Im Frühjahr 2016 legte der Internationale Währungsfonds (IWF) ein umfassendes Geständ nis ab: Zu viel sparen sei doch nicht so gut, das schade dem langfristigen Wachstum und erhöhe die Ungleichheit. Für einige erfolgreich sanierte Länder wie Irland und Schweden kommt diese Erkenntnis leider zu spät.
Sie haben sich mit einer intelligenten Austeritätspolitik schon längst aus der Krise „gespart“.
Schuld an der wachsenden Ungleichheit sind Sparprogramme in öffentlichen Haushalten und die Liberalisierung der internationalen Finanzmärkte. Das behaupten nicht nur jene, die den Untergang der sozialistischen Volkswirtschaften seit eh und je für einen folgenschweren Irrtum der Geschichte halten, das sagen seit dem Frühjahr 2016 auch die Experten des Internationalen Währungsfonds (IWF). Das ist ungefähr so, als hätte Fidel Castro gerade seinem Volk eröffnet, dass die kubanische Wirtschaftspolitik womöglich doch die eine oder andere Schwachstelle aufzuweisen habe. In der Öffentlichkeit brandete nach dem Schwenk des IWF Jubel auf, für die Mehrheit der politisch Interessierten ist der IWF schließlich so etwas wie die rechte Hand des neoliberalen Teufels.
Zwar betonen die IWF-Experten, dass eine solide Haushaltsführung grundsätzlich kein Fehler sei. Aber Politiker und Institutionen dürften sich nicht vom Glauben lenken lassen, „sie sollten geleitet werden von Nachweisen, was wirklich funktioniert“. Gekürzte Staatsausgaben zählten da nicht dazu, sie schwächten das langfristige Wachstum und erhöhten die Ungleichheit.
Für Irland kommt diese Erkenntnis leider zu spät. Das Land hat nach 2010 seine Staatsausgaben um 33 Prozent (!) zurückgefahren und befindet sich seit 2014 wieder auf einem steilen Wachstumskurs – ohne dass sich die Ungleichheit erhöht hätte. Auch wenn man die Kosten der Bankenrettungen abzieht, gibt der irische Staat derzeit um 10 Prozent weniger aus als vor Ausbruch der Wirtschaftskrise. An dieser Stelle kommt gerne der Einwand, dass es ja keine Kunst sei, von einem derart niedrigen Niveau aus wieder kräftig zu wachsen. Niedriges Niveau? Die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung Irlands lag in jedem einzelnen dieser Austeritätsjahre über jener Österreichs. Während Irland 2015 mit 6,9 Prozent Wirtschaftswachstum an der Spitze aller EU-Länder stand, fand sich Österreich am Ende der Tabelle, gemeinsam mit Griechenland und Finnland.
Um Jahre zu spät kommen die neuen Erkenntnisse des IWF leider auch für Schweden. Die sozialdemokratisch geführten Regierungen sanierten den vor der Pleite stehenden Staat ebenfalls knallhart neoliberal: Staatsausgaben wurden zurückgefahren, die Verwaltung reduziert, das Frühpensionswesen abgestellt, die Steuern gesenkt, Staatsbetriebe privatisiert. Weder wurde Schweden von wachsender Ungleichheit heimgesucht, noch wurde die Bevölkerung um ihre Zukunft betrogen. In wirtschaftlich schlechten Jahren haben die schwedischen Regierungen weiterhin Defizite eingefahren, in konjunkturell guten Zeiten verlässlich Überschüsse erwirtschaftet. Mit dem Ergebnis, dass Schweden heute mit derselben Steuer- und Abgabenbelastung wie Österreich eine halb so hohe Staatsverschuldung hat. Dazu ein saniertes Budget, ein ausfinanziertes Pensionssystem, ein herzeigbares Bildungssystem und einen immer noch großzügigen Sozialstaat. Letzteres hat Österreich auch, alles andere leider nicht.
