Empfehlungen der Agenda Austria

Bildungsmobilität zwischen den Generationen

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1. Bildungsforschung zur Mobilität verbessern, Stärken identifizieren

Die positiven Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zur intergenerationellen Bildungsmobilität sollten nicht dazu verführen, im Umkehrschluss die nach wie vor vorhandenen Hindernisse und Mobilitätshürden auszublenden. Denn es steht außer Zweifel, dass sozialer Aufstieg das Erkennungsmerkmal einer leistungsorientierten Gesellschaft ist. Voraussetzung dafür ist, dass der Zugang zur bestmöglichen Bildung nicht von der sozialen Herkunft eines Menschen abhängen soll.

Ob dieses Ziel in Österreich erreicht wird, ist nicht ganz einfach festzustellen. Während die soziale Zusammensetzung der Studierenden relativ gut erforscht ist, mangelt es an präzisen Daten über die soziale Schichtung im Schulsystem: „Schule und Hochschule sind zwei Bausteine, die in Österreich kaum zusammen gedacht werden – auch wegen der zwei Ministerien. Und wir wissen überhaupt nicht, wie die soziale Zusammensetzung unserer Maturanten aussieht. Wir sind da eigentlich im Blindflug. (…) Jetzt vergleichen wir zwangsweise die Studienanfänger mit der Geburtenkohorte. Und das Schulsystem ist eine Blackbox dazwischen.“ [1]

Damit wäre eine erste Handlungsempfehlung benannt: Die Datenlage über die soziale Zusammensetzung der Schülerpopulation in allen Altersstufen ist zu erneuern und verbessern. Quer durch alle Schulformen, in Koordination von Bund und Ländern und in Zusammenarbeit von Unterrichts- und Wissenschaftsministerium. Bei aller Notwendigkeit zum Auffinden von Mobilitätshindernissen im bestehenden Bildungssystem sollten sich Bildungsforschung und -politik nicht mehr vorwiegend mit Defizitanalysen und vermeintlichen Negativszenarien befassen. Vielmehr wäre verstärktes Augenmerk auf jene Strukturen und Institutionen zu lenken, die zur bestehenden Bildungsmobilität einen hohen Beitrag leisten. Diese gilt es zu identifizieren und auszubauen, wie in Punkt 2 zu sehen ist.

2. Das System der Berufsbildung modernisieren und verstärken

Die positiven Befunde zur Bildungsmobilität erlauben einen entspannteren Blick auf das Lieblingsthema der ideologisierten österreichischen Schuldebatte: Die frühe äußere Differenzierung des Schulsystems in Hauptschulen (bzw. Neue Mittelschulen) und Gymnasien ist zweifelsfrei eine frühe Selektion. Diese scheint aber durch das ausdifferenzierte Schulsystem nach Abschluss der Pflichtschule in erheblichem Maße wieder ausgeglichen zu werden.

Insbesondere den berufsbildenden mittleren und  höheren  Schulen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: Laut der letzten Schulstatistik (2013/14) besuchten von den Maturanten des Jahrgangs 2013 an berufsbildenden höheren Schulen rund 60 Prozent in der Sekundarstufe I eine Hauptschule. Bei den Maturanten der AHS waren dies lediglich rund 16 Prozent. Insgesamt (alle zur Matura führenden Schulen zusammengefasst) kommen 42 Prozent aller Maturanten des Jahrgangs 2013 aus Hauptschulen. Der Bildungsweg über die Hauptschule und das berufsbildende Schulwesen scheint für viele Kinder aus bildungsfernen Schichten ein vielversprechender Weg zur höheren Bildung zu sein.[2] Gleichzeitig sind in den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen die  „Verlustraten“,  also die Anzahl der Schüler, welche die Ausbildung frühzeitig abbrechen, wesentlich höher als in den Gymnasien. Bis zum sechsten Jahr steigt die Zahl der vorzeitig ausgestiegenen Schüler an den berufsbildendenden höheren Schulen auf knapp ein Drittel (31,4 Prozent) an.[3] Hier besteht bei ausreichender bildungspolitischer Schwerpunktsetzung zweifellos ein hohes Verbesserungspotenzial mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Erhöhung der sozialen Mobilität.

