Innenpolitik

Der Erfolg der Schweiz

Gastbeitrag von Gerhard Schwarz

«Wirtschaftswunder» ist ein gutes Stichwort. Die Schweiz gilt als reich, sie liegt beim nominalen BIP pro Kopf weltweit auf Platz 3, nach Kaufkraftparität auf Platz 5. Damit ist die Bevölkerung im Durchschnitt gemäss Kaufkraftparität etwa 30% wohlhabender als Österreich. Zum Vergleich: Für Österreich weist die Schätzung des IMF Platz 14 bzw. 17, für Deutschland Platz 18 bzw. 19 aus. Die Schweiz schneidet aber auch in vielen Rankings sehr gut ab, ist weltweit oft – im Skifahren würde man sagen – auf dem Podium. Wir wissen alle um die Problematik solcher Erhebungen, aber ob der Fülle von guten Platzierungen bei unterschiedlichsten Quellen ist vielleicht doch etwas dran. Ich nenne einige, basierend meist auf den Zahlen von 2022, manchmal schon 2023, selten 2021:

  • Stärkste nationale Marke der Welt
  • Weltweite Wettbewerbsfähigkeit (IMD): Platz 2
  • Widerstandsfähigkeit, Resilienz der Länder: Platz 2
  • Human Freedom Index: Platz 1 – das freieste Land der Welt

Dann in Sachen Innovation und Forschung:

  • Global Innovation Index: Platz 1
  • Zahl der Patentanmeldungen pro Kopf der Bevölkerung: Platz 1
  • Die beiden mit Abstand besten Hochschulen Kontinentaleuropas
  • Digitale Wettbewerbsfähigkeit der Länder: nur Platz 5

Und nicht nur das:

  • Bei der Lebenserwartung Platz 6, Österreich an 31., Deutschland an 43. Stelle.
  • In einer Liste der insgesamt besten Länder der Welt der Wharton School und des US News & World Report wieder auf Platz 1, wie schon von 2017 bis 2020.
  • Bei der Lebensqualität weltweit an dritter Stelle. Auch unter den Städten liegt gemäss dem Economist Zürich auf Platz 3, Wien allerdings auf Platz 1.
  • Im World Happiness Report an 4. Stelle, entgegen dem bösen Spruch, der Wiener Zentralfriedhof sei halb so gross, aber doppelt so lustig wie Zürich.
  • Als Standort für philanthropisches Engagement liegt die Schweiz auf Platz 2.

Aber auch Entwicklungen, die Sorgen machen, sind Ausdruck des Erfolgs:

Als ich 1969 in die Schweiz kam, kostete der Dollar etwa 4.40 Fr., im Jahr 2000 waren es 1.60 Fr., heute sind es noch 94 Rappen. Der Euro kostete kurz nach der Einführung auch um die 1.60 Fr., heute rund 1 Fr. Diese gewaltige Aufwertung war für die exportierenden Unternehmen nicht einfach, aber sie war auch eine Produktivitätspeitsche. Und wenn die Nachfrage nach einer Währung anhaltend hoch ist, heisst das, dass dieses Land – immer gemessen an den anderen – einiges nicht ganz falsch macht. Ich muss hier anfügen: Den Schweizerfranken gibt es seit 1799. Ein Franken ist immer noch ein Franken, und es gab nur einmal eine grosse Abwertung, 1936, zusammen mit dem französischen Franc. Bei den Nachbarn gab es dagegen in diesen 200 Jahren Währungen und Abwertungen zuhauf sowie vor allem Hyperinflation.

Ebenso die Zuwanderung: In der Schweiz ist die Wohnbevölkerung seit 1900 um 170% gewachsen, in Deutschland und Österreich je um 50%. Falls Sie meinen, das sei den zwei Weltkriegen geschuldet, stimmt das nicht ganz. In Deutschland ist die Bevölkerung seit 1950 um 20% gewachsen, in Österreich um gut 30%, in der Schweiz um fast 90%, nicht wegen grösserer Gebärfreudigkeit, sondern wegen der Zuwanderung. Mit 8,9 Millionen hat die Schweiz Österreich fast eingeholt, auf einer halb so grossen Fläche, von der nur ungefähr 30% als Siedlungsfläche gelten. Die Schweiz ist offensichtlich attraktiv.

Bei der Schweiz geht es nicht um Geografie, Geschichte, Sprache, Religion, Wirtschaft, sondern das Paket der politischen Institutionen, zu dem es weltweit kaum Ähnlichkeiten gibt. 

…Das kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein?

Nun weckt Erfolg fast zwingend einerseits Neid und anderseits den Verdacht, dass das doch alles nicht mit rechten Dingen zugehen könne. Zwei besonders beliebte Erklärstränge sind das Bankgeheimnis und die Weltkriege.