Als jüngstes Opfer des Sparkults wird auch immer wieder Deutschland beklagt. Dabei sind die Staatsausgaben mit Ausnahme des Jahres 2010 nie gesunken, sondern permanent gewachsen. Allerdings schwächer als die Einnahmen, weshalb der deutsche Bundeshaushalt 2015 mit 19,4 Milliarden Euro im Plus abgeschlossen hat. Das ist der höchste seit der Wende erwirtschaftete Überschuss. Das wiedervereinigte Deutschland schafft also mit einer Steuer- und Abgabenquote von weniger als 40 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung das, was Österreich mit 44 Prozent Steuern und Abgaben gemessen am BIP nicht gelingt: einen Haushaltsüberschuss. Geschafft hat das Deutschland nicht zuletzt über sinkende Zinsbelastungen, die Österreich vor allem zur Aufnahme neuer Schulden nutzt, während Deutschland selbige reduziert.
Das sind nur einige Beispiele dafür, dass Austerität funktionieren kann. Aber es gibt auch Beispiele dafür, dass sie nicht funktionieren muss, wie Griechenland zeigt. Das könnte freilich auch daran liegen, dass die Athener Regierung an der falschen Stelle spart. Etwa bei einfachen Bürgern und Unternehmern. Während der Staatssektor weitgehend ungeschoren davon gekommen ist, wurden die Pensionen der Normalsterblichen gekürzt und die Steuern kräftig erhöht. Vergessen scheint auch, dass Griechenland nicht Opfer der Finanzkrise ist, sondern Opfer seines exzessiven Staatskonsums, der bis 2009 andauerte.
Auffallend ist, dass die öffentlichen Ausgaben der Euro-Länder seit 2005 deutlich schneller steigen als die allgemeinen Preise. Zudem geben die Mitgliedsländer der Währungsunion seit 2005 verlässlich mehr Geld aus, als sie einnehmen. Die öffentlichen Ausgaben liegen seit Ausbruch der Krise kumuliert um 2.900 Milliarden Euro über den Einnahmen. Das ist nicht gerade das, was man unter einer angewandten „Spardoktrin“ versteht.
Bemerkenswert ist zudem, dass an der Spitze der Wachstumstabelle in erster Linie Länder zu finden sind, die ihre Haushalte über Ausgabenkürzungen reformiert haben, während die klassischen „Deficit- Spender“ am Ende der Tabelle liegen. Wie Frankreich und Österreich. Dabei hat sich gerade Österreichs Regierung exakt an die Empfehlungen der Lehrbücher gehalten. In Zeiten der Krise wurde nicht gespart, sondern nach Kräften ausgegeben. Der Sozialstaat wurde nicht zurückgefahren, sondern mit der bedarfsorientierten Mindestsicherung weiter ausgebaut. Mittlerweile werden 100 Milliarden Euro im Jahr für die Sicherung der Sozialsysteme aufgewendet. Seit 2005 sind die Einnahmen des Staates um 39 Prozent, die Ausgaben um 35 Prozent gestiegen, und damit fast doppelt so schnell wie das allgemeine Preisniveau. Ungeachtet dessen steht Österreich heute mit Rekordarbeitslosigkeit, Rekordschulden und Nullwachstum da.
All das hört man hierzulande nicht gerne. Schuld ist der Neoliberalismus, Punkt. Zwar weiß niemand so genau, was der Neoliberalismus eigentlich ist. Aber das ist auch nicht so wichtig, weil ja jedem klar ist, dass es sich um etwas Verwerfliches handelt. Etwas, das nur den reichen Bonzen nützt, die sich rücksichtlos an den sozial Schwachen vergehen. Privateigentum, geöffnete Märkte, Verhinderung privater wie öffentlicher Monopole, Vertragsfreiheit, stringente Ordnungspolitik – all das führe unweigerlich in den Untergang. Werden im Staatshaushalt auch nur geplante Mehrausgaben gekürzt, illustrieren Betroffene bereitwillig die Folgen der „verheerenden neoliberalen Sparpolitik“. Die Paranoia reicht mittlerweile so weit, dass junge Linke den für Maschinen- und Vermögenssteuern plädierenden Bundeskanzler Christian Kern wegen seiner beruflichen Vergangenheit in „neoliberalisierten“ Staatsbetrieben ablehnen. Gemeint ist der Verbund, der „nur“ noch zu 81 Prozent in öffentlichem Eigentum steht.
