwundert, ist, dass es jetzt ein neues Ziel des AMS sein soll, möglichst viel für die nachhaltige Senkung der Arbeitslosigkeit zu tun – weil das bereits jetzt Aufgabe des AMS sein sollte. Positiv, wenn auch noch unkonkret, sind der Aufbau neuer Lehrberufe und Anpassung der Curricula sowie die an vielen Stellen betonte Qualifizierung.

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