Die Vertretungen von Unternehmen und Arbeitnehmern bilden einen Staat im Staat, der sich trotz politischer Veränderungen weitgehend gegen den Wandel immunisiert hat.
Dass von der Arbeiter- und der Wirtschaftskammer oft als „Schattenregierung“ gesprochen wird, kommt nicht von ungefähr. Tatsächlich sind sie mit ihren 7.900 Mitarbeitern und einem Budget von zusammen 1,5 Milliarden Euro im Jahr ein politischer Machtfaktor. In der österreichischen Realverfassung haben die Kammern eine große politische Bedeutung, formal und informell. Regierungen haben in der Vergangenheit immer wieder wichtige Entscheidungen an die Sozialpartner ausgelagert. Funktionäre sind häufig im Parlament oder in Regierungsfunktionen vertreten. Die Vertreter der Kammern agieren also nicht nur im Schatten, sondern hin und wieder auch im Scheinwerferlicht.
Beide Kammern sind über die Jahrzehnte deutlich gewachsen. Die erste Handelskammer konstituierte sich bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. 1920 wurde mit dem Arbeiterkammergesetz auch die Kammer für Arbeiter und Angestellte beschlossen. 1946 wurde dann die Grundlage für die heutige Wirtschaftskammerorganisation geschaffen. Die Pflichtmitgliedschaft in den Interessenvertretungen wurde 2007 sogar in der Verfassung verankert. Stand zunächst vor allem die klassische Interessenvertretung im Vordergrund, etwa die Verhandlung von Löhnen oder der Interessenausgleich in sozialpolitischen Fragen, hat sich die Rolle doch gewandelt. Es gesellten sich zur klassischen Vertretung der Arbeitnehmer und Unternehmen rasch weitere Themenfelder hinzu. So sind auch Preisfestsetzung und Konsumentenschutz von den Kammern geprägt. Aber auch in der Bildungslandschaft spielen die beiden großen Organisationen mit den Geldern ihrer Mitglieder mit. Beispielsweise die Wirtschaftskammer (WKO) mit dem Wirtschaftsförderungsinstitut Wifi oder die Arbeiterkammer (AK) mit dem Berufsförderungsinstitut (BFI), aber auch das Institut „Economics of Inequality“ an der Wirtschaftsuniversität Wien wird von ihr gefördert. Als Inserenten sind die Kammern für die klassischen Medien ein wichtiger Financier. 2017 und 2018 haben die beiden Kammern ungeachtet ihrer Monopolstellung zwischen 12 und 13 Millionen Euro jährlich für Werbeeinschaltungen ausgegeben. Deutlich mehr, als die staatliche Presseförderung von 8,9 Millionen Euro ausmacht.[1]
Finanziert wird das und vieles mehr aus den Pflichtbeiträgen der Kammermitglieder. Die AK und die WKO erhielten zusammen zuletzt 1.273 Millionen Euro aus den vorgeschriebenen Kammerumlagen. Wer mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, sollte damit verantwortungsbewusst umgehen. Inwieweit die Sozialpartner diesem Standard gerecht werden, ist schwer zu beantworten. Denn für die Verwendung der Mittel sind sie kaum rechenschaftspflichtig. Wer wissen will, was mit den Zwangsbeiträgen passiert, wie groß die Verwaltungen der Kammern sind, wie viele Mitarbeiter sie beschäftigen, von welchen Institutionen sie unterstützt werden, wie hoch ihre Vermögen und die Ausgaben für ehemalige Mitarbeiter sind, der muss regelmäßig das Parlament bemühen und sich durch parlamentarische Anfragen und Rechnungsabschlüsse wühlen, um auch nur erahnen zu können, was in den Kammern geschieht. Sofern die Anfragen überhaupt konkret beantwortet werden.
Das ist bei der Arbeiterkammer bereits hochkomplex. Noch ärmer ist der dran, der diese Informationen aus der Wirtschaftskammer begehrt. Denn diese hat ein kompliziertes Netz aus Bundes- und Landeskammer(n), Fachorganisationen und sogenannten AußenwirtschaftsCenter. Auch wir haben bei den beiden Kammern Anfragen gestellt, die Antworten fielen dürftig aus. Vielmehr wurden bereits bekannte Informationen aus den parlamentarischen Anfragen bestätigt. Informationen darüber hinaus wurden nicht gegeben.
Es ist unbestritten, dass Österreich nach 1945 einen enormen Aufschwung zu verzeichnen hatte. Auch die Strategie, die Konflikte zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in der Sozialpartnerschaft und nicht auf der Straße auszutragen, war ein Teil dieses Erfolgs. Doch es mehren sich die Zweifel, dass die Kammern in ihrer heutigen Form noch in der Lage sind, gesellschaftliche Herausforderungen erfolgreich zu meistern.
