Die ausbleibende Korrektur der mit der Einführung der Neuen Mittelschule verbundenen Ziele und Erwartungen zeigte weitere Auswirkungen. Auch die gesetzlich vorgesehene wissenschaftliche Evaluierung wurde an jenen Zielen ausgerichtet, die gemäß dem anfänglichen Konzept vom neuen Schultyp erwartet wurden. Darunter an vorderster Stelle eine Verbesserung der Chancengleichheit:
„Durch Ausgleich von Nachteilen der Herkunft und bessere Förderung von Schülergruppen mit spezifischen Beeinträchtigungen sollen verbesserte Lernerfahrungen und eine Steigerung der Zugangsberechtigungen für weiterführende höhere Schulen erreicht werden“.[1]
Wenig überraschend kommt die Untersuchung der ersten beiden Jahrgänge der Neuen Mittelschule zur Feststellung, dass sich die Erwartungen hinsichtlich einer Verbesserung von Chancen- und Bildungsgerechtigkeit in keiner Weise erfüllt habe. Die Einführung der NMS, so die Wissenschaftler, habe nicht mehr Eltern dazu bewogen, durch die Entscheidung für eine NMS die frühzeitige Schulentscheidung zwischen Hauptschule und AHS aufzuschieben. Damit ist nichts anderes als die Tatsache angesprochen, dass jene Schüler, die die Wahlmöglichkeit zwischen NMS und AHS hatten, sich weiterhin für letztere entschieden haben. „In der NMS“, so das Ergebnis der Evaluierung, „zeigt sich im Modellvergleich keine relative Verbesserung der Situation der leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler gegenüber der Situation vor Einführung der NMS“.[2]
Dieses Ergebnis war durch das Wegfallen des impulsgebenden Reformelements der gemeinsamen Schule in keiner Weise verwunderlich. In hohem Ausmaß verwunderlich ist hingegen die Tatsache, dass die Untersuchung und Bewertung der Frage nach mehr Chancengerechtigkeit durch die Neue Mittelschule in einer Weise behandelt wurde, als hätte es die faktische Veränderung der Ausgangsbedingungen (also die Parallelführung von AHS-Unterstufe und NMS) nie gegeben. Eine vorausschauende Vorgangsweise hätte bedeutet, nach dem parlamentarischen Beschluss zur parallelen Weiterführung der AHS sowohl die Konzeption wie die begleitende Rhetorik den neuen Gegebenheiten anzupassen. Nicht zuletzt hätten die ursprünglichen Ziele einer Verbesserung der Chancengleichheit wesentlich reduziert und die schulinternen wie die öffentlichen Erwartungshaltungen dementsprechend gedämpft werden müssen.
In der retrospektiven Betrachtung entsteht der Eindruck, die Reformverantwortlichen wären durch die Beibehaltung der ursprünglichen, mit hohen Erwartungen aufgeladenen Kommunikationsstrategie einer Art Selbstfesselungstrick erlegen. Trotz veränderter Ausgangsbedingungen wurde verbal an den hochgesteckten Zielen festgehalten. Damit ist die negative Bewertung der Reform durch die Evaluierung sowie die überzogene Verurteilung in der medialen Öffentlichkeit gleichsam selbst mitverursacht worden. Seither pendelt die öffentliche Debatte zwischen pauschaler Kritik in den verschiedensten Diskussionsforen und sozialen Netzwerken und einer unverdrossen positiv argumentierenden Ministerin, die lediglich geringen Korrekturbedarf sieht. Auf der Strecke bleibt dabei eine sachorientierte und die reale Faktenlage akzeptierende Diskussion über sinnvolle Konsequenzen aus den bisherigen Evaluierungsergebnissen und einer darauf aufbauenden Weiterentwicklung der Neuen Mittelschule.
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