Empfehlungen der Agenda Austria

Viel Geld für eine bessere Hauptschule?

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Die Agenda Austria schließt sich zwei der genannten Empfehlungen der Experten an:

Das pädagogisch-didaktische Konzept sollte ergänzt werden

Etwas verkürzt dargestellt geht es im Konzept der Neuen Mittelschule darum, die in den Hauptschulen üblichen Leistungsgruppen abzuschaffen und durch Teamteaching, verstärkte Schülerorientierung und den Einsatz offener Lernformen zu ersetzen. Dies wurde jedoch nicht als Entwicklungsprozess gestaltet, sondern gesetzlich normiert und als Einstiegsvoraussetzung für alle Neuen Mittelschulen festgelegt. Auch die bereitgestellten Zusatzressourcen wurden auf das Teamteaching in den Hauptfächern konzentriert und ihre Verwendung für andere Bereiche untersagt.

Gerade an diesem zentralen Axiom des neuen pädagogischen Konzepts formierte sich von Anfang an Kritik und Widerstand. Nicht wenige Schulen weigerten sich einfach, diese Vorgaben umzusetzen. Das ist alleine dadurch verständlich, dass die Praxis der Leistungsgruppen an vielen Standorten über Jahre hinweg erfolgreich eingesetzt worden war und keineswegs jene diskriminierenden Effekte gezeigt hatte, die von den Bildungsreformern unterstellt wurden.

Die Kritik an der Auflösung der Leistungsgruppen und der zwingend verordneten Konzentration der bereitgestellten Zusatzressourcen auf das Teamteaching ist auch das meistdiskutierte Thema in den Userforen der Medien. Darin zeigt sich folgendes Bild: Das Teamteaching wird als gute und wichtige Erweiterung des pädagogischen Spektrums angesehen, das in vielen Situationen auch zu Verbesserungen führt. Aber als Allheilmittel und zentrales Strukturprinzip ist es wenig geeignet.

Die Einführung dieser innovativen Methoden war ursprünglich auch mit der Erwartung verbunden, dass sich diese positiv auf die fachlichen Schülerleistungen auswirken würden. Diese Erwartungen wurden jedoch bei der Evaluierung der Effekte des neuen pädagogischen Konzepts auf die Leistungserbringung der Schüler herb enttäuscht. Es zeigte sich sehr deutlich, dass sich „die neuen Merkmale der Unterrichtsorganisation, insbesondere Teamteaching und die ‚neue Lernkultur’, die sich v.a. durch Individualisierung und schülerorientierte Förderung ausdrücken soll (…), nur bedingt positiv in den Schülerleistungen niederschlagen“[1]. Auch in dieser Hinsicht waren die Erwartungen offenbar überzogen bzw. Ausdruck des konzeptionellen Wunschdenkens.

Methoden der inneren Differenzierung und Individualisierung (Teamteaching, Neue Lernkultur im Sinne von unterrichtlicher Individualisierung, etc.) sind zwar sinnvolle Strategien, um mit der zunehmenden Unterschiedlichkeit der Schüler konstruktiv umzugehen. Sie zeigen positive Auswirkungen in Bereichen wie sozialem Lernen, Motivation oder Einstellung gegenüber der Schule. Aber in Hinblick auf die fachliche Leistungsentwicklung finden sich für diese innovativen Methoden in der aktuellen Schulforschung sehr unterschiedliche Ergebnisse:

  • Verfahren der Differenzierung benötigen mehr Zeit für die Organisation, wodurch der Anteil der effektiven Lernzeit verringert werden kann.
  • Die Wirksamkeit steht in Zusammenhang mit der Art und Weise der Implementierung. Die Aufgaben müssen sehr genau auf die Fähigkeiten der Schüler abgestimmt sein.
  • Dabei hängt sehr viel von der Kompetenz und Erfahrung der Lehrpersonen ab.

Das größte Problem beim Einsatz von stark individualisiertem Unterricht vor allem in städtischen Problemschulen besteht jedoch darin, dass sie nicht allen Schülern gleiche Lernchancen bieten. Leistungsstarke und gut motivierte Schüler sind viel eher zur Selbststeuerung des Lernens fähig und profitieren daher von Methoden, die zur Selbsttätigkeit anregen. Schüler mit niedrigerem Kompetenzniveau, Wissensstand und Motivation, d.h. Schüler aus benachteiligten sozialen Schichten können eher aus einem hochstrukturierten Unterricht mit klaren Vorgaben Nutzen ziehen. Die gleiche Lernumgebung kann also für manche Schüler förderlich, für andere aber eher hinderlich sein. Ein pädagogisches Konzept, das zu einseitig auf alternative Konzepte zum traditionellen Unterricht setzt, verliert gerade die leistungsschwächsten Schüler aus dem Blickfeld und verschlechtert damit die Lernsituation für jene Risikogruppen, für die es eigentlich gedacht war.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Erkenntnissen für die Weiterentwicklung der Neuen Mittelschule? Um die fachlichen Schülerleistungen zu erhöhen, sollte das pädagogisch-didaktische Kernkonzept um Maßnahmen ergänzt werden, die das Lernen der leistungsschwächeren Schüler besonders unterstützen. Es geht um Unterrichtsstrategien, die nachgewiesenermaßen zur Verbesserung der Leistung dieser Gruppe beitragen.

