In Österreich entscheiden die Gemeinden, wo gebaut werden darf und wo nicht, sie sind Raumordnungsbehörde erster Instanz. Es gibt 2.100 Gemeinden und dementsprechend 2.100 Gemeindevertretungen, von denen die Flächenwidmung bestimmt wird.
Die Länder sind Aufsichtsbehörde. Sie können Entscheidungen der Gemeinden aufheben, aber nicht herbeiführen. Wer mit offenen Augen durch Österreich fährt, sieht das Ergebnis der so entstandenen Raumordnung. Das Land ist zersiedelt, rund um einen Großteil der Bauernhöfe sind kleine Dörfer entstanden. Der Flächenverbrauch ist groß. Aus einer Erhebung der Österreichischen Hagelversicherung geht hervor, dass in Österreich jedes Jahr 0,5 Prozent der Agrarfläche verbaut wird, in Deutschland und in der Schweiz sind es nur 0,25 Prozent.
Als Mitglied der Salzburger Landesregierung habe ich mehrfach erlebt, dass Bürgermeister sich an das Land mit der Bitte und Aufforderung gewandt haben, einer von der Gemeinde beschlossenen Baulandwidmung die aufsichtsbehördliche Zustimmung zu verweigern. Die Familie des Baulandwerbers sei groß, ihre Stimmen brächten zwei Mandate bei einer Wahl in die Gemeindevertretung. Der Bürgermeister habe dem Druck nicht standhalten können. Die Entscheidung sei aber falsch und er ersuche dringend, sie aufzuheben. Solche und ähnliche Argumente wurden vorgebracht.
Die Raumordnungskompetenz der Gemeinde ist in der Bundesverfassung verankert. Wer sie infrage stellt, hat viele Gegner: die aktiven Bürgermeister und die Länder, die sich geschlossen gegen jede Diskussion über dieses Thema wehren. Hinter den Kulissen wird hingegen differenziert gedacht. Ich habe viele pensionierte Bürgermeister getroffen, die es für einen Fehler halten, dass die Raumordnung so kleinräumig gestaltet wird, wie das in Österreich der Fall ist. Was noch vor 50 Jahren richtig gewesen sein mag, ist den Anforderungen der Gegenwart nicht mehr gewachsen. Jede Gemeinde weist – ohne Rücksicht auf die Ordnung im Raum – ihr eigenes Gewerbegebiet aus, weil sie die Steuereinnahmen aus neuen Betrieben braucht und ihren Bürgern Handlungsfähigkeit demonstrieren will. Viel effizienter wäre es, ein großes Gewerbegebiet für eine Region auszuweisen und alle Gemeinden der Region an Kosten und Einnahmen zu beteiligen. Das geschieht heute nur in Ausnahmefällen. Es müsste zur Regel werden, was aber bei 2.100 Gemeinden nicht zu erwarten ist.
Die Zersiedelung ist teuer. Jedes Haus braucht eine Zufahrt, eine Stromzuleitung und einen Kanalanschluss. Dazu kommen Straßenerhaltung und Schneeräumung. Und die Zersiedelung erschwert die Errichtung wichtiger Infrastrukturen. So scheiterte ein Anlauf der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) zur Errichtung einer Hochgeschwindigkeitstraße im Salzburger Flachgau daran, dass in der zersiedelten Landschaft keine durchsetzbare Trasse gefunden werden konnte. Die für die Zersiedelung verantwortlichen Bürgermeister und Bürgerinitiativen leisteten heftigen Widerstand und wurden von Boulevardmedien massiv unterstützt. Die ÖBB gaben auf und die Hochgeschwindigkeitstraße wird in Salzburg mit 30 Jahren Verspätung – wenn überhaupt – errichtet werden. Dazu ist anzumerken, dass die durch den Neubau entstehenden freien Kapazitäten auf der Bestandsstrecke Voraussetzung für die dringend notwendige S-Bahn durch den Salzburger Flachgau sind.
Wer von Salzburg über die Staatsgrenze ins benachbarte Bayern fährt, der sieht, wie Raumordnung und Flächenwidmung funktionieren können. Die Siedlungsentwicklung erfolgt im Anschluss an bestehende Ortschaften. In Bayern ist es gelungen, Zersiedelung zu vermeiden. In Bayern sind nicht die Gemeinden für die Raumordnung zuständig, sondern die in ihrer Größe mit den österreichischen Bezirken vergleichbaren Landkreise. Offensichtlich ist das österreichische Raumordnungsmodell mit den Gemeinden als Rechtsträgern nicht geeignet, einen nachhaltigen und auf langfristige Perspektiven ausgerichteten Umgang mit Grund und Boden sicherzustellen. Ich sehe zwei Lösungsansätze: die Übertragung der Kompetenz entweder auf die Bezirksverwaltungen wie in Bayern oder auf Gemeindeverbände.
Für die Verlagerung auf die Bezirke wäre eine Änderung der Bundesverfassung erforderlich, die in ihrem Artikel 118 die Raumordnung den Gemeinden überträgt. Eine Übertragung auf Gemeindeverbände wäre meines Erachtens ohne Änderung der Bundesverfassung möglich und könnte von den Landtagen der Bundesländer beschlossen werden.
Zum Abschluss dieses Kapitels ist auch die Frage zu stellen, ob 2.100 Gemeinden die richtige Struktur für ein Land mit einer Bevölkerung von 9 Millionen Menschen sind. Die 10 Millionen Einwohner Schwedens leben in 200 Gemeinden und sind damit zufrieden. Ich sage damit nicht, dass das schwedische Modell auf Österreich anwendbar wäre. Aber die heutigen Gemeinden wurden überwiegend in der Mitte des 19. Jahrhunderts festgelegt. Damals gingen die Bürger zu Fuß zum Gemeindeamt oder sie fuhren mit dem Pferdewagen. Es gibt einige vorsichtige Ansätze, die Kleinräumigkeit der Strukturen aufzuheben. Drei kleine Gemeinden in der Umgebung von Mondsee haben keine eigenen Amtsgebäude, sondern nutzen die Infrastruktur von Mondsee mit. Vier Bürgermeister amtieren unter einem Dach. In einigen Regionen schließen sich Gemeinden zusammen, um gemeinsam ein Gewerbegebiet zu entwickeln und dabei Kosten und Einnahmen zu teilen. Respekt verdient der Kraftakt der Steiermark bei der Zusammenlegung von Gemeinden. Die dafür verantwortlichen Landespolitiker haben dafür bei der letzten Landtagswahl schlechter abgeschnitten als ohne Zusammenlegungen. Aber sie haben dem Land und den betroffenen Gemeinden – längerfristig gesehen – einen großen Dienst erwiesen.
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