Anfang des Jahres 2017 etwa hatte die damalige Regierung aus SPÖ und ÖVP den Sozialpartnern den Auftrag gegeben, bis zum 30. Juni 2017 Reformen zu Mindestlöhnen und Arbeitszeitflexibilisierung vorzulegen. Doch während es eine Einigung für die Mindestlöhne gab, scheiterten die Verhandlungen zu den Arbeitszeiten. Der bis dahin übliche Abtausch der Interessen von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite war Vergangenheit. Die Reform des Arbeitszeitgesetzes wurde schließlich ein Jahr später ohne Einbindung der Sozialpartner durch die Nachfolgeregierung in die Wege geleitet. Es passierte also das, was in erwachsenen Demokratien nichts Ungewöhnliches ist: Das Parlament hat ein entsprechendes Gesetz zur Flexibilisierung der Arbeitszeit verabschiedet.
Klar ist, dass die Herausforderungen für Österreich nicht kleiner werden. Als kleine, offene Volkswirtschaft sind nicht nur die Unternehmen darauf angewiesen, sich dem globalen Wandel zu stellen, auch die Wirtschaftspolitik steht unter Veränderungsdruck. Durch Globalisierung und Automatisierung nimmt der Wettbewerb zu. Das erhöht einerseits den Wohlstand und die Kaufkraft der Bevölkerung, auf der anderen Seite muss sich der Wirtschaftsstandort auch ständig verbessern und anpassen, um zu den Gewinnern dieser Entwicklung zu gehören. Einstige Schwellenländer sind oft schon zu ökonomischen Schwergewichten aufgestiegen. Im Bereich der Digitalisierung haben sie Europa teilweise bereits überholt und gehören zu den Technologieführern. Das verändert aber nicht nur die globale Rangordnung, es bringt auch Produktions- und Arbeitsmärkte durcheinander. Dies stellt die Regulierung, Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen vor neue Herausforderungen. Die Kammern treten in diesem Zusammenhang wiederholt als Verhinderer und Gegner von Innovationen auf, beispielsweise in Sachen Plattformökonomie wie der Fahrtendienst Uber oder die neuen Formen von Crowdwork.
So hat die Taxi-Innung in der Wirtschaftskammer erfolgreich gegen den Fahrtendienst Uber lobbyiert. Auf Betreiben der Wirtschaftskammer wird ein Gesetz beschlossen, das den Wettbewerb stark einschränkt. Uber-Lenker müssen künftig nicht nur wie schon jetzt einen Befähigungsnachweis erbringen, sondern auch eine Taxiprüfung ablegen. Und sie werden vor allem dazu verpflichtet, höhere Preise zu verlangen. Bei Crowdwork ist ein zentrales Problem für die AK, dass diese neue Form der Arbeit eben weder klar selbständig noch klar unselbständig erbracht wird. Dass viele der Crowdwork-Plattformen auch noch grenzüberschreitende Aufträge anbieten, zeigt, wie wenig „Crowdwork“ in das traditionelle Schema einer nationalen Interessenvertretung für Arbeitnehmer passt.
Fußnoten
Fast schon im Wochentakt schlagen bei den Unternehmen neue Regeln auf. Es kann schon längst nicht mehr als EU-Bashing gelten, den Regelungswahn der Brüsseler Schreibtischakrobaten als unmäßig zu kritisieren. Wir werfen einen Blick in die Giftküche der Bürokratie.
Schwerpunkt 1: Mehr Wachstum braucht das Land! Wirtschaftswachstum ist in Österreich zu einem Fremdwort geworden. Nicht nur in der Statistik und in den Prognosen der Institute ist es inzwischen weitgehend der Stagnation gewichen. Auch in den Wahlprogrammen der Parteien kommt es kaum noch vor. Man sollte ja erwarten, dass ein Land, dessen reales Br
Wohnen ist in Österreich nicht teurer als in anderen europäischen Ländern. Die Wohnkostenbelastung liegt unter dem EU-Schnitt. Und doch gibt es Verbesserungsbedarf: Künftige Regierungen sollten den Aufbau von Wohneigentum in der Mitte der Gesellschaft erleichtern, den geförderten Mietmarkt treffsicherer machen und dafür sorgen, dass ausreiche
Der Sozialstaat ist eine Errungenschaft, um die uns viele Menschen auf der Welt beneiden – aber auch eine finanzielle Belastung, die sich immer schwerer stemmen lässt. Die nächste Regierung wird um Sparmaßnahmen nicht herumkommen, wenn das System zukunftsfit bleiben soll. Für die Bürger muss das nicht unbedingt Verschlechterungen mit sich br
Eigentlich wollte die Regierung ja die Staatsschulden senken und die Bürger entlasten. Beides ist leider spektakulär misslungen. In der kommenden Legislaturperiode muss die Politik das Ruder herumreißen und einen Sparkurs einschlagen. Die gute Nachricht: Es gibt ziemlich viele Maßnahmen, die man setzen kann.
Österreich gibt sehr viel Geld für Bildung aus – und bekommt dafür nur mittelmäßige Resultate. In Schulnoten ausgedrückt verdient der Bereich bestenfalls ein „Befriedigend“. Dabei wäre es gar nicht so schwer, Einserschüler zu werden, auf dem Bildungsmarkt gibt es viele gute Ideen. Die nächste Regierung muss das Rad also nicht neu erf
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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