Die Experten des Evaluierungsberichtes verweisen in diesem Zusammenhang auf das didaktische Konzept der drei „Basisdimensionen guten Unterrichts“:[2] Guter Unterricht zeichnet sich demnach durch drei Dimensionen aus:

  • Eine strukturierte und klare Unterrichtsführung in Kombination mit einer störungsfreien Klassenführung.
  • Die Schaffung eines unterstützenden, schülerorientierten Sozialklimas.
  • Ein Unterricht mit einem hohen Potenzial zur kognitiven Aktivierung der Schüler. Damit ist ein herausfordernder, zum intensiven Nachdenken anregender Unterricht gemeint.

Bei der Frage nach einer sinnvollen Weiterentwicklung des pädagogischen Konzepts lässt sich auch auf die Arbeit des neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie zurückgreifen. Dieser hat vor einigen Jahren eine umfangreiche Studie über die Einflussfaktoren für den Lernerfolg in der Schule vorgelegt. Dabei geht es um die Wirksamkeit von Lernprozessen nach dem Motto: „what works best“.

Pädagogische Konzepte wie offenes Lernen, Teamteaching oder individualisiertes Lernen haben dabei – bezogen auf den Lernerfolg – eine eher geringe Effektstärke. Im Zentrum eines wirksamen Unterrichts steht für Hattie die Lehrperson. Sie sorgt für eine effektive Klassenführung und für ein anregungsreiches Lernklima. Dabei kommt es vor allem auf angeleitete Lernprozesse an, und zwar in Form von gut strukturierten Erklärungen, anschließenden Lösungen und Beispielen. Das alles sollte an das Vorwissen der Lernenden angepasst sein. Ein solcher, hier nur kursorisch beschriebener, Unterricht wird von John Hattie als „Direkte Instruktion“ bezeichnet und ist offenen Lernmethoden in Hinblick auf Fachleistungen überlegen.

Es geht dem neuseeländischen Forscher aber nicht um ein Entweder-Oder verschiedener Unterrichtsmethoden, weil sie – je nach Zielsetzung – ihre jeweilige Berechtigung haben. Worauf es vielmehr ankommt, ist ihr richtiges Verhältnis zueinander. Es geht um eine angemessene Balance zwischen lehrerzentrierten und schülerzentrierten Phasen im Unterricht.

Konzentration der Mittel auf Risikoschüler und Problemschulen ermöglichen

Durch die allzu rasche Ausweitung des ursprünglich als Schulversuch gestarteten Experiments Neue Mittelschule auf ganz Österreich ist eine Situation entstanden, die allen Forderungen nach einem effizienten Einsatz zusätzlicher Ressourcen im Schulwesen diametral widerspricht. Dazu der Leiter des Evaluierungsteams, Ferdinand Eder, in der ZIB 2 vom 4. März 2015:

„Wir haben in Österreich ja in den Neuen Mittelschulen bzw. in den Hauptschulen ungefähr die Hälfte der Schüler, die eigentlich AHS reif sind. Die zweite Hälfte, das sind überwiegend Schüler die verstärkt Unterstützung brauchen. Und derzeit haben wir die Situation, dass über die Schüler, die eigentlich AHS reif sind und die, die es nicht sind, ganz gleichmäßig dieses Füllhorn der zusätzlichen Stunden ausgeschüttet wurde.“

Dieser Kritik ist uneingeschränkt zuzustimmen: Mit der flächendeckenden Einführung des Teamteachings wurde nicht nur eine pädagogische Strategie ins Zentrum der Reform gestellt, die für die Leistungsschwächeren wenig Verbesserung im fachlichen Bereich erbringt, die vergleichsweise teuren zusätzlichen Ressourcen wurden auch nach dem Gießkannenprinzip auf alle Schüler und Schulen pauschal verteilt. Daher wird im Bericht der Evaluierungskommission (aber auch von vielen Bildungsexperten) eine Konzentration des Mitteleinsatzes in zweierlei Hinsicht gefordert:

