Stromverbrauchsdaten liefern einen guten Einblick in die wirtschaftlichen Folgen des Shutdowns. Die Wirtschaftsleistung lag in den Wochen des Lockdowns um ein Fünftel bis 45 Prozent unter dem Vorjahr. Der Konjunktureinbruch heuer dürfte der tiefste der Zweiten Republik werden. Wie tief der Einbruch durch die Corona-Krise sein wird, ist aber noch abhängig vom Tempo, in dem die Wirtschaft wieder „hochgefahren“ werden kann.
Groß ist nicht nur die Wirtschaftskrise, die von der Corona-Pandemie und den staatlich verordneten Lockdowns verursacht wurde. Groß ist auch die Unsicherheit darüber, wie tief die Krise tatsächlich ist. So rasant wurden die Pläne hunderttausender Unternehmen und Millionen Arbeitnehmern durchkreuzt und Geschäfte geschlossen, dass traditionelle volkswirtschaftliche Kennzahlen erst in einigen Monaten valide Informationen darüber liefern werden, was gerade passiert. Ein Vergleich zwischen Prognosen verschiedener Wirtschaftsforschungsinstitute wird noch dadurch verkompliziert, dass jedes Institut eigene Methoden und Annahmen zur Dauer der Corona-Pandemie treffen muss.
Sogenannte „Nowcasts“, also Sofort-Einschätzungen der aktuellen Wirtschaftslage, liefern wichtige Daten für Wirtschaftspolitik und Unternehmen. In der Regel sammeln solche Live-Einschätzungen verschiedene Vorlaufindikatoren aus der Baubranche, von Unternehmensbefragungen, Industrieproduktion oder Daten aus dem Außenhandel.[1]
Eine einfache, nachvollziehbare Möglichkeit für eine rasche Einschätzung der aktuellen Wirtschaftslage sind aber die Echtzeit-Daten zum Elektrizitätsverbrauch. Denn zwischen Stromverbrauch und Wirtschaftsleistung besteht ein enger Zusammenhang, der in der ökonomischen Literatur bereits häufig untersucht wurde. Und Daten zum Stromverbrauch sind tagesaktuell live zu erhalten. So eng und richtungsgleich bewegen sich die Entwicklungen von Stromverbrauch und allgemeineren Wirtschaftsdaten, dass es möglich ist, die Tiefe der aktuellen Rezession aus dem Verlauf des Strommarktes abzuschätzen. Die Schätzungen des kurzfristigen Zusammenhangs – um wieviel Prozent verändert sich der Stromverbrauch bei einer Veränderung der Wirtschaftsleistung um ein Prozent – schwanken zwar je nach Studie. Doch sie sind ein Anhaltspunkt dafür, wie stark die Wirtschaft von der Corona-Krise getroffen ist.[2]
Auf Basis der verfügbaren ökonomischen Studien hat die Agenda Austria geschätzt, auf welchen Einbruch der Wirtschaftsleistung der aktuelle Rückgang des Stromverbrauchs hinweist (siehe Abbildung 1). Als obere und untere Grenze in der Abbildung wurden die kleinste bzw. größte Schätzung zur Beziehung zwischen Stromverbrauch und Wirtschaftsleistung aus der Forschung aufgetragen. Der Durchschnitt ist das Mittel der so gewonnenen Schätzungen. Die folgende Grafik zeigt einen gleitenden Drei-Tages-Schnitt zwischen 7. März und 6. April 2020.
Die Schätzung zeigt einen dramatischen Einbruch der Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Vorjahr an. Bereits in der Woche vor dem 16. März ist ein Rückgang der Stromnachfrage zu beobachten gewesen. Es kann eine Folge der bereits verkündeten gesetzlichen Maßnahmen vor Montag, dem 16. März, sein. Der stärkste Rückgang ist mit 20 bis 45 Prozent in den zwei Wochen nach dem 16. März zu sehen. In der ersten Aprilwoche hat sich der Rückgang etwas abgeschwächt, lag aber immer noch bei durchschnittlich 25 Prozent. Die Rückgänge an den Wochenenden sind weniger stark oder gar nicht vorhanden.
Welche Rückgänge der Wirtschaftsleistung ergeben sich aus den aktuellen Stromverbrauchsdaten? Das hängt von der gesamten Dauer des unterstellten Lockdowns ab. Grundsätzlich gilt: Je länger der Shutdown dauert, desto stärker wird der Rückgang des BIP im gesamten Jahr 2020 ausfallen. Die folgende Grafik (siehe Abbildung 2) zeigt nun Szenarien, die je nach Länge der Krise und Stärke des Rückgangs aufgetragen sind. Der mittlere Rückgang entspricht minus 30 Prozent, dem Durchschnitt der ersten drei Wochen.
