Der Sozialstaat unterstützt die Menschen in Notlagen. Finanziert wird das System über Steuern und Abgaben. In Kombination haben die hohe Steuerlast und das großzügige Sozialsystem aber erheblichen Einfluss auf den Anreiz, Arbeit aufzunehmen oder die Arbeitszeit zu erweitern. Für manche lohnt es sich finanziell nicht, einen Job anzunehmen. Die Folge: Zu viele bleiben in Teilzeit oder gehen gar nicht arbeiten. Um mehr Arbeitsanreize zu bieten, benötigt das System dringend mehrere Updates.
In Österreich übernimmt der Staat viele Aufgaben. Von der Bereitstellung von Bildungseinrichtungen oder klassischer Infrastruktur wie Straßen bis hin zur öffentlichen Sicherheit oder auch Altersversorgung. Das alles ist aber nicht gratis, sondern kostet Geld, das sich der Staat von seinen Bürgern holt. Die Österreicher überlassen dem Staat viel Verantwortung, jedoch auch einen großen Teil ihres Geldes. Mit der Art und Weise, wie er sich dieses Geld holt und es verwendet, beeinflusst der Staat die Entscheidungen der Bürger, beispielsweise den Konsum, aber auch die Aufnahme von Arbeit. Nur in Dänemark und Schweden sowie in Italien, Belgien und Frankreich landet noch mehr Geld der Bürger bei der öffentlichen Hand.[1] Besonders stark belastet wird in Österreich die Arbeit: Mehr als 47 Prozent des erwirtschafteten Einkommens fließen bei einem durchschnittlichen Vollzeitangestellten an den Staat.[2] Lediglich in Deutschland und Belgien ist es noch etwas mehr. Diese hohe Belastung hat direkte Folgen auf den Arbeitsmarkt. Wie und wo Steuer- und Sozialsystem einen Einfluss auf unsere Arbeitsentscheidungen nehmen, zeigen die folgenden Beispiele.
Wer arbeitslos ist, kann mit der Zeit wichtige Fähigkeiten verlieren. Arbeitgeber wissen das und stellen daher nicht gerne Bewerber ein, die länger keinen Job hatten.[3] Um diesen Teufelskreis zu vermeiden, dürfen Arbeitslose in Österreich bis zu einer gewissen Einkommenshöhe beziehungsweise in geringfügigem Ausmaß abgabenfrei zum Arbeitslosengeld hinzuverdienen.[4]
Diese Geringfügigkeitsgrenze liegt derzeit bei 485,85 Euro pro Monat (14-mal), das entspricht 6.801,90 Euro pro Jahr. Verdient jemand aber nur um einen Cent mehr pro Jahr, werden Abgaben fällig. Das hat gravierende Auswirkungen: Dann landen am Ende des Jahres nur mehr 5.738 Euro – also um mehr als 1.000 Euro weniger – auf dem Konto. Das Signal an Arbeitssuchende ist klar: Wer unter der Geringfügigkeitsgrenze bleibt, steigt finanziell besser aus. Der Plan der Politik geht also nur zur Hälfte auf: Es gibt zwar einen Anreiz, am Arbeitsmarkt teilzunehmen und diesen nicht vollständig zu verlassen. Allerdings stellt dies wiederum für viele eine Hürde dar, das Arbeitsausmaß über die Geringfügigkeitsgrenze hinaus abseits der Schattenwirtschaft zu erweitern.
Konkret bedeutet dies: Verliert ein Angestellter mit Durchschnittsgehalt[5] seinen Job, bekommt er Arbeitslosengeld, um den Einkommensverlust abzufedern. Die Höhe dieser Versicherungsleistung entspricht etwa dem Gegenwert von 19 Stunden seiner wöchentlichen Arbeitszeit. Es würde sich für den Betroffenen finanziell also kaum lohnen, einen Halbtagsjob anzunehmen. Oder anders ausgedrückt: Der Angestellte muss mehr als 19 Stunden pro Woche arbeiten, um mehr zu verdienen als in der Arbeitslosigkeit.[6]
Allerdings kann unser hier als Beispiel herangezogener Durchschnittsverdiener bis zur Geringfügigkeitsgrenze dazuverdienen, ohne Abgaben zu zahlen und ohne den Anspruch auf Arbeitslosengeld zu verlieren. Würde er also etwa sechs Stunden die Woche arbeiten, könnte er sein verfügbares Einkommen von rund 16.000 Euro auf 22.600 Euro pro Jahr erhöhen. Für einen vergleichbaren Nettolohn wären bereits 29 Arbeitsstunden pro Woche notwendig. Arbeitslosengeld und die Einkünfte aus einer geringfügigen Beschäftigung bringen also mehr Geld als eine Teilzeitstelle mit bis zu 29 Wochenstunden.[7]
Ausgehend von diesem Beispiel zeigt sich auch, dass negative finanzielle Anreize für Mehrarbeit zumindest kurzfristig entstehen können.[8] So lohnt sich die Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze für Arbeitslosengeldbezieher finanziell zunächst nicht, weil dann der Anspruch auf das Arbeitslosengeld komplett erlischt. Rund drei Viertel des verfügbaren Einkommens wären dann weg.
Um finanziell besser auszusteigen, müsste der Angestellte zumindest die bereits angesprochenen 29 Stunden in der Woche arbeiten. Jede Stunde darüber hinaus erhöht natürlich das Einkommen weiter, geht aber mit zusätzlichem Arbeitsaufwand einher.
Zu beachten gilt außerdem, dass das verfügbare Einkommen je gearbeiteter Wochenstunde mit steigendem Arbeitsumfang sinkt. So liegt das verfügbare Einkommen je gearbeiteter Wochenstunde an der Geringfügigkeitsgrenze (inklusive Arbeitslosengeld) bei knapp 83 Euro. In Vollzeit hingegen wären es nur rund 16 Euro je gearbeiteter Wochenstunde, da staatliche Hilfen entfallen sowie Steuern und Abgaben gezahlt werden müssen.[9]
Und: Je niedriger der Stundenlohn, desto kleiner ist auch der Anreiz, die geringfügige Beschäftigung einzutauschen. Die Geringfügigkeitsgrenze liegt fix bei 6.801,90 im Jahr, unabhängig vom tatsächlichen Stundenlohn. Je geringer der Stundenlohn, desto größer muss das Arbeitspensum sein, um mit dem Lohn auf das gleiche verfügbare Einkommen zu kommen wie in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis mit Arbeitslosengeldbezug. Ein Vollzeitjob mit 21.000 Euro brutto im Jahr bietet einem Niedrigverdiener kaum einen finanziellen Vorteil gegenüber einer Beschäftigung an der Geringfügigkeitsgrenze.[10] Für Menschen mit der Aussicht auf einen niedrigen Stundenverdienst stellt die Geringfügigkeitsgrenze eine deutliche Hürde für die vollständige Rückkehr in den Arbeitsmarkt dar.
Verstärkt wird die Problematik dadurch, dass die geringfügige Beschäftigungsform nicht nur für den Arbeitnehmer finanziell attraktiv ist, sondern auch für den Arbeitgeber, der deutlich niedrigere Abgaben entrichten muss. Dass dieses Phänomen kein rein theoretisches Problem darstellt, zeigt die Häufigkeitsverteilung der Einkommen. Dort fällt auf, dass sich deutlich mehr Personen genau in dieser Einkommenshöhe befinden als davor oder danach.[11] Die Geringfügigkeitsgrenze stellt also eine Schwelle dar, die häufig bewusst nicht überschritten wird.
Fußnoten
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