Das Bankkundengeheimnis, wie es genau heisst, trat 1935 in Kraft. Dass es allein zum Schutz jüdischer Vermögen vor dem NS-Regime geschaffen worden sei, ist ein Mythos. Es entspricht einerseits einer langen Tradition, einem anderen Staatsverständnis, anderseits gab es im ersten Weltkrieg und danach, in Zeiten der Hyperinflation, viel Kapitalflucht aus Deutschland, Frankreich und Italien. Die Schweiz versuchte den zum Teil rabiaten Mitteln, mit denen die Kapitalflucht bekämpft wurde (in Deutschland drohte die Todesstrafe), etwas entgegenzusetzen. Dass die Schweiz neutral und stabil war und dass Diskretion ab Mitte der 1930erJahre gesetzlich geschützt war, hat ihr ohne Zweifel geholfen. Aber matchentscheidend waren weder das Bankkundengeheimnis noch die Neutralität und die daraus folgende Unversehrtheit im Krieg.

Das zeigt sich auch daran, dass die Schweiz schon Mitte des 19. Jahrhunderts zu den wohlhabendsten Ländern Europas gehörte. Vermutlich wurden damals, zum Teil wenig demokratisch, Grundlagen gelegt, die bis heute nachwirken. Von den grossen europäischen Staaten hatte nur Grossbritannien ein noch höheres Wohlstandsniveau, in Deutschland und Frankreich lag es dagegen deutlich tiefer, ebenso in Belgien, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern. Und zwischen 1850 und dem 1. Weltkrieg wuchs die Schweiz massiv rascher als diese erwähnten kleineren Staaten, sodass der Wohlstand 1913 mehr als doppelt so hoch war als in Schweden. Die Schweiz verstärkte ihren Vorsprung dann im Verlauf der 1920er Jahre und konnte ihn bis in die 1970er Jahre halten. Seither ist er zurückgegangen, gegenüber Schweden auf immer noch 50%.

Drei zentrale Erfolgsfaktoren

Wie erklärt sich der Erfolg? Dafür muss man weit zurückblenden. Ganz am Anfang, also in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, standen einige negative Faktoren. Sie waren ein Glücksfall und wirkten prägend.

  • Das Land war arm, also musste man sich anstrengen, um es zu etwas zu bringen.
  • Das Land war nicht aristokratisch. Man konnte keine Karriere am Hof oder in einer kaiserlichen Bürokratie machen, als Unternehmer dagegen eher.
  • Das Land ist rohstoffarm und für Landwirtschaft kaum geeignet. Wohlstand konnte man nur durch Handel, Innovation und Leistung erreichen.
  • Das Land ist klein. Das zwang früh zum Export und zur Offenheit in alle Richtungen, viele Zuwanderer, die einige der grössten Firmen gründeten, viele Auswanderer, Heiraten über die Grenze.

Und dann kam 1848, das Gründungsjahr der modernen Schweiz mit einer Bundesverfassung, die die Grundlage für die institutionelle Andersartigkeit der Schweiz und damit ihres Erfolges legte. Das sehen nicht alle so, ausserhalb der Schweiz erst recht nicht. Die ehemalige österreichische Aussenministerin (und zweimalige Botschafterin in der Schweiz) Ursula Plassnik hat einmal formuliert, was viele denken: «[…] ich gebe zu, der ständige Verweis auf den Sonderfall nervt gelegentlich schon. Einzigartigkeit ist kein Schweizer Monopol. Von den 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen hält sich jeder zu Recht für einzigartig. Für einen Sonderfall eben.» Auf den ersten Blick hat sie Recht. Jedes Land ist ein Sonderfall. Aber bei der Schweiz geht es nicht um Geografie, Geschichte, Sprache, Religion, Wirtschaft, sondern das Paket der politischen Institutionen, zu dem es weltweit kaum Ähnlichkeiten gibt. Selbst mit den USA, die der Schweiz 1848 als Vorbild dienten, sind die Ähnlichkeiten viel geringer als die Ähnlichkeiten der parlamentarischen Demokratien untereinander.

Dieses politische Gefüge umfasst viele miteinander verknüpfte und sich ergänzende Elemente:

  • die schon erwähnte Neutralität, die sich heute nicht mehr so leben lässt wie im 2. Weltkrieg;
  • die selektive Offenheit, die mit dem EU-Dogma der Personenfreizügigkeit kollidiert;
  • die Konkordanz, die in einer Kollegialregierung mit sieben Mitgliedern und ohne Führung ihren sichtbarsten Ausdruck findet;
  • das sogenannte Milizprinzip, das für Bürgernähe sorgt und eine weitgehende Absage an die Berufspolitik bedeutet.

Diese Besonderheiten lasse ich weitgehend beiseite – wir können sie in der Diskussion aufnehmen –, um mich auf drei Faktoren zu konzentrieren, aus denen sich fast alles ableiten lässt, nämlich das genossenschaftliche Staatsverständnis, den Föderalismus und die halb-direkte Demokratie.

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