Unterstellen wir nun die für den Lockdown geplante Dauer von sechs Wochen (16. März bis 30. April), müssen wir angesichts der oben beschriebenen Entwicklung des Verbrauchs mit einem um 3,46 Prozent niedrigeren BIP für das Gesamtjahr 2020 rechnen.[3] Das ist im Vergleich zu der Wifo-Dezemberprognose von 1,2 Prozent Wachstum also eine BIP-Schrumpfung um 2,26 Prozent. Hierbei wird kein positiver Rebound nach der Corona-Krise unterstellt, aber eine Rückkehr zur normalen Wirtschaftsaktivität im Mai.
Wenn die Sperre bis zu den Sommerferien (15 Wochen) dauert, könnte das BIP um knapp 7,5 Prozent zurückgehen. Allerdings ist auch klar, dass diese Prognosen davon ausgehen, dass es keine „zweite Welle“ an Ansteckungen im zweiten Halbjahr geben wird.
Diese Schnellprognose anhand des Stromverbrauchs deckt sich weitgehend mit den Prognosen von anderen Instituten, wie die Abbildung 3 zeigt. Je nachdem, welche Szenarien für die langsame Öffnung der Wirtschaft unterstellt werden, ergeben sich relativ ähnliche Einschätzungen über den Einbruch der Wirtschaftsleistung. Neuere Prognosen sind tendenziell negativer, weil sie schon einen längeren Shutdown einpreisen. So rechnete beispielsweise das IHS im März mit einer fünfwöchigen Sperre (bzw. einem Monat länger), das Wifo mit sechs Wochen, die Oesterreichische Nationalbank mit einer stufenweise Lockerung ab Mitte April, der Fiskalrat mit zwölf Wochen Ausnahmezustand und die Bank Austria mit einer „stufenweise Lockerung ab dem Sommer“. Die internationale Forschungsorganisation IIASA in Laxenburg präsentierte zwei Szenarien: Eine Sperre bis Mitte Mai (neun Wochen) und eine Sperre bis Mitte Juni (13 Wochen). Diese ergeben entsprechend minus vier oder minus sechs Prozent für das Gesamtjahr 2020. Auch diese Prognosen decken sich mit den Schätzungen der Agenda Austria auf Basis der Stromverbrauchsdaten.
Schließlich veröffentlichte der IWF kürzlich eine Prognose, der ein Rückgang des österreichischen BIP in Höhe von 7 Prozent für das Gesamtjahr zu entnehmen ist. Hier wird angenommen, dass die Lockerungen erst in der zweiten Hälfte des Jahres eintreten. Somit wäre hier die komplette Sperre auf etwa elf Wochen prognostiziert, gefolgt von einer stufenweisen Öffnung. Eine neuere Wifo-Prognose, die auch den Schock auf die internationale Konjunktur schon berücksichtigt, kommt auf eine BIP-Schrumpfung 2020 von rund 5,5 Prozent.
Allen Prognosen gemein ist aber ein Problem: Die Folgen eines Shutdowns können mit der Zeit wesentlich gravierender werden. Kommt es etwa wegen der Corona-Krise zu einer Pleitewelle im Sommer und damit verbunden auch noch zu einer Finanzkrise, dann bilden aktuelle Prognosen dieses Szenario natürlich völlig unzureichend ab. Klar ist aber, dass eine Reihe staatlicher Maßnahmen (expansive Notenbankpolitik, Überbrückungskredite über das AWS, die Österreichische Hotel- und Tourismusbank und die OeKB oder Kredit- und Steuerstundungen) genau das verhindern sollen.
Nicht nur Stromdaten weisen übrigens in Echtzeit darauf hin, wie ungewöhnlich der aktuelle Ausnahmezustand ist. Auch Mobilitätsdaten der großen digitalen Konzerne Apple oder Google zeigen, dass die Wirtschaft de facto stillsteht: seit der Einführung der Ausgangsbeschränkungen sank der Besuch in Handelsbetrieben um mehr als 80 Prozent, Arbeitsstätten um rund 50 Prozent, und Supermärkten und Apotheken um 30 Prozent. Diese Daten können hilfreiche Hinweise darauf liefern, inwieweit die langsame Öffnung im Einzelhandel auch tatsächlich in den Geschäften ankommt.
— Pleitewelle verhindern. Die Rezession durch die COVID-19-Pandemie wird tief sein. Die Schätzungen anhand des Stromverbrauchs legen nahe, dass der Wirtschaftseinbruch der größte in der Zweiten Republik sein wird. Verharrt der Stromverbrauch für insgesamt sechs Wochen auf dem niedrigen Niveau des Lockdowns, dann dürfte die österreichische Wirtschaft heuer um rund 2,3 Prozent zum Vorjahr schrumpfen. Mit längerer Dauer wird der Wirtschaftseinbruch dementsprechend tiefer sein, bei 15 Wochen erwartet das Modell bereits im Mittel einen Rückgang um 7,6 Prozent der Wirtschaftsleistung. Daher gilt es in jedem Fall eine Pleitewelle von an sich gesunden Unternehmen zu verhindern und damit eine mögliche Finanzkrise, die den Rückgang durch den staatlich verordneten Stillstand noch verschärft. Dafür braucht es im ersten Schritt unbürokratische und schnelle Liquiditätsunterstützung. Und im zweiten eine umfassende Kapitalmarktstrategie für die österreichische Volkswirtschaft sowie eine Stärkung von Risiko- und Eigenkapitalfonds. Denn mit Fortdauer des Ausnahmezustands werden Liquiditätsprobleme sonst zu Solvenzproblemen.
