Die Neue Mittelschule

Viel Geld für eine bessere Hauptschule?

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Führt man die übertriebenen und zum Teil völlig unrealistischen Visionen aus der Anfangspropaganda der Neuen Mittelschule auf den Boden der Tatsachen zurück, so lässt sich ein realistischer Blickwinkel einnehmen:

Die Einführung des pädagogischen Modells namens Neue Mittelschule ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein umfassendes pädagogisches Reformprogramm zur Lösung der immer drängender werdenden Probleme vor allem in den städtischen Hauptschulen. Die immer schon bestehenden Schwierigkeiten einer durch negative soziale Auslese zusammengesetzten Schülerpopulation wurden in den letzten Jahrzehnten erheblich verschärft, einerseits durch die vermehrte „Flucht“ in die AHS, andererseits durch die Auswirkungen eines größeren Zustroms von Kindern mit Migrationshintergrund. Damit findet sich in vielen Hauptschulen eine extrem heterogene Schülerschaft mit einem hohen Anteil an sogenannten Risikoschülern, die in Gefahr sind, bis zum Ende der Schulpflicht an den Anforderungen einer grundlegenden Allgemeinbildung zu scheitern. Das Projekt Neue Mittelschule ist der Versuch, diese Probleme in erster Linie durch unterrichtsbezogene Innovationen (Stichwort Neue Lehr- und Lernkultur) und durch zusätzliche Ressourcen in Form von höherem Stundenaufwand zu lösen oder zumindest abzuschwächen. Die Reform ist in ihrer Gesamtheit außerordentlich umfangreich angelegt: Das pädagogisch-didaktische Konzept ist umfassend und anspruchsvoll, die angestrebte Veränderung des Unterrichtsgeschehens durchgreifend. Gleichzeitig wird das Projekt von breiten Unterstützungsmaßnahmen auf verschiedensten Ebenen (Fortbildungsmaßnahmen, regionale Entwicklungsbegleitung, „LerndesignerInnen“ an den Schulen, etc.) gefördert. Man mag darüber geteilter Meinung sein, ob die hohen Kosten gerechtfertigt und regional richtig verteilt sind. Aber es ist plausibel, dass eine so anspruchsvolle Reformbestrebung ohne entsprechende finanzielle Unterstützung jedenfalls zum Scheitern verurteilt wäre.

Die Einordnung der Neuen Mittelschule als großes bildungspolitisches bzw. pädagogisches Experiment ist in zweierlei Hinsicht wesentlich. Einerseits hat sie ihre Anfangsphase gerade erst hinter sich und ist derzeit nach wie vor in Ausweitung begriffen. So wurde die flächendeckende Einführung des neuen Modells auf ganz Österreich zwar bereits im März 2012 beschlossen, bis zur vollständigen Ablösung der letzten Hauptschulen wird es allerdings noch bis zum Schuljahr 2018/2019 dauern. Das bedeutet, dass noch nicht einmal die Hälfte der Schulen einen Jahrgang nach dem Konzept der NMS zur 8. Schulstufe geführt hat. Zieht man mit in Betracht, dass Veränderungen im pädagogisch-didaktischen Bereich generell erst mit einem gewissen Verzögerungseffekt zum Tragen kommen, wird verständlich, warum es viel zu früh ist, auch nur annäherungsweise eine abschließende Bewertung des neuen pädagogischen Programms zu versuchen.

Anderseits ist eine Sichtweise, die den experimentellen Status des Reformprojekts betont, wichtig, um die Polarisierung zwischen vernichtender Kritik (über die öffentlichen Medien) und relativ kritikloser Belobigung (durch das Ministerium) zu überwinden. Wünschenswert ist eine breite öffentliche Diskussion der Evaluierungsergebnisse, an der sich Bildungsexperten ebenso beteiligen wie Lehrer aus der Umsetzungspraxis und Eltern mit ihrer spezifischen Wahrnehmung.

Dabei darf die Aussagekraft der vorliegenden Untersuchungsergebnisse einerseits nicht überschätzt werden. Wie erwähnt wurden lediglich Schulen der ersten beiden Jahrgänge der NMS untersucht, sozusagen die Pioniergeneration, die wie bei allen schulischen Innovationen sicher noch einige Zeit zur Umstellung benötigt. Andererseits liefern die Analysen des Evaluierungsberichtes einen differenzierten Beitrag zu einer ersten Einordnung des pädagogischen Experiments Neue Mittelschule.

Die für die Evaluierung verantwortlichen Wissenschaftler stellen eine Reihe von Empfehlungen an den Schluss ihres Berichtes, durch welche Maßnahmen eine verbesserte Umsetzung des Konzepts und eine Weiterentwicklung der bestehenden Praxis erreicht werden kann. Sie fordern:

  • Verbesserungen bei der Einführung der neuen didaktischen Konzepte, u.a. durch eine Präzisierung der didaktischen Anregungen und dem Ausbau von Fortbildungsangeboten.
  • Eine intensivere Unterstützung der Arbeit der Lehrkräfte durch eine verstärkte Einbindung der Pädagogischen Hochschulen und Universitäten.
  • Die Konzentration von Maßnahmen auf Risikogruppen und Förderbedarfsgruppen. Der Gesamtunterricht muss jene Maßnahmen verstärken, die das Lernen Leistungsschwächerer besonders unterstützen.
  • Einen zielorientierteren Einsatz der zusätzlich aufgewendeten Ressourcen und damit ein Abgehen von der derzeitigen pauschalen Vergabe nach dem Gießkannenprinzip.
  • Den Ausgleich negativer Einflüsse des sozialen Hintergrunds der Schüler durch eine Verstärkung der Förderung in den vorausgehenden Bildungsinstitutionen.
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