Für den selbsternannten Neoliberalismusforscher Stephan Schulmeister zählt die neoliberale „Doktrin“ zu den größten Plagen der Gegenwart. Diese sei auch für den Aufstieg der radikalen Rechten verantwortlich. Die Globalisierung raube den Menschen zuerst die Arbeit und treibe sie dann mit auch noch kaputtgesparten Haushalten den Rechtspopulisten zu. Besonders schön lässt sich das in Österreich beobachten, hier gewinnen sie ja Wahl um Wahl. Kein Wunder, sind doch die öffentlichen Ausgaben bereits auf 52 Prozent der Wirtschaftsleistung „zusammengeschmolzen“. Der Staat ist nur noch hauchdünn größter Wirtschaftsfaktor, da sollten alle Alarmglocken schrillen. Zumal der Bundeshaushalt im Zuge der neoliberalen Spardoktrin seit 1945 schon vier Mal im Plus abschließen musste, zuletzt vor 54 Jahren. Nur 66 Mal durften neue Schulden gemacht werden, wie soll denn da die Konjunktur die Möglichkeit haben, in Schwung zu kommen, fragt man sich.
Bedienstete der Gemeinde Wien müssen in der ökonomisierten Gesellschaft von heute bis zum 55. Lebensjahr schuften, Normalsterbliche gar bis 60. Besorgniserregende 2 Prozent der Beschäftigten werden nach Angebot und Nachfrage entlohnt, nur noch 98 Prozent der Werktätigen sind über Kollektivverträge vor den Launen der Märkte geschützt. Der „kaputtgesparte“ Staat erzielt mit 172 Milliarden Euro zwar Rekordeinnahmen, investiert davon aber „nur“ noch 100 Milliarden (nicht Millionen) pro Jahr, um soziale Verwerfungen abzufedern. Was sollten die Menschen angesichts dieses Sparkults auch anderes tun, als Schutz bei den Rechtspopulisten zu suchen?
Etwas still geworden ist es indessen um das gefeierte anti-neoliberale Modell unserer Tage. Die Rede ist von Venezuela, dessen Führer der Bevölkerung mit dem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ dauerhaften Massenwohlstand versprachen. Honorige Ökonomen wie Nobelpreisträger Joseph Stiglitz oder die deutsche Postkommunistin Sahra Wagenknecht applaudierten vor wenigen Jahren noch freudig. Enteignungen, Verstaatlichungen und öffentliche Monopolwirtschaft brachten der Bevölkerung aber nicht dauerhaften Wohlstand, sondern Massenelend. In Venezuela gibt es Unmengen an Erdöl, 2016 aber kaum noch Nahrungsmittel und Medikamente. Kinder und Alte gehen in den staatlichen Spitälern elend zugrunde, weil es aufgrund der Einfuhrsperre seitens der Staatsführung keine Antibiotika mehr gibt. Venezuelas Gesundheitssystem sei eines der besten weltweit, wie Präsident Nicolás Maduro unlängst ausrichten ließ. Klar. Schuld an der Massenverelendung ist wohl wieder einmal das falsche Personal. Und natürlich der ausufernde Neoliberalismus samt seiner knallharten Einsparungen, der auch vor Ländern wie Venezuela nicht halt macht.
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Fast schon im Wochentakt schlagen bei den Unternehmen neue Regeln auf. Es kann schon längst nicht mehr als EU-Bashing gelten, den Regelungswahn der Brüsseler Schreibtischakrobaten als unmäßig zu kritisieren. Wir werfen einen Blick in die Giftküche der Bürokratie.
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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