Erstens sollten die Ressourcen zielorientierter bei besonders lernschwachen Schülern eingesetzt werden, was eine wesentlich autonomere Mittelvergabe auf Schul- und Klassenebene zur Voraussetzung hat. Die kürzlich erfolgte erste Adaptierung des NMS-Regelwerks geht in diese Richtung, stellt aber lediglich eine Lockerung des engen Korsetts an Vorschriften dar. So sollen die vom Bund zweckgewidmeten Mittel (6 Stunden) nicht nur für die Hauptfächer Deutsch, Mathematik, Englisch eingesetzt, sondern auch weiteren standortspezifischen Schwerpunktfächern gewidmet werden können.

Vor allem an Standorten mit großer Verschiedenartigkeit der Schüler (bezüglich sozialer Herkunft, Migrationshintergrund, Bildungsstand der Eltern) ist jedoch ein beträchtlich breiteres Spektrum an Differenzierungsmöglichkeiten notwendig, um auf die Bedürfnisse der Risikoschüler angemessen eingehen zu können. Hierfür eignen sich temporäre oder die an Hauptschulen üblichen ständigen Leistungsgruppen ebenso wie Kleingruppenförderung oder individuelle Maßnahmen zur Sprachförderung etc. Welche Kombination von Maßnahmen die jeweils richtige ist, kann aber am besten vor Ort entschieden werden. Daher sollte den Schulen der nötige pädagogische Spielraum gegeben werden, um selbst zu entscheiden, worin die richtige Lösung besteht.

Zweitens sollten jene Schulen bzw. Schulstandorte gestärkt werden, die aufgrund ihres sozioökonomischen Umfelds bzw. ihres hohen Anteils an Risikoschülern intensiveren Bedarf an Fördermaßnahmen haben als der Durchschnitt der Schulen. Angesprochen wird damit also jene bedarfsorientierte Mittelverteilung an Schulen, die in vielen Ländern gelebte Praxis ist und auch in Österreich schon länger von vielen Bildungsexperten dringend eingefordert wird. Bei dieser sogenannten „Formelfinanzierung“ wird die soziale Zusammensetzung der Schüler (Alltagssprache, Bildungshintergrund der Eltern, soziale Schichtung, etc.) in einem Sozialindex abgebildet, der als Basis für die finanzielle Ausstattung eines Schulstandortes herangezogen wird.

Derartige Finanzierungsmodelle zum Ausgleich sozialer Nachteile bestimmter Schulen sind in vielen Ländern bzw. Regionen bereits seit Jahren etabliert, wobei der Anteil der „Formelfinanzierung“ sehr unterschiedlich ist. In den Niederlanden umfasst er beispielweise nur rund 5 Prozent, im Kanton Zürich 46 Prozent und in Australien in manchen Gebieten bis zu 100 Prozent.[3]

Die Einführung derartiger Modelle muss selbstverständlich in vielerlei Hinsicht an die spezifischen Bedingungen des österreichischen Schulsystems angepasst und von entsprechenden Rahmenbedingungen begleitet werden. Dabei sind Fragen zu klären wie die Auswahl und Erhebung von Indikatoren zur Erfassung der sozioökonomischen Schülerzusammensetzung an einem Schulstandort, die Bestimmung eines Verfahrens zur Indexberechnung, die Bestimmung des Verteilungsvolumens etc.

Die wichtigste Voraussetzung für die Einführung solcher alternativer oder ergänzender Modelle der Schulfinanzierung besteht allerdings in einer grundlegenden Reform des föderalistisch geprägten, hochgradig bürokratisierten und stark regulierten Systems der österreichischen Schulverwaltung, in einer Abschaffung der zersplitterten Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und in einem Ersatz des derzeitigen Systems durch einen aufgabenorientierten Finanzausgleich.


Fußnoten

  1. Eder u. a. (2015a), Kap. 14: Effekte der NMS-Konzeptmerkmale auf die fachlichen Schülerleistungen, S. 298.
  2. Eder u. a. (2015a), Kap. 14: Effekte der NMS-Konzeptmerkmale auf die fachlichen Schülerleistungen, S. 299. 29
  3. Seit den 1990er Jahren haben Länder wie Neuseeland, Großbritannien, Frankreich und Niederlande ihr komplettes Bildungssystem auf „Formelfinanzierung“ umgestellt, in anderen Ländern wie Australien, Kanada, Schweden, Finnland und der Schweiz umfasst die „Formelfinanzierung“ nur einzelne Regionen oder Schultypen.
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