Unser Staat gehört, wie erwähnt, international zu den Spitzenreitern bei den Bildungsausgaben pro Schüler. Aber derzeit verpufft viel Geld, weil es nicht effizient eingesetzt wird – also nicht bei den Schülern ankommt. Vor 20 Jahren stand das Londoner Bildungssystem vor ähnlichen Herausforderungen, wie sie Österreich und speziell Wien heute umtreiben: ein hoher Anteil an Schülern mit Migrationsgeschichte oder bildungsfernem Familienhintergrund und miserable Ergebnisse bei Leistungstests. Unter Premierminister Tony Blair wurde daraufhin 2003 die „London Challenge“ ins Leben gerufen. Ziel war es, die Standards in „Problemschulen“ zu heben und damit auch die Kluft zwischen den Bildungsabschlüssen der Schüler zu verringern.
Zu den wichtigsten Maßnahmen gehörten: eine Vernetzung der Schulen miteinander, um gegenseitige Hilfeleistungen zu ermöglichen; die Einführung einer Datenbank, um Vergleiche zwischen den Schulen anzustellen und Weiterentwicklungen beurteilen zu können; und nicht zuletzt die Einsetzung von erfahrenen Pädagogen als Berater an „Problemschulen“. Schulen, die keine Fortschritte erzielten, wurden kurzerhand geschlossen. Innerhalb weniger Jahre zeigten sich beachtliche Fortschritte. Obwohl die „London Challenge“ längst ausgelaufen ist, zählen Schulen in der Hauptstadt nach wie vor zu den besten öffentlichen Bildungseinrichtungen des Vereinigten Königreichs.
Österreich, allem voran Wien, sollte die Erfahrungen aus London mit den neuen Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz verknüpfen und so eine „Austrian Challenge“ starten. Vier wichtige Punkte sind dabei zu beachten: Je früher Probleme angegangen werden, desto effektiver wird die Lösung. Mehr Hilfen muss es an Standorten geben, wo die Herausforderungen am größten sind. Empirische Analysen bringen Verbesserung. Und die Schulen brauchen mehr individuelle Entscheidungsmacht.
Die ersten Jahre sind entscheidend für die sprachliche und soziale Entwicklung eines Menschen. Kinder sind in frühen Jahren besonders lernfähig. Was in dieser Zeit verpasst wird, erhöht später die Kosten für das Bildungssystem, aber auch für die Gesellschaft insgesamt (vgl. Abbildung 5).
Reformen kosten natürlich Geld. Dieses muss aber nicht durch neue Steuereinnahmen aufgetrieben werden, sondern könnte durch eine Umstrukturierung der Bildungsausgaben frei werden. Hierzulande wird für die frühen Phasen der Bildungskarriere – im Verhältnis zu fortgeschrittenen Ausbildungsstufen – wenig Geld ausgegeben. Länder wie Dänemark, Schweden oder Estland investieren deutlich mehr in die ersten Jahre (vgl. Abbildung 6). Sie sparen sich damit später viel Geld und schneiden bei Bildungstests meist besser ab. Daran sollte sich Österreich ein Beispiel nehmen.
Außerdem sollte die Politik den Markt für sich arbeiten lassen und dem Beispiel der Niederlande folgen. Dort bekommen Familien sogenannte Bildungsschecks, die sie dann für öffentliche oder private Betreuungsmöglichkeiten einsetzen können. Der Anteil an Schülern in Privatschulen gehört in den Niederlanden zu den weltweit höchsten.[1] Garantiert wird jeweils ein hoher Qualitätsstandard, dessen Aufrechterhaltung regelmäßige Evaluierung und entsprechende Adaptierungen sichern.
Um überhaupt zu wissen, wo die Problemschulen sind, sollte ein Sozialindex eingeführt werden, der auf verschiedenen Faktoren – etwa den Sprachkompetenzen der Schüler oder der Anzahl jener mit Förderbedarf – basiert.[2] Dieser Index müsste dann Auswirkungen auf das Budget haben. Schulen mit mehr Bedarf hätten so Anspruch auf mehr Geld.
