Podcast mit Anna Schneider: “Mein Ton ist scharf. Aber das ist auch angebracht.”
- 04.11.2020
- Lesezeit ca. 4 min
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Die Österreicherin Anna Schneider hat sich binnen eines Jahres als NZZ-Journalistin in Berlin einen Namen gemacht, den sie jeden Tag auf Twitter verteidigen muss. Denn der Gegenwind ist heftig. Ein Gespräch über Kapitalismus, Klimawandel, Gruppenzwang, Medien, Hass im Netz und Liberalismus.
Es ist eine Floskel, die Anna Schneider praktisch jeden Tag hört oder liest: “Kapitalismus überwinden!”. Die gebürtige Österreicherin lebt als NZZ-Redakteurin in der rot-rot-grün-regierten deutschen Bundeshauptstadt Berlin, wo der Kampf zwischen Marktwirtschaft und Sozialismus bis heute tobt. Da wird gestritten über Mieten, besetzte Häuser und die Richtige Antwort auf die Klimakrise. Schneider hat mit ihren Analysen zu den Gallionsfiguren der Fridays for Future Bewegung in Deutschland mehrfach für Aufmerksamkeit gesorgt. Denn sie hat getan, wozu viele keine Zeit zu haben scheinen: Sie hat die Bücher von Luisa Neubauer und Carola Rackete gelesen. Dort fordern die beiden unter anderem auch “den Kapitalismus zu überwinden”. Das Fazit der Journalistin: “Wohlstandsverwahrloste Neomarxisten.”
“Natürlich ist das keine nette Beschreibung”, sagt Schneider im Podcast-Gespräch mit Nikolaus Jilch. “Aber Luisa Neubauer erzählt uns auf Instagram mit AirPods im Ohr, wie schrecklich der Kapitalismus ist. Den will sie zwar abschaffen – und zwar auf einigermaßen radikale Weise. Aber intellektuell redliche Ideen, wie es danach weitergehen soll, hat sie nicht. Da fand ich diese Beschreibung schon sehr passend.”
Schneider, die sich auch auf Twitter inzwischen fest etabliert hat, sieht einen Trend: “Diese sozialen Bewegungen starten immer mit guten, wichtigen Anliegen. Ich bin sicher nicht gegen Klimaschutz. Aber es durchläuft immer ein Muster. Es kommen Leute, die glauben, sie haben die einzige Wahrheit. Und wer ihnen nicht folgt, ist schlecht. In diesem Fall ist eben der Kapitalist böse. Das ist ein sehr einfaches Denken, das man in vielen sozialen Bewegungen findet. Ich bin immer sehr skeptisch, wenn so ein Schwarm entsteht, bei dem man alles glauben und mitmachen muss oder ausgestoßen wird.”
Als liberale Stimme stechen Schneider und die Zeitung, für die sie arbeitet, in Deutschland deshalb hervor. “Es geht natürlich nicht darum, eine ganze Gruppe oder ein ganzes Anliegen schlecht zu reden.” Aber man müsse die Bücher der Anführerinnen schon kritisieren dürfen, so Schneider, die selbst oft heftig angegriffen wird. “Ich glaube, viele, die da mitlaufen, reflektieren kaum. Natürlich ist mein Ton scharf. Aber das ist in diesem Fall auch angebracht.” Auch an anderen Medien, die sich von Aktivisten vereinnahmen lassen und ihnen sogar die Redaktionen überlassen, lässt Schneider kein gutes Haar: “Das ist sicher der falscheste Weg. Die objektive Berichterstattung einfach sein zu lassen. Was soll man sich da als Leser denken?”
Der Widerstand in den Sozialen Medien ist für die junge Frau heftig, egal ob es um Klima, Mietendeckel, Feminismus oder Donald Trump geht. “Ich erlebe das immer wieder von beiden Seiten. Die meisten heftigen Trolle sind tatsächlich rechtsextrem. Meine Methode ist dann einfach blocken. Ich bin inzwischen schmerzresistent. Aber auch links gibt es Trolle. Die halten sich für die Guten und können oft keinerlei Kritik vertragen. Da frage ich mich auch: Was läuft schief bei jemandem, der nicht zwischen liberal und konservativ oder gar rechts unterscheiden kann?”
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Zur Person: Anna Schneider (30) arbeitet seit rund einem Jahr bei der “Neuen Zürcher Zeitung” in deren Berliner Büro. Die gebürtige Kärnterin hat in Wien Jus und Kunstgeschichte studiert und war von 2014 bis 2017 als Referentin für Verfassung und Menschenrechte im Parlamentsklub der NEOS tätig. Anschließend war sie im Gründungsteam der inzwischen eingestellten Rechercheplattform Addendum tätig.
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