Vergleichbare Länder zeigen, dass eine liberalisierte Gewerbeordnung für mehr unternehmerische Dynamik sorgt. Und dass damit weder ein Qualitätsverlust der erbrachten Leistungen einhergehen muss, noch ein ruinöser Wettbewerb zwischen eingesessenen und neuen Unternehmen.
Ein ohnehin in Gang gekommener Strukturwandel wird durch eine Lockerung der Gewerbeordnung möglicherweise beschleunigt, aber durch eine starre Regulierung nicht aufgehalten, sondern bestenfalls verzögert.
Exemplarisch wird hier die deutsche Gewerbeordnung kurz vorgestellt. Sie wurde vor etwas mehr als zehn Jahren gelockert, es ist also genug Zeit verstrichen, um eine erste Bilanz zu ziehen.
In Deutschland wurden 2004 unter der Regierung von SPD und Grünen 53 von jenen ehemals 94 Handwerken liberalisiert, deren Ausübung eine Meisterprüfung erforderte. 41 Handwerke blieben reguliert, aber nur noch für sechs Handwerke wird auch heute noch eine Meisterprüfung verlangt:
Für 35 der 41 nach wie vor reglementierten Handwerke wurde eine „Altgesellenregel“ eingeführt. Diese Gewerbe dürfen auch ohne Meisterprüfung ausgeübt werden, wenn der Unternehmer nach seiner Gesellenprüfung[1] sechs Jahre in einem Unternehmen tätig war, davon vier in einer leitenden Funktion. Darunter fallen Tätigkeiten wie Zimmerer, Dachdecker, Gerüstbauer, Chirurgiemechaniker, Büchsenmacher, Installateur, Friseur, Bäcker, Elektrotechniker.[2] Der frühere deutsche Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) wäre nach eigenen Angaben bei der Liberalisierung gern noch weiter gegangen. Um eine Reform politisch zu ermöglichen, ist es zu einem Kompromiss (oder einem „Zwischenschritt“ wie es das Ministerium nannte) zwischen Regierung und Opposition gekommen.[3] Entsprechend geringer sind die erwarteten Effekte durch die Deregulierung ausgefallen.
Ähnlich wie in Österreich gibt es auch in Deutschland das Betriebsleiterprinzip: Solange der Meister als Betriebsführer eingestellt wird, kann auch ein Nicht-Handwerker Inhaber eines Unternehmens sein.
Einfache Tätigkeiten darf jeder Bürger frei ausüben. Dazu zählen alle Tätigkeiten, die innerhalb von ein bis drei Monaten erlernt werden können. Darunter fallen auch Maler und Fleischer, sofern damit einfache Tätigkeiten verbunden sind.
Die Wahrscheinlichkeit, sich selbständig zu machen, war nach der Deregulierung im liberalisierten Bereich um 32,94 Prozent höher.[4] Besonders stark gestiegen ist die Gründungsneigung naturgemäß bei weniger qualifizierten Handwerkern innerhalb der freigegebenen Handwerke. Die Anzahl der deregulierten Betriebe ist im Handwerk von 74.940 auf 235.818 (2003 bis 2015) gestiegen, hat sich also beinahe verdreifacht[5]. Mit anderen Worten: Der Konkurrenzdruck stieg, aber in Summe gibt es heute in Deutschland deutlich mehr Unternehmen als vor der Liberalisierung. Die Anzahl der Beschäftigten im Handwerk hat sich nicht signifikant verändert. Auffallend war, dass sich viele frühere Mitarbeiter selbständig machten. Sie wechselten von der Angestellten- in die Selbständigenstatistik. An die 20.000 Altgesellen haben sich allein in den ersten fünf Jahren nach der Deregulierung selbständig gemacht.[5]
Die Anzahl der abgeschlossenen Meisterprüfungen ist erwartungsgemäß zurückgegangen. Im liberalisierten Bereich wurden von 2004 bis 2012 um 28,7 Prozent weniger Meisterprüfungen abgelegt als im regulierten Bereich.[6]
Im Vorfeld der Liberalisierung herrschten viele Ängste, über die zum Teil heftig diskutiert wurde. Zum Beispiel jene:
In Deutschland waren die meisten Neugründungen nach der Reform Ein-Personen-Unternehmen von vormals Angestellten. Die Beschäftigungsentwicklung verlief in den liberalisierten Gewerben nicht signifikant anders als in den regulierten Gewerben.
Wie in Österreich benötigt auch in Deutschland nur der Gewerbeinhaber/Gewerbeleiter einen Befähigungsnachweis, also nicht der Beschäftigte, der direkt mit den Kunden arbeitet bzw. die Leistung erbringt. Deshalb stand auch in Deutschland der Konsumentenschutz nicht im Vordergrund. Der Markt an sich stellt heutzutage mit reichlich vorhandenen Informationen über die Qualität von Leistungen den Konsumentenschutz sicher. Dementsprechend gibt es keinen nachweislichen Qualitätsverlust. Eine Ausweitung von unabhängigen Testberichten (Beispiel Stiftung Warentest) kann ergänzend die Informationslage und Transparenz weiter verbessern.
Empirisch ist ein Sinken der Löhne nach der Gewerbereform nicht nachzuweisen. Auch sind keine Unterschiede betreffend die Entlohnung in deregulierten und regulierten Gewerben auszumachen.
Eine Annahme besagt, dass das Vorhandensein vieler Meister zur Ausbildung von mehr und besseren Lehrlingen führt. Der Zwang zur Meisterprüfung dürfte aber nicht mit einer höheren Ausbildungsrate von Lehrlingen einhergehen. In Deutschland gibt es bereits seit mindestens 1998 einen Rückgang in der Zahl der Ausbildungsplätze – der Trend hat also mindestens sechs Jahre vor der Reform eingesetzt. Dieser Trend ist sowohl in den zulassungsfreien wie zulassungsbeschränkten Gewerben zu beobachten. Ursache dafür dürfte viel eher ein allgemeiner Wandel in der Wirtschaftsstruktur sein. Empirisch lässt sich daher kein signifikanter Unterschied in der Entwicklung der regulierten und liberalisierten Gewerbe nachweisen (Vgl. Koch und Nielen, 2016).
Aufgrund fehlender Daten ist diese Annahme weder zu bestätigen noch zu verneinen.
Fußnoten
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