Was die Schulen mit ihrem Budget machen, sollte ihnen aber weitgehend freigestellt werden. Die Leitung vor Ort weiß meist am besten, wo der Schuh drückt. Ob bessere Lehrer eine Gehaltserhöhung erhalten sollen oder ob lieber in Geräte oder Fortbildung investiert wird, wäre dann eine Entscheidung des Direktors.[3] Dafür braucht es natürlich eine entsprechende Ausbildung. Die Schulleitung muss sich gewissermaßen als Management verstehen. Darüber hinaus gilt es Schulen untereinander zu verknüpfen, damit sie voneinander lernen und erfolgreiche Projekte kopieren können. Hier sollte eine Plattform für den Austausch von Schulleitung und Lehrkräften mit anderen Einrichtungen geschaffen werden. Dafür wiederum braucht es allerdings zuerst einmal eine Datenbasis, die transparent aufzeigt, was funktioniert und was eben nicht.
Transparenz macht fast jedes Angebot besser, und das gilt auch für die Schulen. Ein wichtiger Schritt wäre daher die Einführung einheitlicher Evaluierungsstandards, sowohl für die Schüler als auch für die Lehrer und einzelne Projekte. Ein bewährtes Instrument ist etwa das „Schüler-Tracking-System“, das nicht nur den jeweiligen Lernerfolg darstellt, sondern in dem die Schüler auch die Qualität ihrer Lehrer und des Lehrstoffs beurteilen müssen. Die Ergebnisse sollten jährlich ausgewertet und öffentlich einsehbar gemacht werden. So bekommen auch die Eltern Einblick in die Entwicklung der Schulen und können untereinander vergleichen. Das Motto: In den Schulen gibt es nichts zu verstecken.
Nicht nur die Schüler, auch die Schulleitung sollte das Lehrpersonal regelmäßig evaluieren. Derzeit wird in Österreich nur jede vierte Lehrperson mindestens einmal jährlich beurteilt.[4] Die Ergebnisse bleiben aber häufig ohne jede Konsequenz. Daher sollten die Direktoren künftig über Gehaltsvorrückungen des eigenen Personals entscheiden dürfen. Lehrer mit besonders guten Evaluierungen und leistungsstarken Schülern können so deutlich besser entlohnt werden, was wiederum die Motivation erhöht. Mitarbeiter mit mickrigen oder gar negativen Ergebnissen sollten zu gezielten Fortbildungen verpflichtet werden. Bei ausbleibenden Aufholprozessen muss auch eine Entlassung im Rahmen der Möglichkeiten sein.
Aber auch Direktoren müssten sich einer Evaluierung stellen. Gemessen werden sollen sie an den Ergebnissen der Schülerschaft bei Bildungstests, die künftig auch öffentlich einsehbar sein sollten. Auch hier gälte das Prinzip des Wettbewerbs: Gute Arbeit wird finanziell belohnt, schlechte wird sanktioniert, bis hin zur Absetzung der Schulleitung durch die jeweilige Bildungsdirektion. Eine transparente Kommunikation der Ergebnisse würde automatisch den Druck auf die Schulen erhöhen. Der Anreiz, selbst zu den Besten zu gehören, würde steigen.
Transparenz und Entscheidungsbefugnis in Kombination mit dem Sozialindex könnten am ehesten sicherstellen, dass die besten Lehrkräfte dort arbeiten, wo sie am meisten gebraucht werden. Empirische Studien[5] zeigen einen deutlichen Zusammengang zwischen den Unterrichtsqualitäten der Lehrpersonen und den schulischen Erfolgen der Schüler. Derzeit gibt es hier leider einen starken Mismatch; es sind häufig wenig erfahrene oder unsichere Lehrkräfte, die in Problemklassen unterrichten.[6]
Fußnoten
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