— Daten stützen Entscheidungen. Immer wieder wird in dieser Pandemie angemerkt, dass Behörden und die Politik in einem Blindflug agieren müssen. Nicht nur, weil die COVID-19-Ausbreitung ein Jahrhundertereignis ist, sondern auch weil Daten – wenn überhaupt – selten aktuell und verknüpft verfügbar sind. Die Corona-Krise sollte als Anstoß genutzt werden, um das Management öffentlicher Daten zu reformieren, und der Forschung für die Politikberatung aktuelleren Zugang zu verschaffen. Das ist nicht nur bei Gesundheitsdaten wie den verfügbaren Spitalsbetten wichtig oder der Ausbreitung der Ansteckungen, sondern auch bei Beschäftigungstrends oder Mikrodaten zur Unternehmensentwicklung. Regierung und Behörden sollten Forschenden Daten schnell im Rahmen einer österreichischen Mikrodatenbank – wie im Regierungsprogramm vorgesehen – zur Verfügung stellen. Dort, wo föderale Strukturen bis jetzt Datenaustausch verhindert oder erschwert haben, gilt es eine gemeinsame Datenstrategie und Standards zu erarbeiten, um schneller zu wissen, was gerade wirklich los ist.
— „Hochfahren“ unterstützen. Unsere Schätzungen legen ebenso wie die neuesten Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS einen erheblichen Wertschöpfungsverlust durch die Corona-Krise nahe. Konjunkturprogramme sind aber in der akuten Gesundheitskrise nicht wirksam, weil Beschäftigte ihr Geld weniger gut ausgeben können und Unternehmen in gewissen Branchen weiter nur eingeschränkt ihre Waren und Dienstleistungen anbieten können. Daher gilt es, mit wirksamen Reformen die Rückkehr der Wirtschaft zu einer Vollauslastung zu unterstützen. Das kann das Vorziehen von geplanten Infrastrukturprojekten, eine steuerliche Begünstigung von Unternehmensinvestitionen oder eine steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit sein, um den Anstieg der Beschäftigung zu beschleunigen.
Fußnoten
Die Staatsschulden sind rasant gestiegen, das Defizit wächst. Österreich muss rasch Maßnahmen setzen, um das Budget zu sanieren. Aber wie soll das gehen, ohne die Wirtschaftskrise zu verschärfen? Die Agenda Austria hat ein Konzept erarbeitet, mit dem der Staat schon im kommenden Jahr knapp 11 Milliarden Euro einsparen kann. Bis zum Ende des Jah
Fast schon im Wochentakt schlagen bei den Unternehmen neue Regeln auf. Es kann schon längst nicht mehr als EU-Bashing gelten, den Regelungswahn der Brüsseler Schreibtischakrobaten als unmäßig zu kritisieren. Wir werfen einen Blick in die Giftküche der Bürokratie.
Schwerpunkt 1: Mehr Wachstum braucht das Land! Wirtschaftswachstum ist in Österreich zu einem Fremdwort geworden. Nicht nur in der Statistik und in den Prognosen der Institute ist es inzwischen weitgehend der Stagnation gewichen. Auch in den Wahlprogrammen der Parteien kommt es kaum noch vor. Man sollte ja erwarten, dass ein Land, dessen reales Br
Wohnen ist in Österreich nicht teurer als in anderen europäischen Ländern. Die Wohnkostenbelastung liegt unter dem EU-Schnitt. Und doch gibt es Verbesserungsbedarf: Künftige Regierungen sollten den Aufbau von Wohneigentum in der Mitte der Gesellschaft erleichtern, den geförderten Mietmarkt treffsicherer machen und dafür sorgen, dass ausreiche
Der Sozialstaat ist eine Errungenschaft, um die uns viele Menschen auf der Welt beneiden – aber auch eine finanzielle Belastung, die sich immer schwerer stemmen lässt. Die nächste Regierung wird um Sparmaßnahmen nicht herumkommen, wenn das System zukunftsfit bleiben soll. Für die Bürger muss das nicht unbedingt Verschlechterungen mit sich br
Eigentlich wollte die Regierung ja die Staatsschulden senken und die Bürger entlasten. Beides ist leider spektakulär misslungen. In der kommenden Legislaturperiode muss die Politik das Ruder herumreißen und einen Sparkurs einschlagen. Die gute Nachricht: Es gibt ziemlich viele Maßnahmen, die man setzen kann.
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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