3. Die Elementarbildung ist der Schlüssel zur Verbesserung der Durchlässigkeit des Bildungssystems

Der internationale Vergleich zur sozialen Herkunft der Studierenden im Kapitel 4 bestätigt die insgesamt hohe Bildungsmobilität in Österreich. Das österreichische Bildungssystem zählt in dieser Hinsicht zur Gruppe der besten, weil flexibelsten in Europa. Gleichzeitig verweist dieser Vergleich auch auf eine Schwachstelle: Beim Anteil an Studierenden aus Familien mit sehr niedrigem Bildungshintergrund (Eltern verfügen maximal über einen Pflichtschulabschluss) liegt Österreich im unteren Drittel der europäischen Länder. Dies deckt sich mit den nationalen Untersuchungen zur Bildungsmobilität zwischen den Generationen. Offensichtlich bietet das österreichische Bildungs- und Ausbildungssystem trotz freien Zugangs für Kinder aus sehr bildungsfernen Familien zu wenig Unterstützung, um die schichtspezifischen Nachteile zumindest so weit zu kompensieren, wie das anderen Ländern gelingt.

In allen einschlägigen Studien der letzten Jahre wird dabei die be- sondere Wichtigkeit der frühkindlichen Ausbildung (Elementarbildung) betont. Neben den familiären Einflüssen stellen Krippen und Kindergärten die ersten und meist entscheidenden Weichen für die Bildungsbiografie und Sozialisation der Kinder dar. Ihnen kommt eine Schlüsselstellung gerade im Hinblick auf die Bildungsgerechtigkeit zu. Je früher Lern- und Sprachhandikaps von Kindern aus bildungsfernen Schichten erkannt werden, desto eher besteht die Möglichkeit, geeignete Fördermaßnahmen zu ergreifen. Die frühkindlichen Bildungseinrichtungen spielen daher eine Schlüsselrolle für die Verbesserung der sozialen Mobilität.

Die Forderung nach einer Aufwertung der Elementarbildung ist eine der wenigen bildungspolitischen Forderungen, über die quer durch alle ideologischen Lager Konsens besteht. Auch über die wichtigsten Maßnahmen besteht weitgehend Einigkeit. Was ist zu tun?

  • Schaffung eines einheitlichen Bundesrahmengesetzes mit verbindlichen Standards für Ausbildung und Betreuung. Mit anderen Worten: Im gesamten Land sollten vom Gesetzgeber die zu erreichenden Mindestziele formuliert werden.
  • Sicherung der finanziellen Basis des Ausbaus der Elementarbildung durch einen aufgabenorientierten Finanzausgleich zwischen Bund und Gemeinden auf diesem Gebiet. Den Ländern verbleibt die Planung und Feinsteuerung.
  • Anhebung der Ausbildungsqualität insbesondere der Elementarpädagogen mit Verantwortung für Gruppen durch schrittweise „Akademisierung“ der Ausbildung.
  • Schaffung eines flächendeckenden Bildungs- und Betreuungsangebotes im gesamten Bundesgebiet.

Als eines von vielen Beispielen aus dem europäischen Ausland sei hier auf das System der Sprachförderung in Hamburg verwiesen: Bereits im frühen Alter von vier Jahren wird bei allen Kindern über Sprachtests an der später zuständigen Schule erhoben, ob ein besonderer Förderbedarf besteht. Wenn dies der Fall ist, wird das Kind zum Besuch eines Kindergartens mit besonderen Sprachfördermaßnahmen verpflichtet. An den Schulen wiederum wird die Sprachförderung durch spezielle Sprachlernkoordinatoren organisiert und koordiniert. Besteht weiterer Förderbedarf, erhalten  die Kinder neben dem normalen Unterricht zusätzlich Sprachförderung in kleineren Gruppen. Dieses Beispiel steht für das generelle Prinzip, nach dem frühkindliche Bildung zu organisieren ist: Je früher Lern- oder Sprachdefizite erkannt werden, desto effektiver können Maßnahmen ergriffen werden, um die Kinder so früh wie möglich auf jenen Kompetenzstand zu heben, der ein selbstständiges Weiterlernen im Regelschulbetrieb ermöglicht.


Fußnoten

  1. Das Hochschulsystem ist nicht so ungerecht“, Gespräch mit dem Bildungsforscher Martin Unger. In: Die Presse vom 24.08.2015.
  2. Statistik Austria (2015a), S. 58 und Abbildung 20 auf S. 59.
  3. Statistik Austria (2015a), S. 56.
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